- Vor der politischen Wende war die DDR ein Vorzeigeland, wenn es ums Impfen ging. Eine Impfung war im Osten Deutschlands für viele Krankheiten Pflicht.
- Doch in der Corona-Pandemie liegen die neuen Bundesländer zurück, obwohl vor allem Sachsen und Thüringen mit am stärksten davon betroffen waren.
- Warum ist das so? Eine Annäherung.
Zwischen dem deutschen Impfmeister unter den Bundesländern und dem größten Impfnachzügler liegen etwa 350 Kilometer Luftlinie: In Bremen sind aktuell 70,9 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft. Von der Hansestadt in Richtung Südosten sinkt die Quote sprunghaft ab: 64,9 Prozent in Niedersachsen, 57,5 Prozent in Sachsen-Anhalt und nur 52,4 Prozent in Sachsen - niedriger als im Freistaat liegt der Wert für die Erstimpfung nirgendwo in Deutschland.
Vergleich mit dem Primus
Was lief anders in den beiden Bundesländern? In Sachsen stotterte die Impfkampagne anfangs beträchtlich. Server waren überlastet, die Hotlines für die Terminvergabe stundenlang besetzt.
Zudem fehlte es an Impfstoffen. Die sächsische Landesregierung in Dresden monierte regelmäßig Richtung Berlin, dass der Freistaat zu wenig Vakzine geliefert bekomme. All diese Probleme in den Anfangswochen könnten dazu geführt haben, dass der anfängliche Impfwille der Sachsen etwas ausgebremst wurde.
Nun war der Mangel an Impfstoffen ein bundesweites Problem. Größere organisatorische Schwierigkeiten sind aus dem Nordwesten allerdings kaum bekannt. In Bremen haben Mediziner und Verwaltung gemeinsam mit der heimischen Wirtschaft und Hilfsorganisationen die Impfkampagne zügig umgesetzt. Das Impfen sei professionell organisiert gewesen, sagt Bremens Bürgermeister
"Das hat auch Auswirkung auf die Impfbereitschaft." Hinter den Kulissen habe es stets genug Personal gegeben. "In unserem Callcenter zum Beispiel landen die allermeisten Anruferinnen und Anrufer nicht in einer Warteschleife, sondern werden sofort durchgestellt", so Bovenschulte in der Hamburger Morgenpost. Auch sei Bremen von Anfang an auf die Menschen zugegangen, habe sie angeschrieben und ihnen einen Impftermin angeboten.
Ob man nun das kleinste und städtisch geprägte Bundesland mit ländlich geprägten ostdeutschen Ländern vergleichen kann, das ist eine andere Frage.
Wirtschaft ist kleinteiliger
Mittlerweile kann der Abstand bei der Impfquote ohnehin nicht mehr mit der Verfügbarkeit der Impfstoffe oder mit Organisationspannen erklärt werden. Aus dem Sozialministerium in Dresden heißt es in dieser Woche: "Jeder in Sachsen ab 14 Jahren kann sich barrierefrei, einfach und ohne Termin ganztägig im Impfzentrum impfen lassen bei freier Impfstoffwahl. In Sachsen gibt es in keinem Landkreis einen Impfstoffmangel mehr", sagt eine Sprecherin auf Anfrage.
Neben mobilen Impfteams sind mittlerweile auch die Hausärzte in die Impfungen eingebunden. In Sachsen machen noch nicht alle mit, von 4.000 Arztpraxen impfen laut Sozialministerium bisher 2.700. Hier erhoffe man sich in Zukunft eine höhere Beteiligung.
Thüringen steht bei der Impfquote zwar etwas besser da als Sachsen, liegt aber mit 57,2 Prozent an Erstimpfungen ebenfalls weit abgeschlagen. Im dortigen Gesundheitsministerium führt man das auf die geringere Hausarztdichte in ländlichen Regionen und die geringe Anzahl an Betriebsärzten zurück. Als Beleg wird darauf hingewiesen, dass Thüringen nach dem bundesweiten Start der Impfungen in Arztpraxen bei den Erstimpfungen zurückgefallen sei.
