Immer größer, immer spektakulärer, immer teurer – das ist der Trend bei Konzerten in den vergangenen Jahren. Johannes Everke, Geschäftsführer des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft, erklärt im Interview mit unserer Redaktion, was es mit dem Hype um Live-Shows von Taylor Swift und Adele auf sich hat und welche Rolle Ticketverkäufer dabei spielen.
Johannes Everke, für die Adele-Konzerte im August in München kosten Tickets zwischen 75 und 420 Euro. Warum sind Konzerttickets in den vergangenen Jahren deutlich teurer geworden?
Johannes Everke: Dafür gibt es mehrere Gründe. Es ging damit los, dass in den 2000er-Jahren die CD-Verkäufe plötzlich einbrachen. Damit fiel etwas weg, was der ganzen Musikbranche viel Einkommen eingebracht hat. Das konnte durch Streaming noch nicht wieder komplett kompensiert werden. Gerade auf Künstler:innen-Seite gelingt es nur wenigen, mit Streaming richtig Geld zu verdienen. Das Live-Geschäft hat sich seither stark in den Mittelpunkt der Musikbranche gespielt und ist zu einem starken Umsatz- oder Einkommensbringer geworden. Auch die Plattenfirmen verdienen mit ihren Beteiligungen am Live-Geschäft mit. Das ist das erste, historische Argument.
Zweitens hat sich in den letzten Jahren die Art der Shows weiterentwickelt. Die Ansprüche sowohl des Publikums als auch der Künstler:innen haben sich verändert. Die Konzerte sind zu multimedialen Shows geworden, der Aufwand ist enorm gestiegen. Und damit auch die Kosten.
Was ist der dritte Grund?
Ein dritter Aspekt ist, dass wir in der Corona-Zeit, als gar keine Konzerte stattfanden, einiges an Personal verloren haben. Dieser Fachkräftemangel wirkt sich auf der Kostenseite ebenfalls aus. Diejenigen, die abgewandert sind, sind nicht so leicht kurzfristig zu ersetzen. Der Fachkräftemangel, den es nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Branchen gibt, hängt aber nicht nur mit Corona zusammen, er ist zum Beispiel auch generationenbedingt. Auch durch den Krieg in der Ukraine sind viele osteuropäische Arbeitskräfte dort gebunden.
Das sind drei Punkte, dazu kommt aktuell die allgemeine Preisentwicklung und die Inflation, die wir alle auch zu Hause spüren. Die Energiepreise, Transport- und Produktionskosten sind sehr dynamisch gestiegen. In den letzten zwei Jahren haben wir eine Preissteigerung von etwa 40 Prozent bei den Produktionskosten gesehen. Das ist wirklich enorm. Und das alles führt dann dazu, dass Konzerttickets letztlich teurer geworden sind. Die Tickets sind übrigens nicht so stark teurer geworden, dass es die Kostensteigerung auffangen würde. Das merkt man nicht bei solchen Superstar-Konzerten wie von
Also profitieren die kleineren Veranstaltungsorte und Künstler:innen nicht von dem Hype, den es aktuell um die Konzerte der Superstars gibt?
Die kleineren Clubs und Künstler:innen, die ein preissensibleres Publikum haben, leiden stärker unter den Preissteigerungen. Jede und jeder spürt die Inflation bei den täglichen Ausgaben. Die Menschen geben ihr Geld nur einmal aus und gehen dann vielleicht noch zu Adele, aber danach nicht mehr in einen kleinen Club, der die Einnahmen auch gut gebrauchen könnte. Die kleinen Veranstaltungen haben gerade alle ganz schön zu knapsen.
Das macht uns Sorgen, weil uns das Konzertleben in den kleinen Clubs sehr wichtig ist. Wir nennen das den "Circle of Life": auch die ganz Großen haben irgendwann klein angefangen. Auch Sängerin Adele wird irgendwann vermutlich mal an einem Mittwochabend vor 50 Leuten gespielt haben. Das sind die Geschichten, die für das Ökosystem Musikwirtschaft tragend sind. Insofern schauen wir auf der einen Seite mit Freude darauf, dass einzelne Superstars ihren verdienten Erfolg haben. Auf der anderen Seite macht uns das kleinteilige Geschäft Sorgen.
Adele wird gleich zehn Konzerte in München spielen, über die gigantische Tour von Taylor Swift haben Sie bereits gesprochen. Trotz der hohen Preise sind die Tickets immer in kürzester Zeit vergriffen. Wie erklären Sie sich den Hype um die Konzerte der Superstars?
Dazu muss man etwas weiter ausholen. Wir haben in der Musikbranche schon lange ein Phänomen, das sich "Superstar-Markt" nennt. Im Live-Bereich genauso wie im Streaming- oder Plattenbereich. Was bedeutet, dass sich der Erfolg überproportional auf ganz wenige Künstler:innen konzentriert. Der Begriff geht auf den amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Alan B. Krueger und sein Buch "Rockonomics" zurück. Dieses "Superstar-Markt"-Phänomen kann überall dort beobachtet werden, wo es ein sehr spezielles Produkt gibt und gleichzeitig eine große Reichweite. Zum Beispiel auch im Fußball, wo es wenige Weltstars gibt, die unglaublich viel Kohle verdienen. Und wahnsinnige viele Fußballer, die sich im Mittelfeld bewegen oder von dem Sport nicht leben können.
