Sven Voss kennen viele TV-Zuschauer vor allem als Moderator des "Aktuellen Sportstudios". Nun begibt er sich erneut in echten Kriminalfällen auf Spurensuche. Unsere Redaktion hat mit Voss über die Sendung "XY gelöst" sowie das Mutterformat "Aktenzeichen XY … Ungelöst" gesprochen und dabei erfahren, dass er sich persönlich Brutalität im Fernsehen nicht gut anschauen kann.
Herr
Sven Voss: Das stimmt. "Aktenzeichen XY … Ungelöst" ist im ZDF nach wie vor die Marke, wenn es um die Aufklärung von Verbrechen geht – und das seit nunmehr fast 60 Jahren. Die Zusammenarbeit zwischen den Staatsanwaltschaften, den Ermittlern und der Redaktion ist über die Jahre sehr gewachsen. Bei "XY gelöst" bedienen wir uns jener Fälle, die lange Zeit sogenannte "Cold Cases" waren, also nicht gelöst werden konnten. Es geht ausschließlich um Tötungsdelikte, die inzwischen aber allesamt doch gelöst wurden – auch mithilfe der Kriminaltechnik.
Warum war es dem ZDF und Ihnen wichtig, diese Fälle noch einmal zu beleuchten?
Das Gute an "XY gelöst" ist, dass es am Ende wirklich gelöst ist. Mit dieser Reaktion wurde ich bereits im Anschluss an die erste Staffel im vergangenen Jahr konfrontiert. Der grundsätzliche Tenor war: Das macht die Opfer nicht wieder lebendig, aber immerhin kommen die Täter letztendlich hinter Schloss und Riegel. Das ist auch diesmal bei den insgesamt vier Fällen, die wir an zwei Abenden behandeln, wieder unser Ansatz gewesen.
In der ersten Folge geht es um "Mörderische Konflikte", in der zweiten um "Verwischte Spuren". Was macht die Fälle für den Zuschauer so faszinierend?
Da jede der zwei Folgen 90 Minuten lang ist, hatten wir relativ viel Zeit, die jeweiligen Fälle nachzuerzählen und den Lösungsweg zu zeigen. Wie man es von "Aktenzeichen XY … Ungelöst" bereits kennt, zeigen wir die Fälle in Reenactment-Form. Das heißt, dass Schauspieler die Szenen, abgeglichen mit der Polizei, authentisch nachstellen. Zwischendurch bin ich als Reporter vor Ort und treffe mich mit ermittelnden Kommissaren, Staatsanwälten oder Seelsorgern an den Tatorten. In diesen Interviews habe ich gespürt, dass es für die meisten Beteiligten der "Fall des Lebens" war – auch noch nach so vielen Jahren. Diese Menschen haben noch jedes Detail präsent und sie erzählen den Hergang so, als wäre die Tat erst gestern geschehen. Das hat mich sehr beeindruckt.
Welche Fälle haben Sie als besonders prägend empfunden?
Entscheidend ist die Unterschiedlichkeit dieser emotionalen Fälle. Wir haben es zum Beispiel mit einem Ehrenmord zu tun. Unfassbarerweise wurde eine Mutter von sechs Kindern umgebracht, weil es die Familie so beschlossen hatte. Diese Familie stammt aus einem anderen Kulturkreis, aber die Tat fand mitten in Deutschland statt. Die Behörden hatten große Schwierigkeiten, dahinterzukommen. Letztendlich fanden sie heraus, dass der eigene Sohn an der Ermordung der Mutter beteiligt war. Dieser Fall macht einen fassungslos – genauso wie der einer verschwundenen Mutter, die die Familie nach Angaben ihres Mannes aus freien Stücken verlassen haben soll. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Frau längst tot war und vom Täter im eigenen Haus sozusagen vergraben wurde. Wir beleuchten auch, wie die Hinterbliebenen, in diesem Fall die Kinder, mit dieser Tragödie zurechtkamen.
Wie wurde der Spagat gemeistert, eine wahre Geschichte möglichst spannend zu erzählen und dennoch auf die Schicksale der Hinterbliebenen Rücksicht zu nehmen?
Keine Frage, es ist definitiv eine Gratwanderung. Wir dürfen nicht vergessen, dass es hier nicht um Hollywood oder fiktive Krimis geht. Es sind echte Fälle, echte Schicksale, echte Gefühle und echte Trauer. Damit darf man nicht spielen. Gleichzeitig war es uns wichtig, die Fälle so darzustellen, wie sie auch stattgefunden haben. Eine gewisse Brutalität, die wir im Ansatz auch zeigen, spielt also durchaus eine Rolle. Aber: Wir übertreiben nichts und arbeiten stets sehr eng mit den Ermittlern zusammen. Das Vertrauen, das wir uns aufgebaut haben, werden wir auf keinen Fall missbrauchen.
Hatten die Hinterbliebenen ein Mitspracherecht?
Nicht in allen Fällen, aber zumeist ist das so. Zumindest versuchen wir immer, mit den Hinterbliebenen Kontakt aufzunehmen. In der Regel ist es so, dass die Fälle bereits bei "Aktenzeichen XY … Ungelöst" vorgestellt wurden. Allerdings muss man sehr behutsam vorgehen. Ich kann gut verstehen, wenn Betroffene der nochmaligen Konfrontation mit der jeweiligen Tat aus dem Weg gehen wollen, weil sie das zu sehr aufwühlen würde. Tatsächlich haben wir aber mit Hinterbliebenen sprechen können und auf diese Weise Informationen aus erster Hand erhalten. Kurzum: Wir versuchen, diese Geschichten so realistisch, seriös und emotional zu erzählen, wie sie abgelaufen sind.
