Anzeigen wegen Pornografie häufen sich, unter anderem, weil immer mehr Jugendliche im Netz viel Haut zeigen – und zwar freiwillig. Doch was treibt Teenager dazu, sich so freizügig im Internet zu präsentieren? Gibt es überhaupt noch Tabus? Wir beleuchten die Generation.
Selbstdarstellung ist Trend
Ohne Selfie - wie das gemeine Selbstporträt auf Neudeutsch heißt - geht heute gar nichts mehr: Stars tun es bei der Oscar-Verleihung, Liebende vor dem Eiffelturm, Singles vor dem Badezimmer-Spiegel. Und Teenies? Die tun es gern freizügig. Mit der Handy-Kamera ist eine Aufnahme in spärlichen Klamotten und sexy Pose schnell geschossen. Genauso schnell ist das heiße Selfie verbreitet – per Facebook, Twitter oder einem Messenger wie WhatsApp. Und von dort aus kann der scharfe Schnappschuss ungeahnte Wege gehen.
Angezogen oder nicht: Hier bin ich!
Viele wollen beim Schaulaufen im Netz dabei sein. Vorbilder gibt es online oder via Foto-Apps wie Instagram millionenfach zu sehen. Mädchen müssen nicht erst Zeitschriften durchblättern, um sexy posieren zu lernen. Ein Blick auf das Facebook-Profil der ein paar Jahre älteren Bekannten oder die Pics ihrer Lieblingsstars genügen:
Doch selbst wenn Jugendliche solche Bilder nur an ihre Liebsten verschicken, sind sie Teil eines kritisch beäugten Trends: dem Sexting (Kofferwort aus "Sex" und "Texting"). Erotische Nachrichten mit oder ohne Bilder werden über mobile Geräte und das Internet schnell publik – etwa im Zuge eines Racheakts nach dem Ende einer Beziehung. Schätzungen zufolge hat sich heute schon etwa jeder vierte US-Teenager darauf eingelassen, anzügliche Bilder zu verschicken - zum Beispiel mit der App Snapchat.
Bin ich sexy?
In der Pubertät wird ausprobiert: Welche Haarfarbe steht mir? Welches Mädchen küsst am besten? Wie streng sind meine Eltern wirklich? Manchmal recht spielerisch wird auch das eigene Aussehen und Auftreten auf die Probe gestellt. Ein Blick, ein Klick, eine klare Ansage: Die eigene Wirkung lässt sich auf Bewertungsplattformen wie "This is Jailbait.com" schnell testen.
Seit Jahren stellen Teenies aus aller Welt dort ihre sexy Selfies ein - mit dem Ziel, eine Fünf-Sterne-Bewertung und positive Kommentare zu ergattern. Dabei scheint es sie nicht zu stören, dass bereits der Name der Internetseite auf die anvisierten Konsumenten verweist: "Jailbait" bedeutet sinngemäß "Gefängnis-Köder", da volljährige Männer für das Betrachten von Minderjährigen in eindeutigen Posen mit Strafen rechnen müssen.
Der böse Wolf lauert in der App
Härtefälle zeigen auf, dass das spielerische Ausprobieren und Dabeisein-Wollen nicht für jeden Jugendlichen schadlos verläuft. Cyber-Mobbing hat inzwischen mehrere Jugendliche in den Selbstmord getrieben. Doch nicht nur Häme und Spott bergen Risiken für junge Selbstdarsteller: Europaweit steigen die Kinderporno-Anzeigen gegen Minderjährige, weil der Tatbestand unter Umständen auch dann erfüllt ist, wenn der Jugendliche die Nacktbilder selbst ins Netz gestellt hat. In Deutschland hat das Bundeskriminalamt für 2013 in der Kriminalstatistik 4.144 Straftaten im Zusammenhang mit "Besitz und Verschaffung von Kinderpornografie" registriert, das sind 27,9 Prozent mehr als im Jahr davor, und es ist der höchste Wert seit fünf Jahren. Dazu kommen 2.471 Fälle der "Verbreitung von Kinderpornografie". Als Kind gilt, wer jünger ist als 14 Jahre. Ebenfalls ausgewiesen sind 400 Fälle von "Besitz und Verschaffung von Jugendpornografie" und 447 Fälle von "Verbreitung von Jugendpornografie".
Anzügliches Bildmaterial von Minderjährigen lockt nicht zuletzt Pädophile an. Sie kennen das mediale Verhalten und die wunden Punkte ihrer Opfer genau. Sie wissen, welche Messenger-Apps Jugendliche nutzen, um Bilder von sich zu präsentieren und auszutauschen. Dabei spielt es den Tätern in die Hände, dass zum Beispiel die App KiK anonyme Chats ohne Angabe der Handynummer ermöglicht. Von der scheinbar harmlosen Internet-Bekanntschaft können Aufforderungen nach erotischem Bildmaterial und Erpressungsversuche folgen.
Freizügigkeit ist nicht immer leichtsinnig
Kommunikationswissenschaftlerin Susanne Baumgartner erforscht in den Niederlanden die Risikobereitschaft von Jugendlichen. In ihren Studien fand die gebürtige Schweizerin heraus, dass diese zwar gefährdeter sind, online zu sexuellen Handlungen animiert zu werden - jedoch nicht leichtsinniger sind als Erwachsene. Nur etwa sechs Prozent der befragten Teenager sortiert die Wissenschaftlerin in die Gruppe mit hoher Risikobereitschaft ein. Diese Jugendlichen benehmen sich allerdings auch außerhalb des Internets unverantwortlich (haben zum Beispiel ungeschützten Sex) und kommen aus Familien ohne starke soziale Bindung.
Sexting, Cyber-Mobbing, Sex-Attacken: Das größte Tabu für die Jugendlichen scheint es zu sein, mit Erwachsenen darüber zu reden. Da verwundert es nicht weiter, wenn Eltern vielleicht nicht einmal wissen, was mit "Sexting" gemeint ist oder wie leicht Fremde mit unlauteren Absichten die sexy Fotos ihres Kindes im Internet anschauen können. Die Schweizer Stiftung Pro Juventute will das ändern - mit einer Kampagne, deren Name Programm ist: "Sexting kann dich berühmt machen – auch wenn du es gar nicht willst".
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