• "Deutschland krempelt die Ärmel hoch" - so wirbt die Bundesregierung für die Corona-Impfungen.
  • Doch fünf Wochen nach ihrem Beginn steht die Massenimpfung in der Kritik.
  • Was lässt sich ändern?

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Die Hoffnungen waren groß, als die Corona-Impfungen in Deutschland am zweiten Weihnachtstag anliefen - nicht einmal ein Jahr nach Beginn der Pandemie. Doch die Freude ist eingetrübt. Vielen geht es bei der größten Impfaktion der Republik einfach nicht schnell genug voran.

Unsichere Liefertermine für den knappen Impfstoff, dauerbesetzte Termin-Hotlines und leerstehende Impfzentren sorgen für Ärger. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will an diesem Montag bei einem "Impfgipfel" die Wogen glätten und mit Ländern und Pharmafirmen die Möglichkeiten für mehr Tempo ausloten. Doch wie realistisch sind einfache, schnelle Lösungen?

Erwartungen an "Impfgipfel" sind immens

Die Erwartungen wurden übers Wochenende immer höher geschraubt. Einen über Wochen und sogar Monate "verlässlichen Lieferplan" für die begehrten Impfstoffe verlangt CSU-Chef Markus Söder, eine "Notimpfstoffwirtschaft" der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck. Dabei hatte die Bundesregierung die Erwartungen vorsorglich gedämpft. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte "mindestens zehn harte Wochen" mit knappem Impfstoff voraus. Die Videoschalte in Spitzenbesetzung dient Merkel und Spahn auch dazu, jetzt alle mit in die Verantwortung zu nehmen. Wie ist nun der Stand? Wie sind die Perspektiven?

Die Probleme im Überblick

Der Impfstoff-Nachschub

Dass Impfstoff jetzt so rar ist, kommt weder plötzlich noch überraschend. "Wir müssen durch den Winter durchkommen, ohne darauf setzen zu können, dass wir in großem Maße schon Impfstoff zur Verfügung haben", hatte Merkel bereits Anfang Dezember vorgewarnt. Doch jetzt wird das Problem ganz konkret sichtbar. "Umso wichtiger ist es für die Länder, dass wir genau wissen, wann mit welchen Lieferungen zu rechnen ist, damit wir besser planen können", fordert Michael Müller (SPD), Berlins Regierender Bürgermeister und Chef der Ministerpräsidentenkonferenz.

Geliefert wurden bisher in Deutschland über 3,5 Millionen Dosen. 2,2 Millionen Dosen wurden gespritzt. Einige Länder lagern den Impfstoff erst ein, um ihn für die notwendige zweite Spritze sicher zu haben, andere verabreichen im Vertrauen auf kommende Lieferungen gleich alles. Am Freitag wurde das dritte Vakzin, das von Astrazeneca, zugelassen. Bis zum 22. Februar werden laut Gesundheitsministerium weitere 5 Millionen Impfdosen oder mehr an die Länder geliefert. Klar ist: Auf die Herstellungskapazitäten kommt es an. Merkel hat betont: "Ich betreibe keine Produktionswerke für Impfstoffe."

Die Rolle der Hersteller

Bei allem Respekt für die historisch fixe Entwicklung der Corona-Impfstoffe stehen die Anbieter unter verschärfter Beobachtung. Biontech und sein US-Partner Pfizer sorgten für Ärger bei Bund und Ländern mit einer kurzfristigen Ankündigung, wegen Werksumbauten vorübergehend weniger zu liefern - auch wenn dadurch eine größere Produktion möglich werden soll. Große Erwartungen liegen auf einem neuen Biontech-Werk in Marburg.

Mit Astrazeneca lieferte sich die EU-Kommission eine scharfe Auseinandersetzung: Der britisch-schwedische Konzern hatte vor gut einer Woche überraschend mitgeteilt, im ersten Quartal statt 80 Millionen nur 31 Millionen Dosen Impfstoff an die EU-Staaten zu liefern. Die Empörung war groß, am Sonntag sagte Astrazeneca dann zu, immerhin neun Millionen Dosen mehr zu liefern, also insgesamt 40 Millionen Dosen, wie EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mitteilte.

Jetzt fordert Söder: "Wir müssen mehr produzieren können." Habeck will, dass alle Pharmakonzerne ihren Fähigkeiten entsprechend Impfstoffe mitproduzieren. Aber Spahn hat schon vorgewarnt: "Eine Impfstoff-Produktion lässt sich nicht in vier Wochen mal eben aufbauen." Bereits jetzt gibt es Kooperationen zwischen Pharmaunternehmen. So will etwa der Pharmakonzern Sanofi ab Sommer mehr als 125 Millionen Dosen des Biontech-Impfstoffs für die EU liefern. Dazu sollen Anlagen am Standort Frankfurt-Höchst umgerüstet werden.

