Was für ein Abend: Bei der in allen Bereichen ungewöhnlichen Verleihung des Deutschen Filmpreises räumt der Film "Systemsprenger" am späten Freitagabend eine Lola nach der anderen ab, darunter die des besten Films. Trotz leerer Zuschauerstühle war es ein kurzweiliger Abend – weil sich Edin Hasanovic die Seele aus dem Leib moderierte. So lief die Verleihung der Lolas im Überblick.

Eine Kritik

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Ausgerechnet. Ausgerechnet zum Siebzigsten muss der Deutschen Filmpreis ganz alleine feiern. Gut, nicht ganz alleine. Zwar gibt es an diesem Freitagabend in Berlin keine Gäste in den Zuschauerrängen, aber es gibt Laudatoren, manche von ihnen sogar vor Ort. Und es gibt Nominierte und Preisträger, die per Videochat zugeschaltet sind. Vor allem aber gibt es Edin Hasanovic.

Der kommt mit einem kleinen Geburtstagskuchen und tänzelt minutenlang über die Bühne, während im Hintergrund Filmszenen vergangener Jahre von riesigen Bildschirmen flimmern. "Das tut so gut, sich die letzten Tage und Wochen von der Seele zu tanzen. Es ist 22:30 Uhr und ich glaube, mein Name ist Edin Hasanovic", keucht Hasanovic nach seiner Tanzeinlage. Und dann geht sie los, die 70. Preisverleihung der Lolas. Der Abend im Überblick.

Der Preis:

Der Deutsche Filmpreis ist der wohl wichtigste Filmpreis des Landes und wird seit 1951 verliehen. Wer einen Preis bekommt, bestimmen die Mitglieder der Deutschen Filmakademie.

Mit insgesamt knapp drei Millionen Euro an Preisgeldern ist der Gewinn einer Lola nicht nur fürs Renommee gut, sondern auch für den Geldbeutel. So bringt der Gewinn eines Preises 10.000 Euro ein, für die Gold-Lola als bester Spielfilm gibt es sogar 500.000 Euro.

Die Nominierten:

Bei so vielen Nominierungen war abzusehen, dass der eine oder andere Preis hängenbleiben würde. "Systemsprenger" mit Helena Zengel und Albrecht Schuch in den Hauptrollen erhielt stolze zehn Nominierungen, "Berlin Alexanderplatz" mit Welket Bungué sogar elf. Ebenfalls gut im Rennen waren "Lindenberg! Mach Dein Ding", "Es gilt das gesprochene Wort" und "Ich war noch niemals in New York."

Die Show:

Eine Preis-Gala? In diesen Zeiten? Darf man das? Und wenn ja, wie? Mann darf, man muss sogar. Denn es geht bei der Verleihung ja nicht darum, dass irgendeine Show stattfindet, sondern dass Künstler für ihre Leistungen geehrt werden. Leistungen, die auch und gerade in schwierigen Zeiten das Leben leichter, angenehmer, bereichernder, tiefgründiger, unterhaltsamer, einfach lebenswerter machen.

Das findet auch der Präsident der Filmakademie, Ulrich Matthes, als er auf der Bühne über die beiden Ziele des Abends spricht. Der soll "ganz einfach ein bisschen Freude machen und zweitens Ihnen allen zurufen: Das Kino soll leben und nicht nur am heutigen Abend. (…) Ich bin mir bewusst, dass es vielen Menschen schlecht geht und dass sie sich Sorgen machen", erklärt Matthes und ergänzt: "Vergesst die Kultur nicht, vergesst die Künste nicht: Sie sind wichtig zum Leben."

Da in Corona-Zeiten aber eine Gala, wie man sie kennt, nicht möglich ist, hat Moderator Edin Hasanovic die große Bühne weitgehend für sich. Ein DJ sorgt in gebührendem Abstand für die Musik und gelegentlich schneien Laudatoren wie Ronald Zehrfeld oder Iris Berben vorbei, andere Laudatoren wie Anke Engelke oder Emilia Schüle sind wie sämtliche Nominierte und Preisträger nur per Video zugeschaltet. Als einziger wirklicher Show-Act tritt Gregory Porter via Handyvideo auf.

