Am 8. März ist internationaler Frauentag. Auch in Lateinamerika werden an diesem Tag Hunderttausende von Frauen auf den Straßen für ihre Rechte demonstrieren und Politiker und Politikerinnen Reden halten. Wir stellen Ihnen drei Frauen aus Peru, Brasilien und Mexiko vor, die in diesen Ländern besonders verehrt werden.

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Peru: Sarita Colonia – die Heilige der Busfahrer und Gauner

Busfahrer in der peruanischen Hauptstadt Lima brauchen Nerven wie Drahtseile, viel Geduld und gesunde Lungen, um den chaotischen und lauten Verkehr und die Abgase viel zu alter Vehikel zu überleben. Dabei hilft ihnen ein besonderer Schutzengel: Sarita Colonia, die Heilige der Armen in Peru.

Das Bildchen der jungen Frau mit einem ausdruckslosen weißen Gesicht und schwarzen glatten Haaren baumelt an so manchem Rückspiegel. Oft befindet Sarita Colonia sich in Gesellschaft anderer Heiliger wie der Jungfrau Maria oder einem Jesus mit kitschig-offenem Herzen.

Von Lima aus regierten die Spanier einst ganz Südamerika. Die erste katholische Heilige Amerikas war die Tochter eines spanischen Soldaten, die als Eremitin lebte, sich selber geißelte und mit ihren Gebeten angeblich Lima vor einem Piratenangriff rettete. Rosa von Lima starb 1617 mit 31 Jahren bereits im Ruf der Heiligkeit.

Ein unspektakuläres Leben mit Folgen

Auch Sarita Colonia starb jung. Aber damit enden auch die Ähnlichkeiten mit Rosa von Lima. Sarita Colonia kam 1914 als Tochter eines Schreiners in den Anden zur Welt. Die Familie zog in die Hafenstadt Callao, auf der Suche nach einem besseren Leben. Eigentlich wollte Sarita ins Kloster gehen.

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Aber als die Mutter starb, musste sie sich um die jüngeren Geschwister kümmern. Daneben arbeitete sie als Verkäuferin auf dem Markt, damit die Familie über die Runden kam. 1940, mit 26 Jahren, starb Sarita an Malaria. Die Familie begrub sie in einem Massengrab neben dem offiziellen Friedhof. Der Vater errichtete ein Kreuz für seine tote Tochter.

Von der Verkäuferin zur Volksheiligen der Ausgegrenzten

Ein unspektakuläres Schicksal, wie es viele Familien in jener Zeit erlebten. Doch genau deswegen wurde Sarita Colonia zur Projektionsfläche für die neuen Bewohner Limas, die von der peruanischen guten Gesellschaft genauso wenig zur Kenntnis genommen wurden wie die lebende Sarita Colonia – und die, wie sie, im Alltag ums Überleben kämpfen musste.

Sarita Colonia war zwar wegen ihrer Güte und Großzügigkeit in der Nachbarschaft bekannt, hat aber zu Lebzeiten keine Wunder gewirkt. Warum gerade sie zur inoffiziellen Heiligen der kleinen Leute Limas wurde – darüber spekulieren bis heute Volkskundler und Historiker. Vielleicht, weil die Sehnsucht der gesellschaftlichen "Nichtse” nach Transzendenz ein Gesicht und einen Namen brauchte, den sie in der offiziellen katholischen Kirche nicht fanden.

Mit den Migranten kam der Kult in Fahrt

Zuerst kamen die Hafenarbeiter zum Holzkreuz der Sarita Colonia mit ihren Bitten. Richtig los ging der Kult in den 1970er-Jahren. Peruaner aus allen Landesteilen zogen in die Hauptstadt, sie errichteten illegale Armenviertel, schlugen sich mit Hilfsjobs und als Straßenhändler durch – und waren wegen ihrer meist indigenen Herkunft marginalisiert.

Sarita Colonia wurde zu ihrer Heiligen. In ihr erkannten sich die Ausgeschlossenen wieder, auf die niemand gewartet hatte und die sich ihren Platz in der Hauptstadt erkämpfen mussten.

