Der Brand der Pariser Notre-Dame war ein tragisches Ereignis für Menschen auf der ganzen Welt. Noch ist ungeklärt, wann die Kathedrale wieder für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Und auch über das künftige Aussehen ist noch nicht entschieden.
Für die Franzosen war 2019 ein turbulentes Jahr. Erst legten die Gelbwesten wegen einer von der Regierung geplanten Dieselsteuer über mehrere Monate hinweg die Pariser Prachtstraße Champs-Élysée lahm. Dann lähmten Streiks und Demonstrationen wochenlang das öffentliche Leben – sie dauern immer noch an. Doch das für Frankreich tragischste Ereignis fiel auf die erste Hälfte des Jahres. An einem Frühlingstag verbrannten 800 Jahre Geschichte innerhalb weniger Stunden.
Die Abendnachrichten vom 15. April versetzten Menschen auf der ganzen Welt in einen Schockzustand. Gegen 18.50 war auf dem Dachboden der Pariser Kathedrale Notre-Dame ein Feuer ausgebrochen, binnen weniger Minuten stiegen grün-gelbe Rauchwolken empor, der Himmel glühte rot. Ohnmächtig beobachteten Pariser und Touristen, wie das Feuer in kurzer Zeit den mehr als 90 hohen Vierungsturm erfasste. Die steinerne Spitze brach zur Seite und in sich zusammen. Die Bilder gingen um die Welt.
Die Notre Dame, Wahrzeichen einer ganzen Kultur, sah an diesem Abend aus wie ein brennendes Kreuz. Ein trauriger Anblick. In Echtzeit wohnte ein Weltpublikum dem traurigen Spektakel bei, ob auf Twitter, Youtube oder Facebook. 600 Feuerwehrleute, Hubschrauber und Drohnen konnten die Katastrophe zwar eindämmen, aber nicht verhindern: "Der Wald", wie die Franzosen den aus über 1.300 Eichen gebauten Dachstuhl aus dem 13. Jahrhundert nennen, brach zusammen und wurde vollständig zerstört. Die Franzosen, nach wochenlangen Streiks und harten politischen Auseinandersetzungen zerstritten, kannten an diesem Tag keine Lager. In kürzester Zeit strömten hunderte Menschen jeglicher Coleur an das Seine-Ufer und begannen zu beten, zu singen, miteinander zu leiden. An den Quais und auf den Brücken bildeten sich Zuschauermengen. Einheimische Touristen unterbrachen ihren Weg durch die Nacht, obwohl wenig später die letzte Metro fuhr, um auf die zwei wuchtigen gotischen Kalksteintürme zu blicken. Mancherorts wurde "Ave Maria" angestimmt.
Der "Glöckner von Notre-Dame" machte die Kathedrale international populär
Die Bedeutung der Notre-Dame ist für die Franzosen unermesslich – sie ist das "Herz Frankreichs", wie Emmanuel Macron es kurz nach der Katastrophe formulierte. Unzählige historische Ereignisse verbinden die Franzosen mit ihrer Kathedrale: Napoleon wurde hier 1804 zum Kaiser gekrönt, 140 Jahre später läuteten die Glocken, als Paris von den Deutschen befreit wurde. Und im Jahr 1996 weinte an diesem Ort Deutschlands Altbundeskanzler Helmut Kohl um seinen langjährigen Weggefährten, den ehemaligen Staatspräsidenten Francois Mitterand. Eine Messingplatte auf dem Kirchenvorplatz bildet den französischen Referenzpunkt, von dem aus jede Entfernung, jede Straße und jeder Schienenweg gemessen wird. Seit der Fertigstellung um 1245 gehört die Silhouette der beiden massiven Türme zum Pariser Stadtbild, sie ziert beinahe jede Postkarte der französischen Hauptstadt. Strahlkraft weit über Frankreich hinaus entwickelte die Kathedrale spätestens durch den Roman "Der Glöckner von Notre Dame" des Schriftstellers Victor Hugo von 1831. Hugo machte die Kathedrale und ihre vielen architektonischen Details, die vor dem Erscheinen des Romans zunehmend verfallen war, zum Mittelpunkt seiner Geschichte und erinnerte die Franzosen an ihren Schatz.
Wie sehr dieser gelitten hatte, zeigte sich erst in den darauffolgenden Tagen der Katastrophe. Das Feuer hatte eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Vom mittelalterlichen Dachstuhl war nicht viel übriggeblieben. Teile der darunterliegenden Gewölbekuppeln waren eingestürzt. Temperaturen bis zu 1000 Grad, Rauch und Löschwasser hatten Mauerwerk und Struktur schwer beschädigt. Und selbst in den Orgelpfeifen fanden sich Rückstände von geschmolzenem Blei.
