Kein deutscher Star ist so makellos, so perfekt wie Helene Fischer. Das zeigte am Mittwochabend der Mitschnitt ihres intimen Konzertes aus München in der ARD. Und doch wird man das Gefühl nicht los, dass das alles nur eine von der Musikindustrie ersponnene Illusion ist.
Helene Fischer ist bestimmt ein netter Mensch. Sie lacht viel auf der Bühne, sie spricht über ihre Gefühle, sie verschränkt die Hände über der Brust, dort wo ihr Herz sitzt, und schaut dankbar in die Kamera.
Und doch muss es eine wahnsinnige Arbeit sein,
Vor einigen Wochen spielte die Sängerin vor 700 Fans in dem Club in der bayerischen Hauptstadt. Eine Promotionveranstaltung zum neuen Album, innerhalb weniger Minuten ausverkauft. Mit dabei: Die ARD, die das komplette Konzert aufzeichnete und am Mittwochabend unter dem wenig einfallsreichen Titel "Helene Fischer - Ihre neuen Songs" ausstrahlte.
Eine unerhörte Marketingaktion, wie sie wohl nur für die omnipräsente Sängerin möglich ist. Musik wird in der Sendeanstalt sonst eher stiefmütterlich behandelt. Europas größtes Festival "Rock am Ring" im Hauptprogramm der ARD? Unvorstellbar. Oder Rammstein, die kurz darauf Helene Fischer von der Spitze der Albumcharts verdrängten? Nicht blond genug.
Die Sängerin hingegen ist, seitdem ihr schlicht “Helene Fischer” tituliertes Album erschien, Dauergast im Fernsehen (Anzeige). Der NDR sendete eine Spezialausgabe seiner Talkshow, sie sang im Finale von "Germany’s Next Topmodel" und vergoss bei "Mensch, Gottschalk" ein paar Tränen.
Jeder will Helene, sie verspricht verlässlich hohe Quoten, sie hat den Schlager im Alleingang vom Mief der Betten im Kornfeld und den Zügen nach Nirgendwo befreit. Das muss anstrengend sein. Weil es bei Helene Fischer nicht so aussieht, als sei es anstrengend.
Die Nacht: Der Sehnsuchtsort der Deutschen
Noch bevor die Sängerin auch nur den ersten Ton gesungen hat, steht sie strahlend hinter der Bühne, das Klatschen der Menge im Schlager-Viervierteltakt tönt herüber. Ein kurzer Blick zur Aufnahmeleiterin, beide Daumen gen Kamera - toi toi toi - Helene stürmt heraus, strahlend schön wie immer. Knallenge schwarze Hose, knallenges weißes Top - da ist kein Gramm Fett, der ganze Körper ein einziger Muskelstrang.
Die ersten Songs stampfen im gewohnten Disco-Beat des Schlagers der Gegenwart voran, viele "Dus", “Wir” und “Die Nacht gehört uns”. Die Nacht - der Sehnsuchtsort der Deutschen, an dem alles möglich ist, aber doch meist nur eines passiert: Es wird geschnarcht.
Die Band spielt so perfekt, als käme sie aus der Konserve, nur an Helenes Stimme lässt sich in den ersten Minuten ausmachen, dass dies ein Konzertmitschnitt ist.
Die Sängerin hüpft über die Bühne, ruft immer wieder “München!”, “Wahnsinn!” oder einfach nur “Wuuuuhhh!”, während die Kamera durchs Publikum fährt und schöne junge Frauen zeigt, die jedes Wort mitsingen.
"Ich liebe euch, wie kann es anders sein", ruft Helene und ja, wie sollte es auch anders sein? Alle lieben Helene und sie liebt uns.
Sie stimmt die erste große Ballade an, "Gib mir deine Hand", das Gesicht groß im Bild, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Jeder Ton sitzt, die Stimme klar und fest, die Streicher säuseln.
Alles sieht spielerisch aus
Vom Schlager löst sie sich im Verlauf des Konzertes immer mehr, es gibt Country, ein bisschen Latin, einen Clubhit, ein wenig Sex - aber ja nicht zu verrucht!
Alles sieht spielerisch aus, aber eben so, wie eine Leichtigkeit aussieht, wenn ihr lange Stunden des Trainings vorausgegangen sind in den Popmühlen der Musikschweineindustrie.
Doch das soll das Publikum natürlich nicht merken. Es geht um Gefühle, Gefühle, Gefühle. Man kennt das von Weiland Wolle Petry: “Fühle, Fühle, Fühle!”, aber bei Fischer ist das rührseliger.
"Es sind die Melodien und speziell die Texte, die unter die Haut gehen”, sagt sie. Und doch wird man den Eindruck nicht los, kein einziges Wort, keine Wendung zu hören, die nicht schon seit den Fünfzigern in tausenden Schlagertexten recycelt wurde. Poplyrics als postmodernes Patchwork-Kunstwerk.
Das Produkt Helene Fischer
Dass das alles das Ergebnis eines großen Teams ist und Helene Fischer nur eine Wirt für die gebündelten Sehnsüchte und Begehrlichkeiten der Deutschen, gegossen in diesen zierlichen kleinen Körper, schimmert in der 105 minütigen Aufzeichnung immer wieder durch.
Fischer spricht von internationalen Songschreibern, von Produzententeams, die ihr das neue Album auf den Leib geschrieben haben. Und die haben ganze Arbeit geleistet: Ein Stück geht an die Kinder dieser Welt, eines an ihre Eltern, eines an "ihre größte Liebe und allerbesten Freund" Florian Silbereisen. Egal, ob sie mit diesem Geständnis "wahrscheinlich zwei oder drei Wochen die Blättchen füllen können". Besser kann sich das kein PR-Stratege ausdenken.
Als sie "Mit jedem Herzschlag" für die Teilnehmer der Special Olympics in Tränen ausbricht, nimmt man ihr das ab und zugleich auch nicht. Zu übertrieben ist das alles - und doch wirkt Fischer auf eine seltsam konstruierte Art authentisch.
Würde die 32-Jährige jetzt noch eine Hymne zum Weltfrieden anstimmen, der Zuschauer würde nicht einmal mit der Wimper zucken.
Den Abend beschließt die Sängerin natürlich mit “Atemlos durch die Nacht”, dem Song, der sie endgültig zum Star machte.
Die Schweißperlen tropfen von ihrer Stirn, doch Fischer wirkt so perfekt, als habe sie ihrem makellosen Körper in genau diesem Moment erlaubt, zu transpirieren. Für genau zwei Minuten.
Sie bedankt sich artig, verbeugt sich mit der Band und geht. So als wäre sie eben nicht der größte deutsche Popstar der Gegenwart, sondern eine wie du und ich. Einfach ein netter Mensch.
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