Daniele De Rossi ist der unerschrockene Anführer der Roma, ein Tribun der heutigen Zeit. Die wechselhafte Karriere und das Leben des 34-Jährigen waren alles andere als gradlinig. Nun, im Spätherbst seiner Karriere, steht der kultige Roma-Kapitän vor dem größten Erfolg seiner Laufbahn.
Wahre Größe zeigt sich in der Niederlage. Und davon hat Daniele De Rossi schon eine ganze Menge einstecken müssen. Italien lag in einer Nacht im November 2017 am Boden, weil ein paar Fußballer ihrem Auftrag nicht nachgekommen waren.
Das Ausscheiden in der WM-Qualifikation gegen Schweden bedeutete eine Zäsur im Calcio, es mussten Köpfe rollen und Strukturen verändert werden. So viel stand fest.
Zunächst aber ging es für Daniele De Rossi zum Mannschaftsbus des Gegners. Jedem einzelnen schwedischen Spieler schüttelte er die Hand, gratulierte zum Erreichen des Endturniers und entschuldigte sich für die Pfiffe der Tifosi, die die schwedische Hymne begleitet hatten. Dann entschwand er hinaus in die Nacht und sprach seither nicht mehr über die Schande von San Siro.
Das hat zum einen mit der besonders großen Tragweite des Ausscheidens zu tun und zum anderen damit, dass De Rossi es war, der von der Bank aus für einen handfesten Skandal gesorgt hatte. Nationaltrainer Gian Piero Ventura wollte wechseln, Italien benötigte ein Tor, um sich wenigstens in die Verlängerung zu retten.
De Rossi sollte aufs Feld, der Co-Trainer stand bereits vor dem Spieler und forderte diesen auf, sich fertigzumachen. Aber De Rossi dachte gar nicht daran. "Warum zur Hölle sollte ich nun eingewechselt werden? Wir brauchen einen Sieg, nicht ein Unentschieden!", raunzte er seinen Vorgesetzten an und deutete dabei auf Lorenzo Insigne, einen Stürmer.
Die Bilder gingen um die Welt und wer sie falsch interpretieren wollte, der sah da einen trotzigen Stänkerer. In Wahrheit hatte De Rossi die richtige Idee und den Mut, diese auch kundzutun. Dass er dabei selbst womöglich größeren Schaden davontragen könnte, war kalkuliert. Das Wohl der Mannschaft ist wichtiger als das des Einzelnen.
In den Mühlen der Klatschpresse
Im Sommer wird Daniele De Rossi 35 Jahre alt. Und man tritt ihm nicht zu nah, wenn man behauptet, dass er sich im Spätherbst seiner Karriere befindet. Manchmal wirkt der Roma-Kapitän wie ein Relikt aus einer anderen Zeit, das den italienischen Fußball in seinen glanzvollen Stunden aber doch noch so verkörpert, wie kaum etwas anderes.
Italien ist dabei, eine neue Generation von Spielern hervorzubringen, die Squadra versucht einen Neuanfang, die Klubs der Serie A erleben einen zarten Aufschwung. Getragen werden diese positiven Signale aber von den alten Haudegen. Und De Rossi ist mittlerweile so etwas wie ihr Alterskapitän.
Er steht für die alten Werte, ist wie andere seiner Epoche - Gigi Buffon, Francesco Totti - aber auch umstritten, manchmal sogar skandalumwittert. De Rossi ist bekennender Anhänger der "Forza Nuova", einer rechtsextremen Partei. Zahlreiche Mitglieder der Gruppe sollen unter gewaltbereiten Hooligans rekrutiert sein.
Vor einigen Jahren geriet er in die Schlagzeilen, weil sein damaliger Schwiegervater von der römischen "Banda della Magliana" erschossen wurde. Die Tat glich einer regelrechten Hinrichtung und wie sich später herausstellte, sollte es genauso wirken.