Ansonsten ist alles auf der dunklen Bühne mit dem schwarzen Lackboden sehr reduziert. Die Show-Regie arbeitet lieber mit allem, was auch einen Film erst zu einem guten Film macht: das passende Zusammenspiel aus Schnitt, Bild, Ton, Kulisse, Requisite, Wort, den Darstellern – und in diesem Fall Moderator Edin Hasanovic.

Die Moderation:

Er tanzt, er kalauert, er schauspielert, hält Reden, erzählt Witze, er frotzelt mit den Gästen, er improvisiert, er wird ernst, er wird politisch, dann wieder unterhaltsam – Edin Hasanovic füllt die 2.400 Quadratmeter große Halle fast ganz alleine. Er war das Beste, was dieser ungewöhnlichen Preisverleihung passieren konnte, weil er auch das Beste aus dieser ungewöhnlichen Preisverleihung herausholte.

"Diese Sendung wird … Diese Sendung wird. Bitte bleiben sie dran", witzelte Hasanovic noch am Anfang, vielleicht, weil er sich selbst nicht zutraute, diesen mehr als zweistündigen Solo-Ritt hinzubekommen. Aber er bekam ihn hin und wie. An diesem Abend war ER die Show.

Der beste Moment des Abend:

Jeder mit Edin Hasanovic. Eigentlich. Aber es gab einen Moment, da verschlug es selbst dem sonst so redegewandten Schauspieler die Sprache. Es war der Moment, in dem die elfjährige Helena Zengel erfährt, dass sie für ihre Rolle in "Systemsprenger" mit der Lola ausgezeichnet wird.

Zengel sitzt im Paillettenkleid am Küchentisch und hört Hasanovic per Videochat zu, wie er sie zur Gewinnerin kürt. Der Rest ist unbändige Freude, wie sie wohl nur ein Kind so authentisch zeigen kann.

"Danke Mama", sagt Zengel, als sie sich wieder gefangen hat, zu ihrer Mutter, die im Hintergrund vor Freude mitgeschrien hat. Da schießen irgendwann Hasanovic die Tränen der Rührung in die Augen.

Die Gewinner:

"Was für ein krasser Typ bist du denn?", fragt Edin Hasanovic rein rhetorisch Albrecht Schuch, als der bereits die zweite Lola an diesem Abend bekommt. Das gleiche Kunststück gelingt Nora Fingscheidt für Regie und Drehbuch zu "Systemsprenger" - dem absoluten Abräumer des Abends. Insgesamt neun Lolas gewinnt der Film in den verschiedenen Kategorien.

Die Gewinner im Überblick:

  • Bester Spielfilm: Gold: "Systemsprenger"
  • Silber: "Berlin Alexanderplatz"
  • Bronze: "Es gilt das gesprochene Wort"
  • Bester Dokumentarfilm: "Born in Evin"
  • Bester Kinderfilm: "Als Hitler das Rosa Kaninchen stahl"
  • Beste Regie: Nora Fingscheidt, "Systemsprenger"
  • Bestes Drehbuch: Nora Fingscheidt, "Systemsprenger"
  • Beste weibliche Hauptrolle: Helena Zengel, "Systemsprenger"
  • Beste männliche Hauptrolle: Albrecht Schuch, "Systemsprenger"
  • Beste weibliche Nebenrolle: Gabriela Maria Schmeide, "Systemsprenger"
  • Beste männliche Nebenrolle: Albrecht Schuch, "Berlin Alexanderplatz"
  • Beste Kamera/Bildgestaltung: Yoshi Heimrath, "Berlin Alexanderplatz"
  • Bester Schnitt: Stephan Bechinger und Julia Kovalenko, "Systemsprenger"
  • Beste Tongestaltung: Corinna Zink, Jonathan Schorr, Dominik Leube, Oscar Stiebitz, Gregor Bonse, "Systemsprenger"
  • Beste Filmmusik: Dascha Dauenhauer, "Systemsprenger"
  • Bestes Szenenbild: Silke Buhr, "Berlin Alexanderplatz"
  • Bestes Kostümbild: Sabine Böbbis, "Lindenberg! Mach dein Ding"
  • Bestes Maskenbild: Astrid Weber, Hannah Fischleder, "Lindenberg! Mach dein Ding"
  • Beste visuelle Effekte und Animation: Jan Stoltz, Claudius Urban, "Die Känguruh-Chroniken"
  • Besucherstärkster Film: "Das perfekte Geheimnis"
  • Ehrenpreis: Edgar Reitz
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