Ein Mausoleum und tätowierte Mafiosi

Die Familie Sarita Colonias errichtete im hinteren Teil des Friedhofs von Callao ein einfaches Mausoleum für all die Bittsteller, und verkauft dort ihre Kerzen und die Votivbildchen mit dem blassen, ikonenhaften Antlitz der Sarita Colonia.

Nicht nur die Armen, Hafenarbeiter und Busfahrer erkoren Sarita Colonia zu ihrer Heiligen, auch die Diebe und Gauner suchen bei ihr Hilfe. So mancher Mafioso ließ sich ein Porträt von Sarita auf ein Körperteil tätowieren, besonders gerne, um Narben von Messerstechereien oder Schüssen zu verdecken. Das Gefängnis von Callao ist nach ihr benannt. Im Innenhof befindet sich ein großes Wandgemälde von ihr.

Migranten trugen ihren Kult in die Welt

Als gegen Ende des 20. Jahrhunderts immer mehr Peruaner vor der Gewalt und der Inflation ins Ausland flohen, begleitete sie Sarita Colonia in alle Herren Länder.

Am 1. März, ihrem Geburtstag, und an ihrem Todestag, dem 20. Dezember, finden auf dem Friedhof von Callao Messen für Sarita Colonia statt. Längst ist sie Teil der Volkskultur. Doch für den offiziellen katholischen Heiligenkalender existiert Sarita Colonia nicht.

(von Hildegarld Willer)

Brasilien: Amazonen – alte und neue indigene Heldinnen

Indigene Frauen sind stark – das waren sie schon immer. Deshalb heißt der Amazonas heute nach den streitbaren Frauen, die die "Entdecker" des längsten Stroms der Welt in die Flucht schlugen.

Am 24. Juni 1542 notiert der Dominikanerpriester Fray Gaspar de Carvajal, Berichterstatter der Expedition, in seinem Bordtagebuch: "Ich möchte, dass Sie wissen, warum sich diese Indianer so sehr verteidigten. Sie sind nämlich Untergebene und Tributpflichtige der Amazonen, und nachdem sie von unserer Ankunft erfahren hatten, baten sie diese um Unterstützung und es kamen 10 oder 12, die wir sahen, sie kämpften allen voran als Anführerinnen so tapfer, dass die Indianer es nicht wagten, sich zur Flucht zu wenden; und jeden, der davonlaufen wollte, töteten sie vor unseren Augen mit Keulen."

Schiffe wie Stachelschweine

Mit ihren Bögen und Pfeilen würden sie so viel Ärger machen wie zehn Männer. "[Es] gab eine Frau unter ihnen, die eine Handvoll Pfeile in eine der Brigantinen schoss, […] sodass unsere Brigantinen wie Stachelschweine aussahen".

Carvajal nimmt genauen Bezug auf die griechische Amazonensage und erwägt die Fragen, ob diese Frauen ihre Söhne töten und ob sie sich die Brust abbinden, um besser schießen zu können, wie die Amazonen Kleinasiens. Ob die Amazonen der Fantasie des spanischen Chronisten entsprungen sind oder ob es sie wirklich gab, kann heute nicht mehr geklärt werden. Eins ist aber sicher. Die streitbaren indigenen Frauen sind in den letzten Jahren im Kampf um ihre Territorien erneut auf den Plan getreten.

Sie müssen ja das Heft in die Hand nehmen, sagt Glicéria Tupinambá, eine indigene Künstlerin und Aktivistin, denn die Männer seien ein bisschen faul. Indigene Frauen hingegen seien es gewohnt, den Haushalt zu organisieren und die schwere Arbeit auf den Feldern zu leisten. Sie organisieren sich sehr gut – und auch die Männer. "Denn wir sind 'die Mutter', wir sind diejenigen, die bestimmen – und die Männer gehorchen", sagt die Künstlerin und lacht.

Die eine Heldin gibt es nicht

Der Aktivismus indigener Frauen ist vielfältig: Die wortgewaltige Sônia Guajajara dirigiert in Brasilien das neue Ministerium für Indigene Völker und die ruhige Joênia Wapichana, ausgebildete Juristin, steht nach langem Kampf gegen die Regierung Bolsonaro an der Spitze der Indigenen Schutzbehörde Funai.

