Erhitzte Gemüter, gescheiterte Regierung, kontroverse Personalie: Quo vadis, Italien? Politikwissenschaftler Dr. Jan Labitzke erklärt den Machtkampf zwischen Staatspräsident und Koalitionären - und spricht eine deutliche Warnung an die europäischen Mitgliedsstaaten aus.

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Italien steckt in einer tiefen politischen Krise. Drei Monate nach der Wahl sollte das Populisten-Bündnis aus Lega und Fünf-Sternen besiegelt werden, da zerplatzt es an einer Personalie.

Bereits seit Tagen hatte die Regierungsbildung gestockt - vor allem wegen der umstrittenen Nominierung Paolo Savona als künftiger Wirtschafts- und Finanzminister.

Nach der Weigerung von Staatspräsident Sergio Mattarella, den 81-jährigen Euro-Kritiker zum Minister zu berufen, zerbrach das ursprüngliche Regierungsprojekt.

"Ich habe alle Ernennungen akzeptiert außer den Vorschlag für den Posten des Wirtschaftsministers", sagte Mattarella und begründete seine Entscheidung mit Savonas Haltung zu Europa.

Ein Finanzminister mit anti-europäischer Einstellung "hätte Märkte und Investoren, Italiener und Ausländer alarmiert", so seine Befürchtung.

Mit Technokrat aus der Krise

Der designierte Ministerpräsident Giuseppe Conte legte sein Mandat daraufhin nieder und gab den Regierungsauftrag zurück. Mattarella berief kurz darauf den Ökonomen Carlo Cottarelli als Interims-Regierungschef.

Cottarelli – bekannt auch als "Mister Schere" - war einst ranghoher Mitarbeiter beim Internationalen Währungsfonds (IWF). Der Wirtschaftsexperte soll nun eine Regierung aus Fachleuten bilden - eine Technokratie - um Italien aus der Krise zu führen.

Lega-Chef Matteo Salvini und Fünf-Sterne Parteichef Luigi Di Maio reagierten erzürnt. "Wir haben wochenlang Tag und Nacht gearbeitet, um eine Regierung zu bilden, die die Interessen der italienischen Bürger verteidigt", twitterte Salvini.

"Aber jemand (unter Druck von wem?) hat uns NEIN gesagt", schrieb er weiter. Di Maio forderte gar ein Amtsenthebungsverfahren gegen Mattarella.

Euro-kritisch, nationalistisch, politikerfahren

Wer aber ist dieser 81-jährige Savona, dessen Personalie das ganze Land in Aufruhr versetzt und der nun indirekt dafür sorgt, dass Italien auf Neuwahlen zusteuert?

Politikwissenschaftler Dr. Jan Labitzke von der Justus-Liebig-Universität in Gießen verfolgt die politische Situation in Italien bereits seit Jahren.

"Savona ist ein ausgewiesener Euro-Kritiker und hat auch gegen Deutschland polemisiert", sagt Labitzke. Mit dieser Rhetorik heize Savona die Stimmung gegen Europa an. "Er beschreibt den Euro mit sprachlichen Bildern von Gefängnissen und Zwang, außerdem unterstellt er Deutschland imperialistische Motive", so Labitzke.

Dabei kann Savona auf eine Menge Erfahrung zurückgreifen - aus Wirtschaft und aus der Politik. Der 1936 in Cagliari geborene Wirtschaftsprofessor bekleidete bereits diverse führende Positionen in Banken - darunter auch in der italienischen Zentralbank.

Neben Stationen bei der größten italienischen Arbeitgeberorganisation Confindustria und in zahlreichen Verwaltungsräten, schmücken auch Tätigkeiten als Generalsekretär im Handelsministerium oder als Industrieminister seinen Lebenslauf.

Euro-Austritt durch die Hintertür?

"Savona war für Mattarella eine zu heikle Besetzung - gerade in einem Schlüsselressort", ist sich Experte Labitzke sicher. Eine Rolle spielten dabei Angst um die Sparguthaben der Bürger und die Befürchtung erhöhter Zinsaufschläge, wenn die Personalie für Unruhe auf den Finanzmärkten gesorgt hätte.

"Besonders bedeutsam war die Sorge, Savona plane einen Euro-Austritt durch die Hintertür", führt der Politikwissenschaftler aus. In vergangenen Interviews hatte Savona nämlich mehrfach von einem "Plan B für den Ausstieg aus dem Euro" gesprochen.