Die ostdeutsche Wirtschaft ist kleinteiliger als etwa die in Bremen. Großbetriebe oder Aktien-Konzerne, in denen das Impfthema von Betriebsärzten zentral organisiert werden kann, gibt es kaum.
Die Hausarztdichte wiederum zieht als Argument nur bedingt. Obwohl es in Thüringen Landkreise mit einer vergleichsweise geringen Ärztedichte gibt, heißt es auf Nachfrage bei der Bundesärztekammer dazu: "Die Hausarztdichte in den östlichen Ländern ist keineswegs geringer. Zumal ja auch nicht ausschließlich in Arztpraxen geimpft wird." Weiter erklärt Tanja Hinzmann, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: "Neben den Impfzentren, mobilen Teams und den Betriebsärzten gibt es ja auch zahlreiche weitere regionale Impfaktionen, etwa mit Bussen auf Marktplätzen."
Hohe Infektionsraten - niedrige Impfquote
Während Sachsen und Thüringen in der zweiten Corona-Welle relativ glimpflich davongekommen sind, schlug das Virus in der dritten Welle im deutschlandweiten Vergleich hier besonders heftig zu. Die hohen Infektionsraten zu Jahresbeginn sieht man im Sozialministerium in Dresden jedoch nicht als Impf-Motivator, sondern nimmt eher das Gegenteil an:
"Dies kann bewirken, dass viele Menschen Betroffene kennen, die sich infiziert hatten, aber einen harmlosen Verlauf hatten. Auch das könnte möglicherweise dazu führen, dass die Relevanz der Impfung als nicht so hoch eingeschätzt wird."
Das Ministerium erklärt die momentane Impfmüdigkeit außerdem mit einer gewissen Sorglosigkeit aufgrund der niedrigen Sieben-Tage-Inzidenz in Sachsen von 5,9 (Bundesdurchschnitt liegt bei 19,4, wobei alle ostdeutschen Länder aktuell niedrigere Werte aufweisen). In Sachsen haben auch gerade die Sommerferien begonnen, viele der als sehr reisefreudig geltenden Sachsen haben ihre Impfung bereits bekommen - vor allem diejenigen, die ins Ausland geflogen sind und vor dem Flug keinen Stress haben wollten.
Auch in Thüringen teilt man diese Ansicht: "So könnte mit den zunehmenden Möglichkeiten der Freizeitgestaltung und den Lockerungen im Bereich von Test- und Maskenpflicht das Gefühl der Notwendigkeit für eine Impfung gesunken sein", sagt Luisa Ihle, Leiterin der Kommunikations-Abteilung der Kassenärztlichen Vereinigung.
Studie zeigt: Anteil an Impfskeptikern ist höher
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Dresden haben die Einstellung der Sachsen zu den Corona-Maßnahmen untersucht und dabei auch die Meinung zum Impfen erfragt. Demnach liegt die Impfbereitschaft in der sächsischen Bevölkerung insgesamt auf einem hohen Niveau: Rund 73 Prozent der Sachsen stehen einer Impfung aufgeschlossen gegenüber oder haben sich bereits gegen Corona impfen lassen.
Allerdings haben die Dresdner Wissenschaftler ebenfalls herausgefunden, dass der Anteil an impfskeptischen Personen über dem Bundesdurchschnitt liegt: "21 Prozent aller Sächsinnen und Sachsen zeigen wenig oder keine Bereitschaft zur Impfung." Aber Sachsen ist in diesem Fall nicht gleich Sachsen. Denn während die Impfbereitschaft in Großstädten wie Dresden und Leipzig hoch ist, fällt sie in den ländlichen Regionen Ostsachsens und des Erzgebirges ab.
Schaut man sich die Merkmale der Impfskeptiker genauer an, fällt auf, dass diese laut der Studie häufig niedrigere oder mittlere Schulabschlüsse sowie ein unterdurchschnittliches Einkommen haben und trotz eines vergleichsweise jüngeren Alters oft ohne Kinder im Haushalt leben. Auch die politische Ausrichtung der Impfskeptiker wurde untersucht. So seien Impfgegner häufiger "rechts der Mitte zu verorten" oder der AfD zugeneigt. Ebenso seien Befragte, welche die FDP oder die Freien Wähler positiv bewerteten, im Schnitt etwas impfskeptischer eingestellt.
