Warum beschäftigt sich das österreichische Kino so gerne mit dem Abgründigen? Woher kommt die Vorliebe für das Dunkle? Gemeinsam mit Filmjournalist Christian Fuchs gehen wir dem Kino auf den dunklen Grund.

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Nicht nur auf den ersten Blick ist das österreichische Kino ungemein düster. Egal, ob Michael Haneke einen quälenden Blick auf Gewalt und Gewaltkonsum wirft ("Funny Games"), Ulrich Seidl mit ungeschönten Bildern Prostitution und Ausbeutung thematisiert ("Import Export") oder Götz Spielmann vom langsamen Sterben eines Familienvaters erzählt ("Oktober November") – Österreichs Filmszene scheint sich mit Vorliebe mit dem Abgründigen und Dunklen in der Welt zu beschäftigen.

Selbst die Komödien triefen vor bitterschwarzem Humor: In "Muttertag", "Hinterholz 8" oder "Bad Fucking", allesamt von Harald Sicheritz, kann einem das Lachen vor lauter Boshaftigkeit schon mal im Halse stecken bleiben.
Woher kommt diese Vorliebe für das Hässliche und das Morbide - die sich auch außerhalb des Kinos bei Autoren wie Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek, bei Musikern wie Georg Danzer und Ludwig Hirsch oder bei Künstlern wie Gottfried Helnwein und Hermann Nitsch wiederfindet? "Das ist sehr schwer zu sagen", findet FM4-Filmjournalist Christian Fuchs. "Da verfällt man sofort in Kultur-Klischees."

Das morbide Wien-Klischee

In der Tat fallen einem vor allem zur österreichischen Hauptstadt schnell alle möglichen schaurigen und melancholischen Geschichten ein. Und wenn man danach sucht, ist der Tod allgegenwärtig: Der Zentralfriedhof, das Bestattungsmuseum, ein Foltermuseum, der Friedhof der Namenlosen – man kann sogar zahlreiche Führungen und Stadtrundfahren zum Thema "Morbides Wien" buchen. "Manche verwenden es kommerziell und gehen damit ein bisschen hausieren, weil das im Ausland, vor allem in Deutschland, gut ankommt", glaubt auch Fuchs – und schiebt aus eigener Wienerfahrung schmunzelnd hinterher: "Gleichzeitig, wenn man an einem trüben Herbst- oder Wintertag in Wien ist, begegnet man diesen Klischees auch immer."

Tauchen wir also nicht zu tief ein in wackelige Behauptungen über ein Volk, das vielleicht von den Gebietsverlusten nach dem Ersten Weltkrieg gezeichnet ist, das vielleicht den Verlust der Monarchie nie ganz verdaut hat, das vielleicht schlichtweg Spaß am Jammern hat oder eventuell einfach zu wenig Sonne sieht. Zielführender ist eine Betrachtung von Österreichs Filmgeschichte – vor allem die Entwicklung des Kinos nach dem Zweiten Weltkrieg.

Kulturwüste führt zum akademischen Kino

"In der Nachkriegszeit herrschte allgemein eine kulturelle Wüste - vor allem, weil auch so viele jüdische Talente geflüchtet sind oder zur Flucht gezwungen wurden", sagt Fuchs. Aus dieser Tristesse ging ein idyllisches Kino der Heimat- und Schlagerfilme hervor: Wenn es im Land schon schlecht aussah, wollten die Menschen wenigstens im Kino eine heile Welt sehen.

Als diese Filme aus der Mode kamen, rückte in Österreich nichts nach: "Es gab keine funktionierende Filmwirtschaft mehr, also niemanden, der da Gelder reingesteckt hat", erklärt Fuchs. Stattdessen kam der Staat mit seiner Filmförderung. "In dem Moment sind sehr korrekte, bildungsbürgerliche und - das muss natürlich nicht schlecht sein - akademische Filme gefördert worden."

So entstand also eine Filmlandschaft, die sich gerne sperrigen Themen zuwandte. "Das künstlerisch ambitionierte Kino hat Nischen und eigene Wege ganz fernab von dem gesucht, was in anderen Ländern passiert ist", erläutert Fuchs. "Es gab schon seit je her eine starke Dokumentarfilmszene in Österreich, aus der zum Beispiel Ulrich Seidl kommt. In den Siebziger und Achtziger Jahren war auch das Fernsehen sehr aktiv, und es wurden Fernsehspiele finanziell sehr stark gefördert - aus dieser Szene wiederum kommt Michael Haneke." Weil die Regisseure dieser Generation Hollywood und dem europäischen Genrekino skeptisch gegenüberstanden, entstanden auch formell neue Erzählweisen.