Letztendlich hat diese Herangehensweise bereits dazu beigetragen, dass Kapitalverbrechen doch noch aufgeklärt werden konnten. Welchen Anteil haben die "XY"-Zuschauer an der Aufklärung von Kriminalfällen? Gibt es konkrete Zahlen?
Diese Zahlen werden nicht veröffentlicht. Aber Polizei und Staatsanwaltschaft greifen nun schon seit vielen Jahren auf die Möglichkeit zurück, diese Fälle bei "Aktenzeichen XY … Ungelöst" vor einem Millionenpublikum vorzustellen. Das würde man nicht machen, wenn man sich davon nichts versprechen würde. Oft gehen nach einer Ausstrahlung Hunderte oder sogar Tausende Hinweise ein. Natürlich ist nicht jeder Aufruf ein Treffer, doch es entstehen viele wertvolle Hinweise – weil die Menschen dank der Mittel des Fernsehens an Dinge oder Bilder erinnert werden, die sie im Laufe der Jahre vielleicht vergessen oder denen sie bislang keine Bedeutung beigemessen hatten.
Wie nah lassen Sie die Fälle emotional an sich heran?
Auf der einen Seite bin ich der Journalist, der das Drehbuch kennt und Fragen stellt. Mich interessiert die Herangehensweise der Ermittlerinnen und Ermittler. Auf der anderen Seite bin ich natürlich auch nur ein Mensch und Familienvater. Ich persönlich kann mir Brutalität und Ungerechtigkeiten im TV nicht gut anschauen – da bin ich eher zart besaitet. Insofern musste ich schon eine professionelle Wand für mich aufbauen und abstecken. Letztendlich haben es mir die Gespräche mit den erfahrenen Kriminalisten und Psychologen wiederum leichter gemacht.
Haben Sie auch im Kreise Ihrer Familie darüber gesprochen?
Ja, ich habe die Dinge schon mit nach Hause genommen und von meiner Familie Verständnis dafür bekommen, dass ich darüber reden wollte. Ich glaube, dass es keinem guttut, wenn man es nur für sich behält. Das gilt für die Ermittler ebenso wie für mich als Reporter. Darüber zu sprechen, ist schon auch wichtig.
Man kennt Sie als Moderator des "Aktuellen Sportstudios". In dieser Sendung werden beendete Fußballspiele analysiert und final aufbereitet. Sehen Sie da eine gewisse Parallele zu "XY gelöst", wenngleich die Themen unterschiedlicher kaum sein können?
Daran habe ich noch nie gedacht. Aber wenn man ein Fußballspiel als "Cold Case" bezeichnen möchte, dann mag das stimmen. Alle Fakten liegen auf dem Tisch, doch man weiß noch nicht, wie die Ergebnisse zustande gekommen sind (lacht). Spaß beiseite: Die Herangehensweise ist ähnlich, aber wenn es um Mordfälle geht, dann ist eine gewisse Vorsicht und ein anderes Bewusstsein gefordert. Die Formate sind also nicht eins zu eins vergleichbar. Grundsätzlich interessieren mich aber die Geschichten von Menschen und die Frage, wie und warum Dinge passieren konnten – sowohl im Sport als auch bei "XY gelöst". Ich freue mich, wenn ich es schaffe, andere zum Reden und zum Nachdenken zu bringen.
"Aktenzeichen XY … Ungelöst" wird von
Zunächst einmal ist Sport eine geniale journalistische Schule. Hinzu kommt, dass es hierbei auch um Emotionen geht. Wenn jemand für den Sport brennt, wie das bei mir der Fall ist, dann geht man seinem Beruf mit großer Leidenschaft nach. Zugleich lernt man das nötige Handwerkszeug. Wie muss ich mit Live-Situationen umgehen? Wie packe ich Leute an, die kurz vor dem Interview etwas erlebt haben? Wer sich hier hervortut, auf den werden auch andere Redaktionen aufmerksam. Bei Rudi Cerne weiß ich, dass die Kollegen von "Aktenzeichen" damals jemanden gesucht haben, der absolut liveerfahren, seriös und ein gewisser Sympathieträger ist.
Und wie lief das bei Ihnen ab?
Das ZDF kam auf mich zu und sagte mir, dass ich ein paar Dinge aus Sicht des Senders ganz ordentlich beherrschen würde. Diese Arbeitsweise passte dann offensichtlich auch zu anderen Formaten. Ich würde von mir behaupten, dass ich mich ganz gut auf andere Leute einlassen kann und mich in den Gesprächen selbst nicht zu wichtig nehme.
Sie bringen demnach die Voraussetzungen mit, um eines Tages in die Fußstapfen von Rudi Cerne treten zu können. Hätten Sie Interesse?
In den nächsten Jahren ist das bei Rudi Cerne super aufgehoben. Natürlich weiß ich, dass "Aktenzeichen XY … Ungelöst" die Mutter aller True-Crime-Sendungen ist. Ich bin selbst begeisterter Zuschauer, finde aber, dass Rudi das hervorragend macht. Ich formuliere es mal so: Sollte das ZDF irgendwann einen Nachfolger suchen, dann würde ich mehr als nur darüber nachdenken. Aktuell stellt sich diese Frage aus den genannten Gründen allerdings nicht.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.