- So ändern sich die Zeiten: Vor nicht einmal einem Jahr war Portugal das Sorgenkind Europas, nun gilt das Land am Atlantik als Positivbeispiel im Umgang mit Corona.
- Welche Lerneffekte aus den ersten Coronawellen hat Portugal gezogen?
- Was hat sich im Land geändert? Eine Analyse.
Einst bangte ganz Europa um die 10,31 Millionen Menschen in Portugal: Die Coronapandemie war außer Kontrolle geraten, die Intensivstationen völlig überlastet. Es gab keine freien Krankenhausbetten, die Beatmungsgeräte reichten nicht mehr aus. Deutschland und andere europäische Länder schickten medizinisches Personal zur Hilfe. Das war im Januar 2021. Trauriger Höhepunkt war der 28. Januar: an diesem Tag starben 303 Personen, insgesamt 16.432 neue Fälle registrierte die Johns Hopkins Universität (JHU) damals.
Lehren aus dem Schock gezogen
Doch das ist Vergangenheit. Jetzt, knapp ein Jahr später, verzeichnete die JHU am 10. November acht neue Todesfälle und 1.182 Neuansteckungen an einem Tag. Zahlen, von denen andere Länder derzeit nur träumen können. In Deutschland waren es am gleichen Tag 41.286 neue Fälle und 237 Tote. Doch die Portugiesen haben das Trauma vom Januar 2021 noch nicht vergessen. Das Land war damals das am härtesten von der Pandemie getroffene in der EU, und genau das wollen die Portugiesen kein zweites Mal erleben. Dem ZDF sagte der Impfkoordinator Henrique de Gouveia e Melo, dass die Portugiesen deswegen an einem Strang ziehen würden. So hätten sie sich an die Corona-Maßnahmen gehalten. Laut dem BR gab es bislang auch keine größeren Demonstrationen gegen die Regelungen der Regierung. Der Lohn: Im September wurden fast alle Maßnahmen abgeschafft, nur in öffentlichen Verkehrsmitteln, Kinos und großen Einkaufszentren muss man laut dem "Deutschlandfunk" noch einen Mund-Nasen-Schutz tragen.
Eine sehr hohe Impfquote
Dieser Zusammenhalt zeigt sich vor allem an einer Zahl, denn schon im September durfte sich Portugal "Impfweltmeister" nennen. Jetzt sind knapp 8,9 Millionen Menschen geimpft, das entspricht 86,53 Prozent der Bevölkerung (Stand 10.11.2021). Und das ohne Impfpflicht - weder für die gesamte Bevölkerung noch für einzelne Berufsgruppen. "Die Kommunikation über den Impfprozess haben wir sehr aktiv und offen geführt", sagte Gouveia e Melo dem ZDF. "Das war sehr wichtig und hat ein Gemeinschaftsgefühl geschaffen."
Militärisch durchgeführte Impfkampagne
Aber es liegt auch an dem Impfkoordinator selbst, dass dieses Ziel erreicht wurde. Denn bevor der Vize-Admiral das Ruder übernommen hatte, verlief auch in Portugal die Impfkampagne schleppend. Gouveia e Melo gilt laut dem "Standard" als Spezialist für schwierige logistische Aufgaben. Der 60-Jährige setzte auf die Expertise von Wissenschaftlern und Ärzten, verzichtete auf Klein-Klein und ständige Ausnahmen und entwickelte stattdessen mit seinen Soldaten effiziente Impfstraßen. Von da an sei wie am Fließband geimpft worden, sagte Gouveia e Melo.
Zudem sei jeder Bürger mindestens dreimal persönlich angeschrieben worden. Reagierte jemand nicht, wurden Erinnerungen versandt. Und zu guter Letzt trat Gouveia e Melo immer wieder im Fernsehen in Uniform auf und bediente sich dabei eines militärischen Terminus: "Ich habe der Bevölkerung klargemacht, dass wir uns im Krieg gegen das Virus befinden und uns zusammentun müssen, um gegen es zu gewinnen und unsere Kinder davor schützen", sagte Gouveia e Melo der "Welt".
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Kaum Impfskeptiker
Apropos Kinder: Sie sind es wohl auch, warum es in Portugal kaum Impfskeptiker gibt: Erst nach der Revolution wurde im Jahr 1979 der Nationale Gesundheitsdienst (SNS) gegründet, er bildete die Grundlage des portugiesischen Gesundheitssystems. Damals war die Kindersterblichkeit laut der "Welt" sehr hoch, viele Portugiesen verloren ihre Töchter und Söhne an Masern, Mumps und anderen Kinderkrankheiten. Das änderte sich mit der Einführung der Impfungen. So lag vor Corona die Impfrate auch bei Masern, Röteln und Mumps bei 95 Prozent.
Nur drei Prozent der Portugiesen bezeichnen sich laut dem "Tagesspiegel" als sogenannte Impfverweigerer. Die Bevölkerung habe bei Corona "der Wissenschaft und den Impfstoffen vertraut", resümierte die Generaldirektorin für Gesundheit, Graça Freitas gegenüber der Nachrichtenagentur Lusa. "Wir sind hier nicht egoistisch, wir haben keine Angst vor Impfungen", sagte auch Gouveia e Melo dem ZDF.
Impfung als Bürgerpflicht
Eine Umfrage des Eurobarometers zeigt es noch deutlicher: Laut dieser Erhebung der EU-Kommission stimmten in Portugal mehr als 80 Prozent der Menschen folgender Aussage zu: "Jeder sollte gegen Covid-19 geimpft werden. Dies ist eine bürgerliche Pflicht." EU-weit bestätigten dies nur 66 Prozent zu, in Deutschland sind es 67.
Verwendete Quellen:
- Coronavirus.jhu.edu
- zdf.de: Portugal: Impfen im Eiltempo und ohne Zwang
- br.de: Wo in Europa die Impfkampagnen weiter sind als in Deutschland
- Derstandard.de: Impfweltmeister Portugal hat eine Schlacht gewonnen, aber noch nicht den Krieg
- Tagesspiegel.de: Darum hat Portugal ohne Zwang alle im Impftempo überholt
- Morgenpost.de: Spanien und Portugal: Corona-Impfung als bürgerliche Pflicht
- Deutschlandfunk.de: Wie Europas Staaten gegen die Pandemie kämpfen
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