Durch das Streaming wurde dieser Effekt verstärkt. Wenn Künstler:innen einen Track veröffentlichen, kann über das Streaming eine wahnsinnige Reichweite erreicht werden. Diese Exzellenz spielt sich dann überproportional aus. Im Live-Geschäft ist es ähnlich, da gibt es ganz wenige Künstler:innen, die ihr Produkt so skalieren können. Nicht jede oder jeder kann zehn Shows am Stück spielen wie Adele. Das konzentriert dann eben Teile des Marktes.
Welche Folgen hat diese Konzentration des Marktes?
1982 hat das eine Prozent an der Spitze des Marktes 26 Prozent der Konzert-Einnahmen verdient, 2022 fielen bereits 60 Prozent der Einnahmen auf dieses eine Prozent an der Spitze. Das trifft genauso auf die Streaming-Einnahmen und Plattenverkäufe zu. Ein Prozent der Künstler:innen beherrscht also den Markt und schöpft den größten Teil der Einnahmen ab. Das ist der "Superstar-Markt".
Früher gab es noch das Musikfernsehen, wo Redaktionen dem Publikum jede Woche neue Songs nach ihrem Geschmack vorgeschlagen haben. Heute schlagen einem Algorithmen Songs vor, die sehr nah an dem sind, was man schon zuvor gehört hat. Das behindert das Entdecken von Neuem und sorgt dafür, dass bereits etablierte Musik in ihrer Wirkung noch weiter nach vorne gespült wird. Diese Algorithmen sorgen dafür, dass Künstler:innen, die einmal die Spitze erreicht haben, immer wieder gehört werden. Weshalb Adele oder Metallica noch jahrelang ausverkaufte Konzerte spielen werden können.
Die bereits mehrfach erwähnte Taylor Swift ist ein anderes Beispiel dafür…
Sie macht sehr vieles sehr richtig. Taylor Swift ist extrem gut in der Ansprache und Bindung ihrer Fans und sie aktiviert geschickt ihre sogenannten "Super-Fans". Es ist Teil des Verkaufsmodells, dass man als Fan registriert und engagiert sein muss und dann die Möglichkeit bekommt, Tickets zu kaufen. Es gibt nur wenige, die es schaffen, ihr Publikum so stark zu binden. Und dann hat Taylor Swift noch ein Momentum auf ihrer Seite, ihre Musik trifft gerade den Zeitgeist. Glück und Unkalkulierbares spielen immer eine Rolle, auch das ist ein Teil der "Rockonomics". Sie handelt insgesamt wirtschaftlich geschickt. Wie Taylor Swift ihr Geschäft diversifiziert und aufbaut, wie sie ihr Merchandising und ihre Alben mit Zusatzprodukten verlängert, Lizenzen und Side-Products vermarktet, das sieht man so sehr selten. Alles das zahlt auf die Verbindung mit den Fans ein. Und diese Fans wollen dann zu den Konzerten, was den wahnsinnigen Run auf die Tickets erklärt.
Ein Ticket für Taylor Swift oder Adele zu kaufen ist ebenfalls nicht mehr so einfach wie früher. Man muss sich oft vorab registrieren, braucht einen Code oder eine App, um überhaupt in den Verkauf zu kommen. Warum ist das so?
Das hat viel mit dem Schwarzmarkt zu tun. Gerade bei Konzerten wie von Adele oder Taylor Swift haben wir ein echtes Schwarzmarktproblem. Da gibt es Plattformen wie beispielsweise Viagogo oder auch andere, die teilweise illegale Geschäftspraktiken unterstützen. Es werden Tickets zu Mondpreisen verkauft, was sowohl die Künstler:innen als auch die Fans und Veranstalter:innen frustriert. Für die Fans wird es wahnsinnig teuer, die Veranstalter:innen bekommen mit ihren normalen Tickets die Kosten nicht gedeckt. Solche Tickets helfen niemandem, außer den Schwarzhändler:innen. Für die Künstler:innen ist das frustrierend, weil ihnen Gier vorgeworfen wird, obwohl sie die Preise gar nicht in diese Höhen geschraubt haben.
Dann kommt noch dazu, dass viele dieser Plattformen die Kundinnen und Kunden betrügen. Da werden Tickets verkauft, bevor ein Konzert überhaupt in den offiziellen Vorverkauf gegangen ist. Das sind Leerverkäufe, bei denen es sein kann, dass die Händler:innen noch so weit redlich sind, dass sie dann wenigstens noch versuchen, ein Ticket für die Käuferin oder den Käufer zu erwerben. Aber zum Teil passiert noch nicht mal das, die Menschen bleiben auf ihrem bezahlten Geld sitzen. Dazu kommen dann noch gefälschte Tickets, mit denen Leute bei den Konzerten erscheinen. Ein Weg, sich mit diesem Schwarzmarkt auseinanderzusetzen, sind personalisierte Tickets. Man bringt die Leute dazu, sich zu identifizieren und weiß, an wen man Tickets verkauft. Dann sieht man, ob es ein Schwarzhändler ist oder ein echter Fan.
