An kaum einem Genre scheiden sich die Geister so sehr wie an der Musical-Verfilmung. Für viele ist die Verbindung von Schauspiel, Tanz und Musik ein Fest der Sinne. Anderen dreht sich der Magen um, sobald jemand in einem Spielfilm anfängt, seinen Text zu singen. Ich gehöre eindeutig zur letzteren Gattung – und habe mich trotzdem in "Into the Woods" gewagt.
Pressevorführungen sind eigentlich etwas Tolles: Man darf sich im Kino umsonst einen Film ansehen, der erst in ein paar Wochen offiziell erscheint. Ein Getränk gibt es meistens auch noch dazu. Und wenn der Film schlecht ist, kann man wenigstens einen Verriss schreiben. Das macht ohnehin viel mehr Spaß, als irgendetwas über den grünen Klee zu loben.
So erträgt man bereitwillig Machwerke wie "Ninja Turtles", "Transformers" oder "Hercules". Alles kein Problem. Ich persönlich habe allerdings eine klare Schmerzgrenze: Sobald die Darsteller sich gegenseitig ansingen, anstatt vernünftig miteinander zu sprechen. Ich weiß, dass es bestimmt ganz hervorragende Musicals und Musical-Verfilmungen gibt, die eine Menge Leute große Klasse finden. Ich für meinen Teil ertrage nicht einmal 20 Minuten "Sweeney Todd". Und der soll ja wirklich spitze sein. Ehrlich, ich habe es versucht.
Die neue Disney-Produktion "Into the Woods" wird mir als großes Ding verkauft. Zumindest der Cast gibt einiges her:
Wann hält Meryl Streep die Schnauze?
Als mir kurz darauf klar wird, worauf ich mich eingelassen habe, ist es zu spät. Weil die Vorführung in wenigen Stunden beginnt, wäre eine spontan einsetzende Grippe-Infektion wenig glaubhaft. Eine Erkrankung meiner Großtante zu fingieren erscheint mir pietätlos. Soweit ich weiß habe ich auch gar keine - und mein Repertoire an verblichenen Großmüttern ist längst erschöpft. In Ermangelung von Schnaps trinke ich einen doppelten Espresso und begebe mich "Ab in den Wald", wie das deutsche Libretto des Musicals heißt. Den Begriff "Libretto" entnehme ich übrigens dem zugehörigen Presseheft. Wikipedia erklärt mir später, dass es sich dabei um den "Text einer Oper, eines Oratoriums, einer Operette, eines Musicals oder einer Kantate" handelt. Wenigstens was gelernt!
Schon nach wenigen Sekunden wird losgesungen, was die Tonleiter hält. Ich beginne mich im Kinosessel zu winden. Auch die optisch durchaus imposanten Bilder können daran nichts ändern. "Wann hält Meryl Streep endlich die Schnauze", denke ich mir irgendwann. Beinahe schäme ich mich dafür. Schließlich ist hier von einer dreifachen Oscar-Preisträgerin die Rede. Blasphemische Gedanken suchen mich heim.
Ich reiße mich zusammen und versuche, dem Film eine Chance zu geben. Im Musical wird eben gesungen. Es für genau diesen Umstand zu kritisieren wäre genauso sinnwidrig, wie sich bei einem Jazz-Konzert über den Einsatz von Blasinstrumenten zu beklagen. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass "Into the Woods" als klassischer Märchenfilm viel besser funktioniert hätte. Die Handlung ist nämlich wirklich witzig. In einem Wald treffen diverse Figuren aus bekannten Märchen aufeinander, sodass sich ihre eigentlich unabhängigen Geschichten miteinander verweben.
Bitte nicht noch mehr Musical
Beispielsweise sind der Prinz aus "Aschenputtel" und der Prinz aus "Rapunzel" hier liebestrunkene Brüder, die wirken wie eine Karikatur von Siegfried und Roy. Dazu ist das Ganze äußerst liebevoll inszeniert. Einzig das ewige Gesinge zieht den Film wie Kaugummi in die Länge. Das höre ich hinterher übrigens auch von Musical-Affineren Kollegen. Unter anderem liegt das daran, dass die Lieder ziemlich eintönig und nervig sind. Bei "Jesus Christ Superstar" oder "Westside Story" ist das scheinbar anders. Kann und will ich aber selbst nicht beurteilen. Dazu müsste ich mir schließlich noch mehr Musical zu Gemüte führen.
Nach über zwei Stunden habe ich es endlich überstanden und muss sagen, dass nicht alles an "Into the Woods" so schrecklich war wie befürchtet. Meine grundlegende Meinung zu Musicals hat sich aber nicht geändert. Auch wenn mich das zu einem ignoranten Banausen macht.
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