Dabei kommt der jetzige Euro-Kritiker eigentlich aus dem Umfeld des Liberalen Ugo La Malfa - einstiger Vorsitzender der "Partito Repubblicano Italiano". Über die Jahre seien Savonas Positionen dann aber immer extremer geworden, beobachtet Labitzke.

Wenn man die Polemik abziehe, habe Savona in Teilen durchaus diskussionswürdige Kritikansätze. "Die Form, wie er seine Kritik vorbringt, macht ihn aber zu einem roten Tuch in Europa", weiß der Italien-Experte.

Italien fühlt sich alleingelassen

Dazu zählt beispielsweise die Behauptung, die Verträge für den Euro in Italien glichen den Auswirkungen des Vertrags von Versailles aus dem Jahr 1918 für Deutschland - wie Savona in einem seiner Bücher darlegt.

Ein Zitat daraus lautet: "Deutschland hat die Sicht seiner Rolle in Europa seit dem Ende des Nazismus nicht geändert, wenn es auch die Idee aufgegeben hat, diese militärisch aufzuzwingen."

Experte Labitzke erklärt die Abneigung so: "Die Italiener haben sich von der EU mehrmals alleingelassen gefühlt." In Anbetracht der Wirtschaftskrise sei der Wunsch nach mehr finanzpolitischer Flexibilität aufgekommen, um durch Investitionen beispielsweise die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen - die EU gab dem nicht nach.

Besonders in der Flüchtlingskrise habe Italien aus Savonas Sicht zu wenig Beistand von den europäischen Partnern bekommen, ergänzt Labitzke.

Machtkampf der Institutionen

Ein Euro-Austritt sei aber nicht Gegenstand des Wahlkampfes Anfang des Jahres gewesen, auch im Koalitionsvertrag habe davon nichts gestanden. "Daher hat Mattarella Angst vor einem Plan durch die Hintertür", erläutert Labitzke.

"Der Staatspräsident hat betont, dass - sofern der Wunsch nach einem Austritt bestünde – dies ein schwerwiegendes Thema sei, über das man offen und ausführlich nachdenken müsse", ergänzt der Experte.

"Die Personalie Savona ist zu einem Machtkampf zwischen Koalitionären und Staatspräsident geworden", urteilt Labitzke. Es gebe zwar Präzedenzfälle in der italienischen Geschichte, bei denen der Präsident Ministervorschläge abgelehnt hatte. Aber: "Dann haben die Parteien neue Vorschläge gemacht oder sich auf Kompromisse eingelassen."

Da dies nun nicht der Fall sei, spekuliere man, ob die gescheiterte Personalie nicht politisches Kalkül der Lega gewesen sei. "In wahrscheinlichen Neuwahlen könnte sich die Lega nämlich nun stärker profilieren", so Labitzke.

Quo vadis, Italien?

"Nachdem Cottarelli zum Ministerpräsidenten samt Kabinett ernannt wurde, muss sich die neue Regierung dem Vertrauensvotum in beiden Parlamentskammern stellen - welches sie wahrscheinlich verlieren wird", vermutet der Politikwissenschaftler.

Die Regierung sei dann ohne Parlamentsmehrheit bis zu den Neuwahlen verwaltend tätig. Die spannenden Fragen aus Sicht des Experten: Wie lang wird diese Übergangszeit andauern? Was passiert in der Zwischenzeit?

"Wenn zeitnah Neuwahlen stattfinden, dürften die Ergebnisse denen im März ähneln – mit tendenziellen Zuwächsen für Lega und Fünf-Sterne", prognostiziert der Experte. Dann stünde man vor der gleichen Situation wie jetzt, habe lediglich Zeit gewonnen.

Europäische Partner sind gefragt

"Es kommt jetzt auf die europäischen Partner an", meint Labitzke und wirft die zentrale Frage auf: "Ermöglichen sie der Übergangsregierung die italienischen Probleme anzugehen, sodass ein positiveres Europabild entstehen kann?"

Die Zeit drängt, der Druck steigt, mahnt der Experte: "Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone, war bislang Nettozahler. Wenn dieses Land ins Schlingern gerät, ist das eine andere Hausnummer als Griechenland."

Zur Person: Dr. Jan Labitzke ist Politikwissenschaftler an der Justus-Liebig Universität in Gießen. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen unter anderem im Bereich "Politik in der EU" und "Italienstudien". Labitzke ist als Wissenschaftler für das Projekt "Politische Italien-Forschung" (PIFO) aktiv, welches sich mit sozial- und politikwissenschaftlichen Studien mit Bezug zu Italien befasst.
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