De Rossi Ex-Schwiegervater Massimo Pisnoli war ein Kleinkrimineller und drogenabhängig. Seine Sucht konnte er irgendwann nicht mehr finanzieren, also wurde er von seinen Dealern zu einem Banküberfall gedrängt. Anstatt die spärliche Beute von knapp 10.000 Euro aber abzutreten, wollte er das Geld behalten. Mit fatalen Folgen.
Die Medien bekamen sofort Wind von der Sache. De Rossi schoss wenige Tage später in einem WM-Qualifikationsspiel gegen Georgien zwei Tore und widmete diese seinem ermordeten Schwiegervater. Der Aufschrei in der Öffentlichkeit war enorm, der Fußballmillionär und sein kriminelles Familienmitglied.
Seitdem hat er mit der Klatschpresse gebrochen, auch die Ehe mit seiner zweiten Frau - wie so viele andere italienische Fußballprofis ist De Rossi mit einem Model und TV-Sternchen verheiratet - hat daran nichts geändert.
Verrückte Respektsperson
Die privaten Eskapaden konnten ihm ebenso wenig etwas anhaben wie einige Aussetzer auf dem Rasen. De Rossi ist ein Raubein, gnadenlos zum Gegner und sich selbst und war gerade in jungen Jahren auch immer mal wieder für eine Tätlichkeit gut.
Einmal trat er einem am Boden liegenden Gegenspieler mit Absicht auf den Oberschenkel und kam ungeschoren davon. Im WM-Achtelfinale gegen Australien 2006 rammte er Gegenspieler Brian McBride den Ellbogen ins Gesicht.
Die FIFA sperrte De Rossi aber nur kurz, weil sich der Spieler danach reumütig zeigte und sich unter anderem bei seinem Opfer entschuldigte. Im Finale von Berlin durfte er deshalb wieder dabei sein und erzielte eins der fünf Elfmetertore zum großen Triumph.
De Rossi ist für die Tifosi fast überall im Land eine Respektsperson. Wie sein ehemals kongenialer Partner Francesco Totti hat er seine gesamte Karriere bei der Roma verbracht - 18 lange Jahre am Stück.
De Rossi ist im Speckgürtel von Rom in der Hafenstadt Ostia geboren und schon immer Roma-Fan. Seit dem Karriereende von Totti ist er der Tribun der Stadt.
Ein wenig verrückt sei er schon, sagt sein ehemaliger Trainer und Förderer Fabio Capello. De Rossi ist extrem abergläubisch, spielt schon mal in Trikots mit einem kurzen und einem langen Ärmel - weil er davon geträumt habe, dass ihm das Glück bringt.
Auf dem linken Arm hat er ein Teletubbie tätowiert und dazu die Zeile eines Kinderlieds, das er seiner Tochter Gaia immer zum Einschlafen singt. Auf der rechten Wade ist eine Art Verkehrsschild verewigt, das ein Tackling zeigt und den Einschlag am Bein des Gegenspielers.
35 Jahre warten auf eine magische Nacht
De Rossi hat in seinem Leben schon vieles erlebt. Auf eine magische Nacht wie die von Dienstag auf Mittwoch im Stadio Olimpico musste aber auch er fast sein ganzes Leben lang warten.
"Die Welt der Giallorossi hat seit 35 Jahren auf eine solche Nacht gewartet", schrieb Italiens größte Sportzeitung "Gazzetta dello Sport".
Seit dem Gewinn des Scudetto vor 17 Jahren hat Rom nicht mehr so gefeiert, damals war De Rossi noch Jugendspieler. Sein Debüt in der Serie A gab er erst wenige Monate später. Die Erfolge mit Italien machen ihn stolz, aber mit der Roma etwas zu gewinnen, das ist sein Lebenselixier.
Nun ist der größte Triumph seiner Karriere noch drei Spiele entfernt. Das Finale von Kiew würde für Daniele De Rossi emotional alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen, selbst den WM-Triumph mit der Squadra Azzurra vor zwölf Jahren. Dafür ist die Liebe zu Rom und zur Roma einfach zu überwältigend.
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