Der größte Verkäufer von Konzerttickets in Europa ist Eventim, das Unternehmen steht aufgrund seiner Marktmacht immer wieder in der Kritik und auch unter Verdacht, die Preise durch zusätzliche Gebühren oder unterschiedlichste Ticketkategorien in die Höhe zu treiben. Wie sehen Sie diese Vorwürfe?
Eventim hat sich über die Jahre eine sehr breite Position am Markt erarbeitet. Eventim hat den Ticketverkauf in Deutschland digitalisiert und gleichzeitig auch in das Live-Geschäft und Venues investiert. Das war eine sehr funktionierende, wirtschaftliche Strategie und ist nicht vorwerfbar. Es wird immer wieder gesagt, dass die hohen Ticketpreise mit der Marktmacht Eventims zusammenhängen. Das würde ich aber so nicht sehen. Denn letztlich entstehen die Ticketpreise nicht durch CTS Eventim, sondern weil Künstler:innen, Agenturen und Managements sich die Preise für solche Touren ausdenken und damit auf Veranstaltende zugehen und diese das dann umsetzen lassen.
Insofern liegt die Frage, wie hoch so ein Preis bemessen wird, irgendwo in dem Feld zwischen Künstler:innen, Management, Agentur und Veranstalter:innen und nicht bei den Ticketverkäufern. Dort werden die Ticketkategorien definiert, es gibt auch Künstler:innen, die bei Stadionkonzerten Einheitspreise verlangen und die dann so bei Eventim verkauft werden. Insofern kann man das nicht auf den Ticketverkäufer schieben.
Künstler wie Neil Young oder The Cure haben sich in der Vergangenheit mit Ticketmaster angelegt, vor allem wegen der Praxis des "Dynamic Pricing", bei der die Preise an das Interesse angepasst werden. Sind diese Proteste für Sie nachvollziehbar?
Auch hier ist es nicht die Entscheidung von Eventim oder Ticketmaster, ob sie "Dynamic Pricing" machen oder nicht. Beispielsweise hat der "Boss" Bruce Springsteen "Dynamic Pricing" bei einer seiner letzten Konzerttouren angewendet, was für viel Aufsehen gesorgt hat, da die Preise für einzelne Tickets bis auf 5.000 Euro angestiegen sind. Allerdings möchte ich relativieren, dass lediglich elf Prozent der Tickets im "Dynamic Pricing" verkauft worden sind und 89 Prozent eben nicht. Trotzdem wurde das mit sehr viel Aufmerksamkeit betrachtet. Wir kennen es von der Deutschen Bahn, von Flug- oder Hotelpreisen, dass sich Preise algorithmusbasiert entwickeln. Aber wir glauben nicht, dass das in der Form auf dem deutschen Markt für Konzerttickets funktionieren kann, denn das Publikum würde es nicht akzeptieren. Und das Beispiel von Neil Young und The Cure steht stellvertretend dafür, dass auch viele Künstler:innen gegenüber dem "Dynamic Pricing" sehr kritisch sind.
Glauben Sie, dass sich der Trend zu immer größeren und teureren Konzerten fortsetzen wird oder gibt es irgendwann eine Übersättigung?
Das ist eine gute Frage. Schauen wir mal in andere Branchen: Werden die Menschen weiterhin reisen? Wird es in Zukunft noch ein Shopping-Wochenende in New York für 499 Euro geben? Während Corona hatte ich das Gefühl, dass alles etwas ruhiger und an manchen Stellen vernünftiger wird. Aber jetzt haben wir wieder die Verhaltensmuster wie davor, manches hat sich sogar noch gesteigert. Das "Größer, Schneller, Weiter" ist ein bisschen Teil unserer Gesellschaft und Mentalität. Es wäre schön, wenn wir das an der einen oder anderen Stelle hinterfragen würden.
Wir sehen, dass viele Künstler:innen und Veranstalter:innen bei Themen wie Nachhaltigkeit und Diversität sehr engagiert sind und nach Wegen suchen, wie sich gesellschaftliches Be-wusstsein und Verantwortung mit Kostenfragen in Einklang bringen lassen. Die Veranstaltungswirtschaft kann für den Wandel eine tragende Rolle spielen, weil sie für ihr Millionenpublikum auch Wertevermittlerin und gesellschaftliches Experimentierfeld ist und das als Vorbild nutzen kann. Und bei uns sind schon andere große Entwicklungen geboren worden.
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Über den Gesprächspartner
- Johannes Everke ist seit Januar 2023 Geschäftsführer des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft e.V. (BDKV). Der Jurist und Kulturmanager mit einem beruflichen Hintergrund von Oper, Konzert, Kulturverwaltung und Wirtschaftsförderung war zuvor im Hamburger Stadtmarketing tätig.
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