Verschuldet, verzweifelt, verdächtig: In "Restschuld" wird ein besonders hartnäckiger Inkassoberater entführt. Unter seinen Kunden finden sich viele mögliche Täter.
Wer mehr Geld ausgibt, als er hat, macht Schulden. Wer seine Schulden nicht bezahlen kann, ist selber schuld – richtig? Dann hätte man eben nicht über seine Verhältnisse leben sollen, dann muss man halt den Gürtel etwas enger schnallen, soll härter arbeiten, nicht so viel jammern, richtig?
Ja, im Prinzip schon. Und für die Prinzipienreiterei sind die Inkasso-Unternehmen zuständig, die ein Gläubiger – ein Unternehmen, oder eine Bank – damit beauftragen kann, bei den Schuldnern das Geld einzutreiben. Dafür sind die da, darauf können die ihre ganze Energie verwenden: furchtbar offiziell aussehende Drohbriefe verschicken, ständig anrufen. Oder vor der Tür stehen, im schicken Mantel, mit Aktenkoffer und ernstem Lächeln. "Nichts im Leben ist umsonst", sagen die Inkassoberater dann. Und drängen so lange, bis der Schuldner einen rechtlich einwandfreien, aber völlig unrealistischen und erdrückenden Vertrag zur Ratenzahlung unterschreibt.
Oder das letzte bisschen Bargeld herausrückt, das die meisten Schuldner doch noch im Haus haben. Von irgendwelchen Schwarzgeschäften zum Beispiel oder einem hilfsbereiten Verwandten. Die Inkassounternehmen wissen das, denn sie beobachten ihre Schuldner genau, erstellen Bewegungsprofile, befragen Nachbarn, graben tief. Das hat etwas von einem Raubtier, das seiner Beute auflauert – oder eben von einem Finanzunternehmen, das im Prinzip nur seine Arbeit macht.
Ein Netz aus Schuld und Scham
So wie Fabian Pavlou, Mitarbeiter des Jahres von "correct Inkasso". Klar, korrekt geht hier alles zu – aber moralisch einwandfrei keineswegs. Pavlou ist ein ganz besonders hartnäckiger und erfolgreicher Inkassoberater. Doch an diesem Abend wird er überfallen. Es fehlen die 8.000 Euro, die er an dem Tag eingetrieben hat, sein Auto und: Fabian Pavlou selbst. Als Anhaltspunkt bleiben den Kommissaren Max Ballauf (
Denn während ein Inkassounternehmen für die Prinzipienreiterei zuständig ist, so ist der Kölner "Tatort" für die Menschen zuständig, die von dem Inkassoprinzip in die Enge getrieben werden. "Restschuld" (Sonntag, 5.1., 20.15h im Ersten) erzählt von ihren Schicksalen. Und dabei macht dieser "Tatort" seine Arbeit mindestens so gut wie ein Inkasso-Mitarbeiter des Jahres die seine.
Es sind einfühlsame Geschichten mit einem bemerkenswerten Gespür für aufschlussreiche Details (Drehbuch: Karlotta Ehrenberg), die viel von dem emotionalen Verhältnis erzählen, das besonders in Deutschland zum Thema Schuldenmachen herrscht. Von Verzweiflung und Scham, aber auch von Ignoranz und Selbstbetrug.
Persönliche Schicksale im Fokus
Da ist zum Beispiel die geschiedene und unschuldig verschuldete Mutter Stefanie Schreiter (Katharina Marie Schubert), die trotz ihrer finanziellen Lage ihren Söhnen unbedingt 300-Euro-Anzüge für den Abschlussball der Tanzschule ermöglichen will. Oder die arbeitsunfähige Violinistin Monika Lehnen (Tilla Kratochwil), die sich bei der Kölner Tafel eigentlich Lebensmittel holen wollte. Als sie auf ihre wohlhabende Freundin stößt, die dort ehrenamtlich arbeitet, gibt Monika aus Scham an, auch nur aushelfen zu wollen. Anstatt eben diese Freundin – ausgerechnet eine Anwältin für Insolvenzrecht – einfach um Hilfe zu bitten.
Monikas Ehemann Jost (Roman Knižka) hat dem Paar derweil Sparmaßnahmen auferlegt, über die man lachen könnte, wäre der vom Burnout gelähmte ehemalige Lehrer nicht so eine tragische Figur. Zwangsoptimistisch ist Jost fest davon überzeugt, mit Zwieback statt Marmeladenbrot und abgestellter Heizung lasse sich die Pfändung des Eigenheims schon abwenden.
Neben den Ermittlungen unter den Verdächtigen müssen die Kommissare in einem Kölner "Tatort" natürlich stellvertretend gesellschaftliche Positionen beziehen: Max Ballauf verkörpert als finanziell unbekümmerter Single vorwurfsvolle Skepsis, Freddy Schenk ist als Familienvater für die verständnisvolle Nachsicht zuständig. Die sozialkritischen Erklärdialoge, für die die Kölner Krimis zu Recht oft belächelt werden, hätte es auch hier nicht gebraucht.
Ein Spiegel für die Gesellschaft
Immer mehr erfährt das Fernsehpublikum über die Schicksale dieser Menschen, und je mehr man weiß, desto größer werden das Verständnis und die Empathie. Desto schwieriger wird es, sie zu verurteilen und ihnen von der warmen Wohnzimmercouch aus das überhebliche "Selber schuld!" zuzurufen, bei dem man sich anfangs vielleicht noch kopfschüttelnd ertappte.
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Wobei man sich vielmehr ertappen sollte, ist die Erkenntnis, wie nahe die in "Restschuld" geschilderten Schicksale sein könnten. Denn gerade in Milieus, in denen man derartige finanzielle Notlagen nicht erwartet, treibt die Scham Schuldner in eine gefährliche Isolation. Nur weil um jeden Preis verhindert werden soll, dass die Umgebung von der Situation erfährt.
Inszeniert in kargem Licht, mit viel grauem Beton und Stein, trägt dieser "Tatort" einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit seiner Protagonisten Rechnung, ohne je pathetisch zu wirken – nur sehr, sehr traurig.
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