Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Angststörungen: Verkehrslärm macht uns krank. Doch verschiedene Maßnahmen könnten das Problem lösen – vom Tempolimit bis zu autofreien Zonen.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Elena Matera (RiffReporter) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Ein Besuch bei einer Freundin in Hamburg: Sie wohnt im zweiten Stock, direkt vor einer vierspurigen Kreuzung. Reisebusse, LKWs, Autos rasen an ihrem Balkon vorbei – sie bremsen, beschleunigen, hupen. Als meine Freundin kurz das Fenster öffnet, um zu lüften, verstehen wir kaum mehr ein Wort. Also: Schnell das Fenster wieder schließen. Wie hält sie das aus?

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Der Verkehrslärm nerve sie und den Balkon könne sie nicht wirklich nutzen, obwohl er groß sei und zur Südseite liege, erzählt sie. Auch an diesem Tag scheint die Sonne. Auf der Suche nach einer neuen Wohnung war meine Freundin bisher erfolglos. Immerhin: Die Miete ist günstig und ein Park ist nicht weit.

Verkehrslärm zählt zu den größten Gesundheitsrisiken in Städten

Der Verkehrslärm ist nicht nur nervig, er macht uns auch krank, sagen Umweltmedizinerinnen und -mediziner. Autos und LKWs sind dabei die Hauptquellen von dauerhaftem Straßenlärm, der sowohl aufgrund laufender Verbrennungsmotoren als auch durch das Rollen der Reifen erzeugt wird, insbesondere beim Bremsen und Beschleunigen.

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Der Dauerlärm kann unter anderem zu Stress, Schlafstörungen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Außerdem erhöht er das Risiko für psychische Erkrankungen und beeinträchtigt die kognitiven Fähigkeiten. Kurzum: Verkehrslärm zählt zu den größten Gesundheitsrisiken in Städten.

Starker Verkehrslärm: 20,9 Millionen Menschen sind betroffen

Expertinnen und Experten warnen, dass bereits ein durchgängiges Geräuschniveau von 50 bis 55 Dezibel, vergleichbar mit der Lautstärke eines normalen Gesprächs, gesundheitsschädlich sein kann. Ein erhöhtes Gesundheitsrisiko besteht dann, wenn der dauerhafte Lärmpegel über 65 Dezibel liegt. Das ist die Lautstärke einer Nähmaschine oder eines Fernsehers in Zimmerlautstärke.

Das Problem: Viele Menschen in Deutschland leben in der Nähe von Hauptverkehrsstraßen und in Ballungsräumen, so wie meine Freundin. Das Umweltbundesamt hat vor Kurzem eine Lärmkartierung für ganz Deutschland erstellt, um herauszufinden, in welchen Straßen und Städten besonders viele Menschen vom Lärm belastet sind.

Das Ergebnis: 20,9 Millionen Menschen sind ganztägig einem starken Verkehrslärm von mehr als 55 Dezibel ausgesetzt, sodass ihre Gesundheit darunter leidet. Das betrifft also mehr als ein Viertel der deutschen Bevölkerung. Auch nachts hält der Lärmpegel vielerorts an – dann sind rund 14,2 Millionen Menschen von Verkehrslärm über 50 Dezibel betroffen.

Ärmere Menschen sind eher vom Verkehrslärm betroffen

Das Thema Verkehrslärm ist auch eine soziale Frage: Denn ärmere Menschen leiden eher unter dem Lärm als reichere Menschen. Kein Wunder: Gerade Wohnungen an viel befahrenen Straßen sind oft billiger als ruhige Häuser am Stadtrand. Menschen mit einem eher niedrigen Einkommen ziehen daher oft in lautere Gegenden – was sich negativ auf ihre Gesundheit auswirkt.

Forschende haben zudem herausgefunden, dass reichere Menschen sich auch besser vor Lärm schützen können. Sie wohnen beispielsweise eher in einer größeren Wohnung mit mehreren Zimmern und haben so die Möglichkeit, dem Lärm zu entfliehen. Sie haben zudem die finanziellen Mittel, die Räume schalldicht zu gestalten oder in gut isolierte Schallschutzfenster zu investieren.

Die vier Städte mit der höchsten Lärmbelastung liegen übrigens laut Umweltbundesamt alle in Nordrhein-Westfalen: Düsseldorf, Herne, Leverkusen und Bottrop – alles Städte mit vielen mehrspurigen Straßen.

Doch Lärm ist nicht gleich Lärm. Während Verkehrslärm unsere Gesundheit beeinträchtigen kann, zeigen Studien, dass natürliche Geräusche wie das Plätschern von Wasser und Vogelgesang Stress reduzieren können. Eine Studie zeigt etwa, dass Menschen in natürlicher Umgebung nicht nur weniger gestresst sind, sondern auch weniger Schmerzen haben und ihre Stimmung sowie kognitive Leistungen verbessern. Ein Grund mehr, Flächen in Städten zu entsiegeln, Begrünung voranzutreiben und den Artenschutz in der Stadtplanung zu berücksichtigen.

Autofreie Zonen und Kreisverkehr

Immerhin: Es gibt verschiedene Maßnahmen, um das Lärmproblem anzugehen. Die effektivste Maßnahme besteht darin, den Verkehr zu reduzieren, heißt es vonseiten des Umweltbundesamts. Also: weniger Autos, mehr verkehrsberuhigte oder gar autofreie Straßen. Hinzu kommt der Ausbau von Fahrradwegen und öffentlichen Verkehrsmitteln.

Und dann gibt es natürlich noch die technischen Lösungen zur Lärmminderung an den Fahrzeugen und auf den Straßen und die Verbesserung des Verkehrsflusses. Denn gerade das ständige Bremsen, Anfahren und Beschleunigen der Autos verursacht viel Lärm.

Ein Kreisverkehr ist zum Beispiel besser als eine Ampel. Auch der Einfluss des Straßenbelags auf den Lärmpegel kann erheblich sein. Grobes Pflaster erzeugt etwa sechs bis zehn Dezibel höhere Pegel als glatter Gussasphalt, während ein moderner geräuschmindernder Belag bis zu acht Dezibel leiser sein kann als der Standardbelag.

Tempo-30-Limit: Vorbild Lyon

Eine besonders wirkungsvolle und einfach umsetzbare Maßnahme ist das Tempo-30-Limit. Ein Tempo 30 statt Tempo 50 verringert laut Umweltbundesamt den Lärm bereits um zwei bis drei Dezibel. Und es gibt noch einen weiteren positiven Effekt: die Sicherheit.

Wie das funktioniert, zeigt eindrücklich Lyon, die drittgrößte Stadt Frankreichs. In den zwei Jahren, seitdem das Tempolimit in der Innenstadt auf 30 Kilometer pro Stunde begrenzt wurde, sind die Unfälle laut Bürgermeister Grégory Doucet um 35 Prozent zurückgegangen. Ein Grund mehr, eben solch ein Tempolimit in deutschen Städten einzuführen.

Meine Freundin und viele Millionen Menschen deutschlandweit würden sich freuen, ihre Gesundheit würde profitieren. Und: Sie könnten dann vielleicht auch mal wieder auf dem Balkon die Sonne genießen – mit nicht ganz so viel Lärm.

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Verwendete Quellen

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