Mit "Meine neue Freundin" lässt RTL Christian Ulmens kurzlebigen Fremdscham-Klassiker neu aufleben. Das tut heute noch genauso weh wie vor 20 Jahren.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Felix Reek dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Da sitzt er wieder. Uwe Wöllner. Kappe, Zahnprothese und Helmut-Kohl-Brille, aber ganz unironisch, wie er in die Kamera nuschelt. Uwe Wöllner war einer der Charaktere, mit denen Christian Ulmen nach seiner Zeit bei MTV in Deutschland seine Karriere als Mann, der erst da anfängt, wo es ganz dolle weh tut, im Mainstream-Fernsehen begann. 2005 drehte er neun Folgen von "Mein neuer Freund", eine Adaption des britischen Formats "My New Best Friend", auf ProSieben.

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In der Show schlüpfte Ulmen in die Rolle von besonders unangenehmen fiktiven Zeitgenossen. Ein erfolgloser Alleinunterhalter, ein herablassender Adliger, ein Alienjäger oder eben Uwe Wöllner, arbeitsloser Videospiel-Junkie, der besonders gerne über Sex redet, obwohl er keinen hat. Drei Tage lang mussten die Kandidaten von "Mein neuer Freund" diese Figuren in ihrem Umfeld als neuen Partner ausgeben, ohne zu wissen, dass Ulmen eine Rolle spielt, aufgezeichnet von versteckten Kameras. Als Preis winkten 10.000 Euro.

Sonderlich erfolgreich war "Mein neuer Freund" nicht. Ebenso wie das britische Original verschwand die Serie nach nur einer Staffel. ProSieben wollte sie sogar nach der ersten Folge aus dem Programm nehmen, gab aber einer Fan-Petition nach. Christian Ulmens ganz spezieller Humor, der sich noch heute durch seine Serienschöpfung "Jerks" zieht, war für ein breites Publikum zu schmerzhaft, getreu dem Motto: Lustig ist es erst, wenn keiner mehr lacht.

Aus "Mein neuer Freund" wird "Meine neue Freundin"

So ist es eine Überraschung, dass ausgerechnet RTL das Format zurückbringt. Ein Sender, der nicht gerade dafür bekannt ist, nischiges Fernsehen zu unterstützen. Christian Ulmen ist bei der Neuauflage nicht mehr in Aktion, er steht als "Berater" zur Verfügung und stellt zu Beginn jeder Folge die Rolle von Comedian Luisa Charlotte Schulz vor, die seinen Part vor der Kamera übernimmt - aus "Mein neuer Freund" wird "Meine neue Freundin".

Folge eins startet mit einer weiblichen Variante von Uwe Wöllner: Cordula, als Informatikerin reich geworden, "auf eine entspannte Art hemmungslos", sie glaubt an "Schildkrötenwiedergeburt", erklärt Christian Ulmen. Ihr Opfer ist der Berliner Timucin. Groß, trainiert, ganz in Schwarz, mit einem großen "Karl Lagerfeld"-Schriftzug auf dem T-Shirt. Cordula, Brille, Pickel, leiernde Stimme, schlurft mit einer Stoffschildkröte im Arm auf ihn zu.

Es ist das erste Mal, dass Timucin in "Meine neue Freundin" die Gesichtszüge entgleisen und ihm klar zu werden scheint, worauf er sich die nächsten Tage eingelassen hat. Seine Freundin Alexandra, die neben ihm steht, reißt entsetzt die Augen auf.

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Über die Grenzen des Erträglichen hinaus

Das ist aber nur der Auftakt für das, was Timucin für die Aussicht auf 10.000 Euro und eine Stunde im Fernsehen bevorsteht. "Mein neuer Freund" und das Nachfolgeformat "Ulmen TV" waren eben nicht nur so gut, weil sie bis an die Grenzen des Erträglichen und darüber hinaus gingen, sondern weil die erdachten unangenehmen Figuren den echten Menschen um sich herum selbst unangenehme Seiten entlockten.

So outete sich beispielsweise ein bayerischer Bürgermeister als homophob und fremdenfeindlich, die Eltern einer Kandidatin rissen einen sexistischen Witz nach dem nächsten.

Bei Timucin ist es die bisherige oberflächliche Auswahl seiner Partnerinnen, die sich durch die gesamte Folge zieht. Seine Freundin Alexandra fasst sie so zusammen: "Sex sells." Der Kommentar von Cordula: "Wir haben auch viel Sex." Dann erklärt sie, dass sie Timucin für die Wiedergeburt ihrer Schildkröte Timon hält und schlägt vor, dass man beim nächsten Treffen doch zu dritt Sex haben könnte. Bereits nach zwei Stunden sitzt Timucin da und weiß nicht mehr, was er sagen soll.

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"Ich wollte nicht mehr da sein. Ich wollte, dass alles endet"

Luisa Charlotte Schulz, die als Comedian bisher eher Witze über den pfälzischen Dialekt oder reservierte Liegen am Strand gemacht hat, fängt da erst an. Sie lässt Timucin im Schildkrötenkostüm durch seine Wohnung tanzen, wie eine rollige Echse stöhnen, klingelt ihn im Stundentakt aus dem Bett. Noch schlimmer sind die Begegnungen mit Freunden und Familie, denen Timucin erklären muss, er werde jetzt Hausmann - während er eine Schildkrötenmaske über den Kopf gestülpt hat. Irgendwann sagt er entnervt: "Ich wollte nicht mehr da sein. Ich wollte, dass alles endet."

Aber natürlich endet es nicht. "Mein neuer Freund" und jetzt "Meine neue Freundin" sind so ungewöhnlich, weil sie nicht nur das Konzept der versteckten Kamera pervertieren, sondern auch eine Satire auf den menschlichen Geltungsdrang sind. Ein Thema, das im Zeitalter von Social Media relevanter ist als je zuvor. Die grundsätzlichen Fragen sind dieselben wie vor 20 Jahren: Was sind wir alles bereit zu tun, wenn eine Kamera läuft? Wann endet die persönliche Würde? Wann die der Menschen, die einem am nächsten stehen?

Timucin lernt in "Meine neue Freundin" eine harte Erkenntnis: "Es war gar nicht mehr lustig. Ich habe mich persönlich als Charakter infrage gestellt", sagt er nach den drei Tagen mit Cordula. Aufgehört hat er trotzdem nicht. Die nächsten Folgen werden zeigen, ob die anderen Kandidaten auch so weit gehen.

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