Ein Bauwerk für die Ewigkeit
Und dennoch: Die Baukunst der Meister des 12. bis 14. Jahrhunderts hatte sich ausgezahlt: Bauwerke dieser Epoche waren für die Ewigkeit gedacht, die Architekten zogen ihre Strebebögen in die Höhe und konstruierten das brennbare Holzdach getrennt vom Restgewölbe der Kathedrale. Darauf wird sich in den nächsten Jahren aufbauen lassen. Überlebt hatten nicht nur Steine, sondern auch das prächtige Buntglasfenster aus dem nördlichen Querschiff sowie Einrichtungsgegenstände, Kunstwerke, das Altarkreuz und die Kanzel. Sogar die Dornenkrone, eine der wichtigsten Reliquien der katholischen Kirche, wurde gerettet. Jesus Christus soll sie angeblich bei seiner Kreuzigung getragen haben. Von den Ölgemälden in der Kathedrale, darunter "Thomas von Aquin am Brunnen der Weisheit" von Antoine Nicolas und "Heimsuchung Mariä" vom französischen Maler Jean Jouvenet, konnten mit Ausnahme einiger Wasserschäden die meisten in Sicherheit gebracht werden.
Bis heute gibt es nur Vermutungen, welche Ursache das verheerende Feuer hatte. Noch am selben Abend leitete die Pariser Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen "fahrlässiger Sachbeschädigung durch Feuer" ein. Im Zentrum der Ermittlungen stehen seitdem einige Bauarbeiter, die wenige Minuten vor dem Brand auf dem Dachboden gearbeitet hatten. Ein Rauchverbot soll von ihnen missachtet worden sein, auch ein Kurzschluss kommt in Betracht. Wieso der Dachstuhl in Flammen aufging, ist bis heute ungeklärt.
Die anfängliche Solidarität überlebte auch die Tage nach dem Unglück. Das lag vor allem an der beherzten Reaktion von Präsident Emmanuel Macron, die den Franzosen Hoffnung machte: In einer Fernsehansprache versprach Macron, dass die Kirche "innerhalb von nur fünf Jahren wiederaufgebaut werden kann." Das Pariser Wahrzeichen solle dann noch schöner als vorher sein, kündigte er an. Ein ehrgeiziges Vorhaben: Denn Konstrukteure, die ein Projekt dieser Größenordnung organisieren und durchführen können, gibt es nicht viele. Doch wenn 2024 in Paris die Olympischen Spiele starten, soll Notre Dame wieder zugänglich sein. Die Regierung brachte dafür eigens ein Gesetz ein, das Ausnahmen beim Umwelt- und Denkmalschutz und für öffentliche Ausgaben vorsieht, um die Arbeiten zu beschleunigen.
Und Macron tut seitdem vieles, um sein Versprechen zu halten. Innerhalb weniger Tage gelang es ihm, vermögende Investoren an Land zu ziehen. Die Chefs von LVMH, die sonst Taschen (Louis Vuitton) oder Spirituosen (Moët Hennessy) produzieren, kündigten an, sich mit einer hohen Millionensumme am Wiederaufbau zu beteiligen. Auch Bernard Arnault und die Konzerne L’Oréal und Total sagten beträchtliche Summen zu. Und Kunden der Kaufhauskette Monoprix konnten bei Einkäufen aufrunden, um kleine Beträge für Notre-Dame zu spenden. Ein Großteil der versprochenen Gelder ist inzwischen eingegangen.
Wie soll die Kathedrale künftig aussehen?
Doch gerettet ist Notre-Dame auch acht Monate nach der Katastrophe nicht, wie Chef-Architekt Philippe Villeneuve unlängst zu Protokoll gab. Zuletzt enthüllte eine Fernsehreportage Bilder aus dem gespenstisch leeren Innenraum der Kathedrale. Heruntergefallene Steine wurden in ein weißes Zelt auf dem Kirchenvorplatz verfrachtet. Bevor sie für den Wiederaufbau verwendet werden können, muss das Gebäude stabilisiert werden.
Der Wiederaufbau lehrt Frankreich deshalb Geduld. Zudem treibt die Menschen um, wie Notre-Dame in Zukunft aussehen soll. Wird sie mitsamt dem zerstörten Spitzturm aufgebaut, der erst im 19. Jahrhundert hinzugekommen war? Oder soll es stattdessen einen Spitzturm aus Glas geben, als Fingerzeig auf die Pyramide am Louvre – einen Vorschlag, den der Chefarchitekt der russisch-orthodoxen Kirche in Paris zuletzt ins Gespräch brachte? Auch Ideen für eine Fensterdecke und ein begehbares Dach hat Sympathisanten.
Im Juni soll über den Architektenentwurf entschieden werden. Doch eine Gewissheit gibt es schon jetzt: Das Herz von Paris wird aufgebaut. Es gehört zu Paris heute mehr denn je.
Verwendete Quellen:
- Le Figaro: L'incendie de la cathédrale Notre-Dame de Paris est maîtrisé, "nous la rebâtirons" promet Macron
- YouTube: Ansprache an die Nation von Präsident Macron am 16.04.19
- France Culture: "La sécurisation de la cathédrale passe bien avant la nature de sa flèche"
- National Geographic (TV-Doku): Notre-Dame: Kampf gegen die Flammen
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.