Erst in den 1990ern kam ein Gegengewicht, als Kabarettisten wie Josef Hader, Roland Düringer und Alfred Dorfer sich mit Filmen wie "Muttertag" und "Indien" ins Kino wagten. "Wenn man jetzt nur vom Publikum spricht, war das einzig Erfolgreiche diese Kabarettfilme", sagt Fuchs. Die international gerühmten Kunstwerke von Regisseuren wie Haneke und Seidl hatten zu Hause aber wenige Zuschauer - sie hatten ihr Publikum in Paris und auf Festivals statt in österreichischen Kinos. Immerhin: "Man kann mit denen international sehr punkten und wenigstens Renommee einfahren - und davon hat das österreichische Kino sehr viel. Auch wenn das jetzt keine Kassenknüller sind."

Der dunkle Zeitgeist

Erst in den vergangenen Jahren füllte sich die Lücke zwischen populärem Kabarettkino und Kunstfilmen nach und nach. Andreas Prochaska zeigte mit dem Horrorfilm "In 3 Tagen bist du tot", dessen Fortsetzung sowie dem Alpenwestern "Das finstere Tal", dass in Österreich auch andere Stoffe produziert werden können. Und Marvin Kren brachte mit "Blutgletscher" einen Horrorstreifen auf die Leinwand. Jessica Hausner verknüpfte mit "Hotel" Gruselfilm und Psychothriller, ebenso wie Veronika Franz und Severin Fiala mit "Ich seh ich seh". Im Independent-Bereich stemmte Stefan Müller einen Monsterfilm namens "Biest".
Die Liste dieser neuen Versuche zeigt schon: Auch hier herrscht ein düsterer Tonfall vor. Das mag einerseits am Erbe des österreichischen Kinos liegen – andererseits aber Zeitgeist sein: Auch im internationalen Kino ist das Düstere derzeit allgegenwärtig. Selbst ein Comic-Held wie Batman kann nicht mehr bunt und unbekümmert für das Gute einstehen wie noch vor einigen Jahren, sondern wird als getriebener, schwermütiger Kämpfer erzählt, der mit dem Unheil der Welt kaum klarkommt. Kein Wunder also, dass auch das junge österreichische Kino mit Ernst und Schwere daherkommt.

Eine hoffnungsvoll düstere Zukunft

Nur eines fehlt bei diesen Ansätzen, mehr erzählerische Vielfalt in das hiesige Kino zu bringen: ein ausreichend großes Publikum. Abgesehen von Prochaskas Filmen bleiben die Publikumsrenner bisher aus. "Die Leute reagieren da überhaupt noch nicht drauf", bestätigt auch Filmjournalist Christian Fuchs. "Ich fürchte, das Publikum ist über die Jahre sehr auf diese Kabarettschiene geeicht worden, und wenn die einen Actionfilm sehen wollen, wo's wirklich rund geht, dann gehen sie in einen Hollywood-Blockbuster. Das ist alles ein bisschen normiert."

Dennoch zeigt sich Fuchs hoffnungsvoll: "Die Chance für die Zukunft ist, dass jüngere Filmemacher, die einfach anders geprägt sind, durch das Internet und durch Einflüsse aus aller Welt, nicht mehr so in diesen Traditionen verharren müssen." Dabei können diese neuen Ansätze gerne genau das Morbide weiterführen, das die österreichische Filmgeschichte begleitet.

Filmjournalist Christian Fuchs schreibt unter anderem auf FM4 über in- und ausländisches Kino (fm4.orf.at/fuchs) und begleitete Andreas Prochaska auf dessen Audiokommentar zum Film "Das finstere Tal". Fuchs veröffentlichte 1996 das Buch "Kino-Killer", das auch als "Bad Blood" auf Englisch erschien, und ist nebenbei als Musiker tätig, unter anderem als Sänger der Band Bunny Lake.
Autor und Filmemacher Christian Genzel schreibt über Film und Fernsehen und hat an der Universität Salzburg eine Filmreihe über den Ersten Weltkrieg kuratiert. Mit seinem deutsch-österreichischen Spielfilm "Die Muse" hat er selbst einen dunklen Psychothriller inszeniert. Es geht darin um einen Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein neues Buch braucht.
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