Aber auch in den Dörfern haben sich in den letzten Jahren starke Frauenbewegungen formiert und sind mit der Protestbewegung "Acampamento Terra Livre" und in den sozialen Medien sichtbar geworden. Ihre Anführerinnen und Ausrichtungen sind jedoch ganz unterschiedlich.

"Niemand kann für jemand anderen sprechen", betont die Aktivistin Watatakalu Yawalapiti vom Oberen Xingu, Mitbegründerin der Frauenorganisation Anmiga. Und deshalb gibt es im indigenen Brasilien auch nicht "die" Heldin.

Im Februar 2022 reiste sie zur Klimakonferenz COP 27 in Scharm el Scheich. Ihre Tochter will sie nach Madrid und nach New York schicken, damit sie die Sprache und die Welt der "Weißen" kennenlernt. "Wir kämpfen für unser Volk, für den Erhalt des Regenwaldes und für unsere Rechte. Und wir kämpfen an der Seite unserer Männer, nicht gegen sie", betont die Aktivistin.

Geeint im Kampf um ihr Land

Was die unterschiedlichen indigenen Frauen eint, ist ihre Verbindung mit der Erde und die Sorge um ihre Kinder. Denn ohne den intakten Regenwald wird es kein Überleben geben, weder für die Männer, noch für die Frauen – geschweige denn für die Kinder.

Die Erzählungen ihrer Vorfahren dienen manchen von ihnen als ein wertvolles Waffenarsenal. Sie können den Frauen helfen, sich selbst zu ermächtigen, sagt Kaiulu Kamayurá, die 2009 die Frauenorganisation Yamarikumá gegründet hat. Der Name bezieht sich auf einen Mythos von einem weiblichen Geist Yamarikumá, der die Frauen zu mächtigen "Bogenfrauen" macht. Mit der Unterstützung der Organisation hätten die Frauen gelernt, für ihre Bedürfnisse zu sorgen und Führungspositionen zu übernehmen, sagt Kaiulu Kamayurá.

In einer Version taucht sogar das Motiv des Brustabschneidens aus der Amazonensage auf. "Die wilden Bogenfrauen haben nur eine Brust, die linke. Auf der anderen Seite haben sie keine Brust, da schießen sie mit dem Bogen. All diese Frauen tragen Jaguarfell am Gürtel." So lautet die Erzählung, die der Ethnologe Mark Münzel in seinem Buch "Erzählungen der Kamayurá" veröffentlichte.

Indigene Männer erkennen die Macht der Frauen

Auch die Männer haben das weibliche Potenzial erkannt. Es war Watatakalu Yawalapitis Vater, ein angesehener Führer im Oberen Xingu, der sie auf ihre Führungsrolle vorbereitete. "Eines Tages wirst du wie ein Mann handeln müssen", sagte er ihr.

Und die Künstlerin Glicéria Tupinambá folgt einer Vorhersage ihres Großvaters: Sie müsse die Verteidigung ihrer Territorien in die Hand nehmen. Denn lange Zeit galten die Tupinambá als ausgestorben. Der brasilianische Staat weigerte sich bis 2001, ihre Existenz und damit ihre Landansprüche anzuerkennen. Glicérias Kampf brachte sie 2010 mitsamt ihrem Baby ins Gefängnis.

Heute streitet sie mit den Mitteln der Kunst. Und sie hat Erfolg. Zusammen mit ihrer Gemeinschaft repräsentiert Glicéria Tupinambá Brasilien mit der Ausstellung "Ka’a Pûera: nós somos pássaros que andam" (Wir sind Vögel, die gehen) auf der 60. Biennale in Venedig. Mit ihrer Arbeit verweist sie auf die gemeinsame Essenz von Vögeln und Menschen. Sie hebt die Marginalisierung der Indigenen hervor, die Verletzung ihrer territorialen Rechte und natürlich den indigenen Widerstand.

(von Ulrike Prinz)

Mexiko: Die Feministin im Kloster

Sor Juana Inés de la Cruz, geboren am 12. November 1651 in Mexiko, war eine Feministin, lange bevor dieser Begriff überhaupt existierte. Aus heutiger Sicht mag es erstaunlich anmuten: Aber sie entschied sich damals für ein Dasein als Nonne, weil sie im Kloster mehr Möglichkeiten zur freien Entfaltung ihrer vielen Talente sah.