Die Lieferaussichten

Vertraglich für Deutschland reserviert sind in diesem Jahr beträchtliche Impfstoffmengen. Doch sie kommen nicht auf einen Schlag. Und vor allem bei den kleinen Mengen zu Beginn können schon leichte Abweichungen Impftermine durcheinanderbringen. Im zweiten Quartal soll mehr geliefert werden, im dritten dann noch mehr. Vorausgesetzt, bis dahin klappt alles wie vorgesehen.

Konkret gesichert sind laut Gesundheitsministerium insgesamt mehr als 90 Millionen Biontech-Dosen, 50 Millionen vom Hersteller Moderna und 56 Millionen von Astrazeneca. Folgen könnten - von bislang noch nicht zugelassenen Impfstoffen - 37 Millionen Dosen von Johnson & Johnson, 53 Millionen von Curevac und womöglich 55 Millionen von Sanofi/GSK. Spahn nimmt auch schon weitere Bestellungen in den Blick, die über das erste Impfangebot hinausgehen - etwa wegen möglicherweise extra nötiger Impfungen gegen Virus-Mutationen. Offen ist zudem, ob auch bei COVID-19 eine Verstärker-Impfung nach einigen Jahren fällig wird.

Die Impforganisation

Die Impfungen vor Ort laufen in der Regie der Länder, und einige sind da weiter als andere. Bereitstehen sollen insgesamt mehr als 400 regionale Impfzentren, aber Hochbetrieb herrscht längst noch nicht. Terminbuchungen werden nach und nach angeboten. Bei Impfwilligen gibt es oft Frust, weil viele bei Telefon-Hotlines nicht durchkommen. Die Kassenärzte baten schon um Geduld und versichern, ein "Wettrennen" um Termine sei nicht nötig.

Über ihre bundesweite Nummer 116 117 werden Anrufer in den meisten Ländern an Call Center geleitet, die Impffragen beantworten und teils Termine vermitteln. Online geht das meist auch. Aber da kommen regelmäßig Hinweise wie "Aktuell kein Impfstoff mehr verfügbar - derzeit keine weiteren Impftermine buchbar". Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) beklagt wacklige Ankündigungen - die Liefermengen für Moderna seien geringer als angekündigt, bei Astrazeneca gelte ein Änderungsvorbehalt. Verlässliche Terminvergabe sei so unmöglich. Pragmatisch zeigt sich das Saarland - mit gemeinsamen Termin für mehrere Impfwillige.

Der Impf-Zeitplan

Die Ungeduld ist groß - denn die Hoffnung ist: Je mehr Impfungen es gibt, desto weniger Alltagsbeschränkungen sind nötig. Für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sind sie "das entscheidende Licht am Ende des Tunnels". Spahn hat Zwischenetappen abgesteckt: Bis Mitte Februar sollen alle Pflegeheimbewohner ein Impfangebot erhalten. Bisher sind 560.000 geimpft - gerechnet wird damit, dass sich wohl bis zu 650.000 impfen lassen möchten. Bis Ende März sollen alle Über-80-Jährigen ein Impfangebot bekommen haben.

Nach und nach sollen sich weitere Gruppen impfen lassen können - über die Reihenfolge wird aber weiter diskutiert. Vielleicht im Sommer könnten die Impfungen dann in die Arztpraxen übergehen und auf breiter Front vorankommen. Merkel bekräftigte, wenn alles klappe, könne man jedem "bis Ende des Sommers" ein Impfangebot machen. Und der Sommer gehe kalendarisch bis zum 21. September. Das wäre dann auch pünktlich zur Bundestagswahl am 26. September.

Die deutsche Lage im Vergleich

In Israel, Großbritannien und den USA zum Beispiel wurden bisher mehr Menschen pro Einwohner geimpft als in Deutschland. In Großbritannien wurde das Biontech-Präparat auch schon Anfang Dezember zugelassen, auch das in Praxen anwendbare Astrazeneca-Produkt wird dort schon gespritzt. In den EU-Staaten gibt es weniger große Unterschiede. Weltweit sind die Impfungen ungleich verteilt. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO wurden bisher rund drei Viertel der Dosen in zehn Ländern gespritzt. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus mahnt, es sei nicht richtig, wenn jüngere Erwachsene in reichen Ländern noch vor den Älteren und dem Gesundheitspersonal in den armen Ländern geimpft würden. Experten warnen auch vor Rückschlägen in der Pandemie durch Impfnationalismus: Gegen die Impfstoffe resistente Virusmutationen könnten vor allem in den Ländern entstehen, wo wenig geimpft wird. (mgb/dpa)

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