Der Sieg von Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest 2014 war glanzvoll und deutlich. Wäre es aber ausschließlich nach den Zuschauern gegangen, die an der Telefonabstimmung teilgenommen haben - Conchita Wursts Vorsprung wäre noch viel höher ausgefallen. Nicht nur in Deutschland klafften die Meinungen von Jury und Publikum weit auseinander.

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Der Eurovision Song Contest und seine Jurys: Es ist ein Trauerspiel. In Deutschland hatte es schon 2013 einige Aufregung gegeben, als beim Vorentscheid das Publikum die bayerischen Mundartmusiker von La Brass Banda nach Malmö schicken wollte, die Jury aber letztlich dafür sorgte, dass Cascada das Finale erreichte und sich dort auf Platz 21 trällern durfte.

Beim ESC-Finale gab es dieses Jahr eine ähnliche Diskrepanz, wie die erstmals von ESC veröffentlichten Abstimmungsergebnisse zeigen. Beim Publikum lag Conchita Wurst mit "Rise Like a Phoenix" weit vorne - die deutsche Jury mochte sich der Euphorie jedoch nicht anschließen. Von Sängerin Madeline Juno, Musik-Manager Konrad Sommermeyer, Sänger Andreas Bourani und Rapper Sido gab es gar keine Punkte für die Österreicherin. Einzig "Jennifer Rostock"-Sängerin Jennifer Weist sah Conchita Wurst auf Platz 9 und somit zweier Punkte würdig. Weil Jury und Publikum jeweils die Hälfte zur Gesamtbewertung beitragen, reichte es am Ende trotzdem für Platz 4 und sieben Punkte.

Nicht nur in Deutschland gingen die Meinung des Publikums und der Jury weit auseinander. Die schlechteste Publikumsbewertung für "Rise Like a Phoenix" war ein achter Platz in Estland. In allen anderen Nationen wählten die Zuschauer Conchita Wurst mindestens in die Top fünf - darunter auch die vermeintlich erzkonservativen Menschen aus Armenien (Platz 2) und Aserbaidschan (Platz 3). Die Jurys dieser Länder zeigten sich weniger offen und setzten den österreichischen Beitrag jeweils auf den vorletzten Platz. Nur die gegenseitige Abneigung von Armenien und Aserbaidschan war noch größer - der jeweils andere landete in diesen Ländern ganz hinten.

Selbst Weißrussen von Conchita Wurst angetan

Auch in Weißrussland, wo es vorab staatsseitig die größten Proteste gegen die Dragqueen gegeben hatte, war das Publikum vom Auftritt Conchita Wursts angetan. In der Telefonabstimmung reichte es für Platz vier, bei der Jury nur für Platz 23, was insgesamt null Punkte bedeutete.

Es gab auch Länder, in denen sich Jury und Publikum einig waren: In Schweden, Slowenien, Finnland, den Niederlanden und der Schweiz wählten sowohl die Fachleute als auch die Zuschauer Wurst auf den ersten Platz.

Bei einem ESC ohne Jurys wäre die Entscheidung über den Sieg von Conchita Wurst am Samstagabend jedenfalls noch wesentlich deutlicher ausgefallen als ohnehin schon: Hätten alleine die Zuschauerstimmen über die Punktevergabe entschieden, "Rise Like a Phoenix" wäre am Ende des Abends auf 306 Punkte gekommen - und damit 92 Punkte mehr, als für den Sieg gereicht haben. Schön, dass auch Fachjurys den Willen des Volkes nicht unterdrücken konnten.

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