Die Nazis forschten während des Zweiten Weltkrieges in einer streng abgeschirmten unterirdischen Chemiefabrik in Brandenburg an einem tödlichen Kampfmittel mit dem Decknamen "N-Stoff". In grausamen Menschenversuchen wurde er an KZ-Häftlingen getestet. Dass die Waffe nie zum Einsatz kam, liegt an ihrer unkontrollierbaren Gefährlichkeit.

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Es ist giftig und ätzend zugleich - und es beschleunigt Brände: Chlortrifluorid gilt als eine der gefährlichsten Chemikalien der Welt. Es entzündet sich bei Zimmertemperatur und setzt dabei giftige Dämpfe frei. Es verbrennt fast alles: Sand, Glas, Rost, Wasser, Beton und sogar Asbest.

Dazu braucht es keine weitere Energiezufuhr, alleine der Kontakt reicht aus, um ein Feuer zu entfachen. Beim Kontakt mit Wasser explodiert es. Wer das Gas einatmet, verätzt seine Lunge. Bekommt man es in die Augen, wird die Hornhaut schwer verletzt.
1929 wurde Chlortrifluorid in Breslau entdeckt.

Fünf Jahre später stießen die Nazis auf das tödliche Gas: Sie wollten es als chemische Wunderwaffe einsetzen. Der aggressive Kampfstoff sollte sogar die Schutzfilter von Gasmasken zerstören können. Außerdem wollten die NS-Forscher ihn beim Bau von Raketen verwenden. Weil das Projekt streng geheim war, gab die Regierung dem Gas den Tarnnamen "N-Stoff".

Ein Bunker als "Giftküche"

Niemand sollte wissen, an was geforscht wurde – und wo. 1938 enteigneten die Nazis Bewohner am Schwarzen See bei Falkenhagen in Brandenburg. Sie rissen ein Schloss nieder und erklärten das Gebiet zur Sperrzone. Das war die perfekte Tarnung für die geheimste Rüstungsfabrik der Wehrmacht: die unterirdische Chemiefabrik mit dem Decknamen "Seewerk".

Die Falkenhagener ahnten angeblich nichts von der Anlage im Wald. Vier Stockwerke und 25 Meter in die Tiefe reichte der gewaltige Nazi-Bunker. Auf 14.000 Quadratmetern diente das Bauwerk als Produktionsstätte, Forschungslabor und als Lagerraum. In der "Giftküche" befanden sich endlose Gänge, lange Fahrstuhlschächte, haushohe Tanks, Zisternen, Versorgungskanäle und ein Eisenbahntunnel für den geplanten Abtransport der N-Stoff-Fässer.

Forschungen mit tödlichen Konsequenzen

Die Wirkung des extrem giftigen N-Stoffes testeten die Nazis an Häftlingen aus dem nahegelegenen KZ Sachsenhausen. Als im Juli 1944 noch keine befriedigenden Ergebnisse erzielt wurden, drängte Hitler auf mehr Versuche im "Seewerk". 750 Häftlinge wurden innerhalb eines Jahres in der Fabrik zu Experimenten mit der Chemikalie gezwungen. Viele von ihnen starben dabei, andere wurden exekutiert.

Doch die Versuche mit dem N-Stoff waren nie richtig erfolgreich, die Nazis entwickelten ihre tödliche Waffe nicht zu Ende. Das lag daran, dass die Chemikalie extrem explosiv war, was den Umgang mit ihr ebenso erschwerte wie den Transport. Im Februar 1945 evakuierten die Deutschen den Chemie-Bunker am See. Wenige Monate später nahm die Rote Armee ihn ein.

Auf Spurensuche im ausgeräumten Versteck

Doch auch in den kommenden Jahrzehnten blieb das Gelände Sperrgebiet. Die sowjetischen Streitkräfte nutzen den Bunker als Kommandozentrale, die sicher war vor atomaren, biologischen und chemischen Angriffen. Was genau dort geschah, ist bis heute nicht bekannt. Wahrscheinlich wurden von dort die Streitkräfte des Warschauer Pakts gesteuert.

Nach dem Ende des Kalten Krieges verließen die Sowjets den Bunker. Seit 1994 ist er zugänglich, aber inzwischen fast völlig demontiert.

Heute hat Falkenhagen knapp 700 Einwohner. Der Ort liegt in einer idyllischen Seenlandschaft im Märkisch-Oderland. Touristen schlendern oder radeln durch die hügelige Heidelandschaft. Manche stoßen inmitten des Naturschutzgebiets plötzlich auf das ehemalige Bunkergelände. Sie ahnen nicht, was sich dort im Zweiten Weltkrieg ereignet hat und dass die Nazis fast eine furchtbare Waffe entwickelt hätten.

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