• Erdgas gilt als Brückentechnologie in eine Zukunft mit nachhaltigeren Energien.
  • Doch wie klimafreundlich ist das Gas wirklich?
  • Forscher und Umweltverbände warnen vor den Risiken bei Transport und Förderung von Erdgas.

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Ob nun 2038 oder doch schon 2030 – der Kohleausstieg ist beschlossene Sache. Bis eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien erreicht ist, soll unter anderem Erdgas als Brückentechnologie dienen. Das Gas hat den Ruf als klimafreundlicher Energieträger. Immer mehr Forscher stellen dies jedoch infrage.

Dazu gehört auch Volker Quaschning, Spezialist für regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. "Bei der Verbrennung von Erdgas entstehen etwas weniger Kohlendioxidemissionen als bei der Verbrennung von Kohle", sagt Quaschning. "Der Ausstoß an Kohlendioxid ist aber dennoch sehr hoch."

Auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace bezeichnet das saubere Image von Erdgas als "überholt". Zwar sind die Emissionen beim Verbrennen niedriger, in die Klimabilanz fließen jedoch noch weitere Faktoren ein.

Eine große Rolle spielt dabei Methan, das bei der Bohrung und auch beim Transport entweichen kann. Erdgas besteht zu einem großen Teil aus Methan, einem Treibhausgas, das noch weitaus klimaschädlicher ist als CO2. Über einen Zeitraum von 20 Jahren betrachtet, liegt das Treibhausgaspotenzial von Methan 87 Mal höher als bei CO2.

Entweichendes Methan kann Erdgas zum Klimakiller machen

Deshalb sind Leckagen alles andere als nur ein unerwünschter Nebeneffekt. "Wenn bei Förderung und Transport mehr als drei Prozent des Methans entweichen, ist Erdgas sogar klimaschädlicher als Kohle", rechnet Greenpeace in einem Factsheet zum Thema vor. Zurzeit liegt die Quote bei amerikanischem Gas mit 2,3 Prozent nur knapp darunter. Was russisches Gas angeht, ist die Datenlage zu dünn. Doch angesichts maroder Pipelines und schmelzender Permafrostböden dürfte die Situation kaum besser sein.

Deshalb kommt auch die Initiative "Scientists for Future" zu einem eindeutigen Fazit: "Erdgas ist keine Brückentechnologie in eine fossilfreie Zukunft", heißt es in einer Studie der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. "Die Annahme einer im Vergleich zur Kohle günstigeren Klimabilanz von Erdgas muss revidiert werden. Der geplante Ausbau von Erdgas-Infrastruktur in Deutschland lässt sich nicht klimapolitisch begründen und birgt zahlreiche finanzielle Risiken. Zudem wird damit die geplante Energiewende verzögert."

Warum ein Energieforscher eine radikale Umkehr in der Energiepolitik fordert

Volker Quaschning fordert gar eine radikale Umkehr in der Energiepolitik: "Zum Einhalten des Pariser Klimaschutzabkommens müssen wir bereits in 15 Jahren völlig kohlendioxidneutral werden. Das heißt, wir dürfen bis dahin auch kein Erdgas mehr verbrennen. Die Verbrennung von Erdgas darf also nicht ausgebaut werden. Sie muss genauso wie die Kohleverbrennung schnellstmöglich auf null zurückgefahren werden."

Dieses Ziel rückt mit der Fertigstellung der Erdgaspipeline Nord Stream 2 jedoch in weite Ferne. Nord Stream 2 soll jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas transportieren. In seinem Podcast berechnet Quaschning, was passiert, wenn diese Menge verbrannt wird. Dabei entstünden etwa 110 Millionen Tonnen CO2. Das entspräche ungefähr der Menge, die die gesamte Braunkohleverbrennung 2020 in Deutschland verursacht hat.

Welche Alternativen bleiben dann auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung? "Wenn wir die erneuerbaren Energien sehr schnell ausbauen, nehmen die Fluktuationen im Netz stark zu", erklärt Quaschning. "Kohle- und Atomkraftwerke können diese schon bald nicht mehr richtig ausgleichen. Darum brauchen wir sehr zeitnah Speicher."

Für die Übergangszeit bleibt Gas weiterhin gefragt

Auch Gaskraftwerke könnten in der Übergangszeit beim Ausgleich helfen, sagt Quaschning, da sie besser regelbar seien. "Später können diese dann auf den Betrieb mit grünem Wasserstoff umgerüstet werden, der aus Überschussstrom von Solar- und Windkraftanlagen erzeugt wird."

Quaschning sieht es als möglich an, bis in 15 Jahren 100 Prozent erneuerbarer Energiequellen zu erreichen. Für die Übergangszeit brauche man zwar Gas, jedoch sei die bestehende Infrastruktur dafür völlig ausreichend, betont Quaschning in seinem Podcast.

Alternativen wie zum Beispiel Biogas aus landwirtschaftlichen Abfällen sind für ihn nur ein Nischenprodukt: "Für die Herstellung von Biogas brauchen wir große landwirtschaftliche Flächen. Darum sind die Potenziale zur Herstellung von Biogas sehr begrenzt. Die enormen Mengen an Erdgas, die heute zum Einsatz kommen, kann Biogas nicht ersetzen."

Greenpeace fordert einen vollständigen Erdgas-Ausstieg bis 2035. Damit könne Deutschland "auch beim Energieträger Gas seinen Beitrag zum Erreichen der Pariser Klimaziele schaffen". Der erste Schritt dahin wäre, überhaupt das Bewusstsein für die Klimaschädlichkeit von Erdgas zu schaffen.

Über den Experten: Prof. Dr. Volker Quaschning ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Er ist Mitinitiator von "Scientists for Future".
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