Ostdeutsche sind keine Impfmuffel
Fazit: Dass die Ostdeutschen generell Impfmuffel sind, dieses Bild stimmt nicht. Bis vor Corona war sogar das Gegenteil der Fall. Bei der Grippe-Impfung und bei Impfungen für Kinder lagen die Menschen in allen neuen Bundesländern bislang vorn, was mit der Impfpflicht für viele ansteckende Krankheiten in der DDR zusammenhängen dürfte.
Aber woran liegt es dann, dass Ostdeutschland bei den Corona-Impfungen zurückliegt? Zunächst einmal muss man sagen, dass man 30 Jahre nach der Wende die Ostdeutschen nicht als homogene Gruppe betrachten kann. Das zeigen schon die Unterschiede zur Impfbereitschaft innerhalb von Sachsen. Während in Großstädten eine durchschnittliche Impfbereitschaft herrscht, fällt diese in strukturell benachteiligten Gebieten ab.
Diese Strukturschwäche hat die Impfkampagne dort nicht nur vor organisatorische Probleme gestellt, sondern drückt sich auch in einer generell höheren Regierungsskepsis aus. Auf diesem Nährboden führte beispielsweise das Hin und Her beim Umgang mit dem Astrazeneca-Impfstoff zu einem weiteren Vertrauensverlust.
Fragt man die Menschen vor Ort, so hört man oft Zweifel an der Qualität der Impfstoffe angesichts ihrer schnellen Entwicklung; oder Angst vor Nebenwirkungen, auch aufgrund eigener gesundheitlicher Probleme. Hier hilft am Ende nur Aufklärung durch Ärzte und gleichzeitig das Ansprechen der Menschen mit einem Impfangebot in deren Lebensalltag.
Impfen in Stadien und auf Märkten
Diesen Weg verfolgt auch die Sächsische Landesregierung seit einigen Wochen. 30 mobile Impfteams sind in Gebieten mit geringerer Impfbereitschaft unterwegs. “Die bisherigen Aktionen wie im Fußballstadion des FC Erzgebirge in Aue, vorm Stadion des Chemnitzer FC oder beim Schlesischen Tippelmarkt in Görlitz wurden gut angenommen”, sagt eine Sprecherin des Sozialministeriums und ergänzt, dass es auch Belohnungen in Form von Freikarten für Fußballspiele gab. Man gehe auch zu Hochschulen, Obdachlosen-Einrichtungen und in bestimmte Stadtviertel.
Weiterhin verweist die Ministeriums-Sprecherin auf Plakat- und Anzeigenkampagnen, die Impfungen bewerben, damit Konzertbesuche, Reisen, Sportveranstaltungen mit Publikum oder Restaurantbesuche auch im Herbst möglich bleiben und Kitas, Schulen, Hochschulen und Pflegeheime geöffnet bleiben können. Zudem wurden Videoclips gedreht, in denen Geimpfte in kurzen Filmclips ihre persönliche Motivation erklären, warum sie sich die Corona-Schutzimpfung geben lassen.
Zudem lockt Sachsen seit Mittwoch mit zusätzlichen Vergünstigungen. Geimpfte können sich auf einer Internetseite registrieren - und haben dort die Chance auf exklusive Angebote, Rabatte und Shopping-Gutscheine für mehr als 500 Partnershops.
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Verwendete Quellen:
- Impfdashboard.de: Aktueller Impfstatus
- MDR: Weniger Impfstoff nach Sachsen geliefert als vereinbart
- forum-midem.de: COVID-19 in Sachsen - sozialräumliche und politisch-kulturelle Rahmenbedingungen des Pandemiegeschehens
- mopo.de: Warum Bremen Impfmeister ist – und nicht wir
- MDR: Impfen: Die Geschichte vom Pieks
- wiwo.de: Was das Verhalten bei Grippe-Impfungen über Corona verrät
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