Dienstag und Donnerstag fanden in Portugal die beiden Halbfinale des Eurovision Song Contests 2018 statt. 37 Länder traten an, 20 davon haben sich für das große Finale qualifiziert, wo sie am Samstag gegen die "Big Five" und das Gastgeberland antreten dürfen.

Eine Kritik

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Harte Metalriffs, kreischender Emo-Gesang: Die Ungarn AWS stechen mit ihrem in der Landessprache getexteten Kracher "Viszlát Nyát" definitiv aus den übrigen Anwärtern des diesjährigen Eurovision Song Contests heraus.

Große Chancen auf den Sieg dürften sie nicht haben: Ihnen fehlt das Theatralische der finnischen Monster-Metalband Lordi, die 2006 gewann.

Ungarn mit klanglichen Überraschungen

Dennoch sind die Ungarn eine der wenigen klanglichen Überraschungen unter den Ländern, die Dienstag und Donnerstag in den beiden Halbfinalen antraten.

Der Dance-Pop dominiert, dick produziert und dünn komponiert. Daneben: Die üblichen pompösen Balladen, bei denen aufwendige Arrangements das letzte bisschen Gefühl aus den Songs herauspressen.

Die meisten der Musiker und Gruppen, die sich für das Finale qualifizierten, fallen in die Dance-Pop-Schiene. Zum Beispiel: Eleni Foureira aus Zypern mit ihrem feurigen, R&B-angelehnten "Fuego", die Bulgaren Equinox mit ihrem düster-dramatischen "Bones" oder die Finnin Saara Aalto mit "Monsters" - dieser Song verflüchtigt sich schon, während er noch ausklingt.

Auch die Australierin Jessica Mauboy fällt mit ihrem "We Got Love" in den austauschbaren Topf. Gleiches gilt für Melovin aus der Ukraine mit "Under the Ladder": Er sieht aus wie Graf Dracula, trägt eine Grusel-Kontaktlinse wie Marilyn Manson, steigt bei der Performance aus einem stilisierten Sarg heraus – und gibt dann etwas Sonniges mit Oh-oh-oh-Chören zum Besten.

Besser schlagen sich die Balladen: Ieva Zasimauskaité aus Litauen singt mit "When We're Old" einen ganz intimen Song für ihren Ehemann – aber kriegt leider zu viel Hall auf die gehauchte Stimme, damit es dann doch wieder nach Eurovision-Stadion klingt. Der Ire Ryan O'Shaughnessy punktet bei seinem "Together" vor allem mit Sympathie.

Die spannendsten Songs

Ein paar spannendere Songs haben es dann aber doch ins Finale geschafft. Der Schwede Benjamin Ingrosso klingt mit seinem federnden "Dance You Off" wie eine Teen-Pop-Version vom jungen Michael Jackson – und baut sogar einmal den berühmten Jauchzer ein. Seine Show ist visuell ansprechend und ganz einfach konzipiert: Ingrosso tanzt vor einer Videoleinwand, auf der sich rot, blau und weiß leuchtende Linien abwechseln.

Auch der Norwege Alexander Rybak kann mit dem fröhlichen Funk-Pop "That's How You Write a Song" punkten. Er ist Song-Contest-Veteran: 2009 gewann er den Wettbewerb. Ebenso gut gelaunt: der Tscheche Mikoslaf Josef mit seiner jazzigen Hip-Hop-/Pop-Mischung "Lie to Me", die vor allem rhythmisch mitreißt.

Ein paar der Finalisten ragen auch mit anderen Klängen aus der Masse heraus. Der Niederländer Waylon, der 2014 schonmal als Teil der Common Linnets antrat, spielt den lässigen Bluesrock-Song "Outlaw in 'Em", die Estländerin Elina Nechayeva singt ihren Klassik-Pop "La forza" mit Opernstimme – und kippt leider, wie so oft bei dieser Mischung, in den Kitsch.

Dass der Song Contest mehr bunter Zirkus ist als ernster Musikwettbewerb, mehr Show als Talentsuche, haben eigentlich dieses Jahr nur wenige Finalisten verstanden. Eine davon ist Netta aus Israel – eine Mischung aus Beth Ditto und Björk, die für ihre verrückten Stimmspielereien im Song "Toy" als eine der Favoritinnen gehandelt wird.

Unter den Show-Leuten sind auch DoReDoS, ein Trio aus Moldawien. Ihr "My Lucky Day" verbindet Balkan-Pop mit Dance-Elementen – und macht vor allem durch die Bühnenshow Spaß: Mit einer originellen Choreographie öffnen und schließen sich Fenster und Türen einer Wand, hinter der die Musiker wie im burlesken Theater agieren und zum Schluss sogar auf ihre Doppelgänger treffen.

Auf der Strecke geblieben

Ein paar gute Songs sind im Halbfinale leider auf der Strecke geblieben. Einer davon ist "A Matter of Time" von der Belgierin Sennek – ein dunkler Song mit Trip-Hop-Flair, der nicht umsonst Erinnerungen an einen Bond-Song hervorruft: Sennek trat 2012 bei einem Galakonzert zum 50. Bond-Jubiläum auf.

Auch Laura Rizzotto aus Lettland tritt mit "Funny Girl" in ähnliche Fußstapfen: ein eleganter Song, ohne große Show, aber visuell ansprechend dargeboten. Aber wahrscheinlich bieten die Bond-Ladies zu wenig Glitter für die Song-Contest-Wähler.

Auch dem Geschwister-Duo Zibbz aus der Schweiz hätte man es gegönnt, dass sie mit "Stones" weiterkommen. Es ist ein lässiger Song, der auch zu Elle King gepasst hätte – aber vielleicht ein bisschen überproduziert wurde. Das gilt wohl auch für die Kroatin Franka, die eine spannende Stimme hat – aber ihr "Crazy" hätte etwas mehr Dreck statt Pomp gebraucht.

Wer am Samstag das Rennen machen wird, ist schwer vorherzusagen. Der Song des Österreichers Cesár Sampson, "Nobody But You", ist ein Ohrwurm, aber vielleicht zu wenig Theater für den Song Contest. Genauso sind die Franzosen Madame Monsieur mit ihrem entspannten "Mercy" wahrscheinlich einfach nicht grell genug.

Wird es vielleicht Deutschland mit Michael Schultes emotionaler Ballade "You Left Me Walk Alone"? Auch hier gilt: Womöglich zu wenig Bombast. Aber zu wünschen wäre es ihm.

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