Sor Juana, wie sie in Mexiko bekannt ist, war ein Universalgenie, eine Art mexikanische Hildegard von Bingen. Sie befasste sich mit Heilkunde und Dichtkunst, mit gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Studien und den schönen Künsten.

Sie war die Tochter einer Kreolin und eines spanischen Kapitäns. Sor (Schwester) Juana hatte zwei Schwestern und fiel früh durch ihre Intelligenz und Wissbegierde auf. Es heißt, dass sie in der Bibliothek ihres Großvaters auf der Hacienda Panoaya am Fuße der Vulkane Popocatépetl und Iztaccihuatl sich selbst Lesen und Schreiben beibrachte und innerhalb kürzester Zeit Latein lernte. Die Hacienda ist heute eine Touristenattraktion.

Geistige Freiheit fand sie ausgerechnet in der Kirche

Nachdem sie mit ihrer Familie in die Hauptstadt gezogen war, wurde sie im Alter von 14 Jahren Hofdame von Leonor Carreto, der Frau des Vizekönigs Antonio Sebastián de Toledo. Auch bei Hofe fielen ihre Talente auf. Auf Anraten ihres Förderers, dem Markgrafen von Mancera, schlug sie ihre Freier aus und trat 1667 ins Kloster ein. Dort konnte sie in Ruhe ihre Studien fortsetzen. Ohne die oberflächlichen Ablenkungen und den Druck einer patriarchalen Gesellschaft, in der Frauen nur Schmuck ihrer Ehemänner sein durften.

Sor Juana Inés de la Cruz war eine Feministin, lange bevor dieser Begriff überhaupt existierte. © IMAGO/Album

Im Schutze des Klosters wurde sie zu einer der scharfsinnigsten Gesellschaftskritikerinnen ihrer Epoche. In ihrer Zelle trafen sich Schriftsteller, Dichter, Philosophen und Intellektuelle und in ihr sammelte sie eine Bibliothek mit mehr als 4.000 Bänden zu so unterschiedlichen Themen wie Theologie, Astronomie, Malerei, Musik, Sprachen und Philosophie.

In ihren Schriften trat sie für die Volksbildung ein, kritisierte das Patriarchat, aber schrieb auch Liebesgedichte und verfasste heilkundliche Studien. Sie war nicht nur Mystikerin, sondern liebte das Leben mit all seinen Facetten, seinen Höhen und Tiefen.

1690 wurde sie vom einflussreichen Bischof der Stadt Puebla verwarnt, ihre Werke seien "zu weltlich". Schwester Juana antwortete darauf mit einem Manifest. "La Respuesta a sor Filotea de la Cruz" ist eine brillante Schrift, die das Recht der Frauen auf Bildung und auf intellektuelle Freiheit verteidigt.

Fünf Jahre später starb sie an Typhus während einer Epidemie, in der sie sich um erkrankte Schwestern kümmerte. Ihre Schriften aber blieben populär und wurden mehrfach nachgedruckt.

Bewundert, kritisiert und weiter aktuell

Im 19. Jahrhundert wandelte sich der Zeitgeist und ihre Werke gerieten in die Kritik. So sprach der mexikanische Historiker García Icazbalceta von einer absoluten Verkommenheit der Sprache, der spanische Philologe Menéndez Pelayo von der Pedanterie und Verirrung des Barocks. Das änderte sich im 20. Jahrhundert wieder.

Einer ihrer Bewunderer war der spätere Literaturnobelpreisträger Octavio Paz, der ihr sein Werk "Las Trampas de la Fe" widmete. Auch der populäre TV-Sender Televisa widmete ihr Ende der 1980er-Jahre eine historische Dokumentation, die auf dem Werk von Octavio Paz basierte.

Viele Historiker finden weiterhin in ihren facettenreichen Werken Aufschlüsse über den damaligen Zeitgeist und gesellschaftliche Fragen. Heute gehört Sor Juana neben der Malerin Frida Kahlo zu den berühmtesten Mexikanerinnen der Geschichte. Ihr Konterfei ziert den 100-Pesos-Geldschein.

(von Sandra Weiss)

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