• Die Taliban haben ein wirtschaftlich marodes Land erobert.
  • An die Geldreserven der gestürzten afghanischen Regierung kommt die radikalislamische Miliz nicht heran.
  • Die Extremisten könnten nun mehrere Strategien verfolgen, um sich Gelder zum Regieren zu beschaffen.
Eine Analyse

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Innerhalb von zehn Tagen haben die Taliban Afghanistan erobert. Nach dem Feldzug kommt nun die Regierungsarbeit. In einem Land, das wirtschaftlich am Boden liegt und zu den ärmsten der Welt gehört. Womöglich könnte der radikalislamischen Miliz schon bald das Geld ausgehen, denn an die Mittel der gestürzten Regierung kommt sie nicht heran.

Der nach der Machtübernahme der Taliban außer Landes geflohene bisherige afghanische Zentralbankchef Adschmal Ahmadi erklärte am Mittwoch auf Twitter, rund sieben Milliarden Dollar (sechs Milliarden Euro) der Reserven seien bei der US-Notenbank in Verwahrung. Weitere zwei Milliarden Dollar sind demnach anderweitig international angelegt. Nach Angaben eines US-Regierungsvertreters haben die Taliban keinen Zugriff auf das Zentralbankguthaben.

Ein Großteil des Geldes befindet sich also außerhalb Afghanistans – und damit außer Reichweite der Taliban. Die Miliz ist seit Langem mit US-Sanktionen belegt, die ihnen unter anderem internationale Finanztransaktionen massiv erschweren. Die Islamisten werden nun wohl verschiedene Strategien verfolgen, um ihren Machtapparat am Laufen zu halten.

US-Bargeldlieferungen nach Afghanistan gestoppt

Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) beliefen sich die Reserven der afghanischen Zentralbank Ende April auf insgesamt 9,4 Milliarden Dollar (acht Milliarden Euro). Die Taliban hätten aber nur Zugriff auf bis zu 0,2 Prozent der Währungsreserven, behauptete Achmady.

Weil in Afghanistan bislang deutlich mehr Dollar ausgegeben als eingenommen wurden, war die Zentralbank zudem auf regelmäßige Lieferungen von US-Bargeld angewiesen. Ahmadi zufolge sollen die Lieferungen aber angesichts des Vormarsches der Taliban eingestellt worden sein. Der Mangel an Dollar könnte nun zu Kapitalkontrollen, einer Begrenzung von Abhebungen und zu einem Verfall des Kurses der örtlichen Währung führen.

Dazu kommt: Die Taliban können bis auf Weiteres auch nicht auf internationale Hilfsgelder zugreifen. Afghanistan ist als eines der ärmsten Länder der Welt stark auf diese Mittel angewiesen. Nach Angaben der Weltbank fielen 2020 43 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf Hilfsgelder.

"Afghanistan ist auf grausame Weise von ausländischer Hilfe abhängig"

"Derzeit herrscht innerhalb der internationalen Gemeinschaft Unklarheit über die Anerkennung einer Regierung in Afghanistan, was dazu führt, dass das Land keinen Zugang zu Sonderziehungsrechten oder anderen IWF-Ressourcen hat", erklärte eine IWF-Sprecherin am Mittwoch. In Summe wären das 710 Millionen Euro für 2021 .

Auch die USA und Deutschland, zwei der wichtigsten internationalen Geldgeber, haben ihre Entwicklungshilfe für Afghanistan bereits gestoppt. Dabei geht es um insgesamt mehrere Hundert Millionen Dollar – pro Jahr, allein aus der Bundesrepublik.

"Afghanistan ist auf grausame Weise von ausländischer Hilfe abhängig", betont die Expertin Vanda Felbab-Brown von der US-Denkfabrik Brookings Institution. Die Höhe der bisherigen Hilfszahlungen betrage mindestens das Zehnfache dessen, was die Taliban-Führung in dem Land einnehme.

Taliban um positive Außenwirkung bemüht

Der Geldmangel sei einer der Gründe, warum die Taliban nun versuchen werden, "sich einen guten Ruf zu erarbeiten, damit sie sich an die internationale Gemeinschaft wenden können", erklärte Afghanistans Zentralbank-Chef Achmady.

Anders als während ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 scheinen sich die Taliban derzeit tatsächlich um ein gutes Bild nach außen zu bemühen. Russland, China und die Türkei haben die ersten öffentlichen Erklärungen der Islamisten bereits begrüßt.

Charles Kupchan, Experte der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations und Ex-Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates unter Bill Clinton und Barack Obama, glaubt jedoch nicht, dass die Taliban große Wirtschaftshilfen etwa aus China erwarten dürften. "Die Chinesen sind sehr handelsorientiert. Sie sind eher an Ländern mit einem guten Geschäftsumfeld interessiert, an Ländern, in denen sie ihre neuen Seidenstraßen aufbauen können", sagt er.

Mit der Machtübernahme durch die Taliban ist die Unsicherheit für Unternehmen sehr groß. Potentielle Interessenten aus dem Ausland werden die Lage erst einmal sondieren und eher abwarten.

Die Geschäftsfelder der Taliban

Sehr viel Zeit haben die Taliban nicht bei der Geldbeschaffung. Laut einem im Mai 2020 veröffentlichten Bericht des Sanktionsausschusses des UN-Sicherheitsrats belaufen sich die derzeitigen Einnahmen der Taliban nur auf schätzungsweise 300 Millionen bis 1,5 Milliarden Dollar pro Jahr. Mohammad Yaqoob, einer der Söhne des Taliban-Gründers Mohammad Omar bezifferte das Jahreseinkommen im März 2020 auf 1,67 Milliarden Dollar.

Ein großer Teil der Einnahmen der Taliban stammt aus der Steuererhebung, sagt Außenexperte Kupchan. Die Taliban seien wahre Meister darin, in den von ihnen kontrollierten Gebieten so gut wie alles zu besteuern. Mehr kontrollierte Gebiete versprechen nun natürlich auch mehr Steuereinnahmen.

Auch kurzfristig wären weitere Erträge aus anderen Bereichen möglich:

  • Bergbau: Laut einer Studie im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums gibt es in Afghanistan noch unerschlossene Mineralvorkommen im Wert von fast einer Milliarde Euro. Unter anderem befinden sich in dem zentralasiatischen Land das zweitgrößte bekannte Kupfervorkommen der Welt sowie große Lithium- und Eisenlagerstätten. Dazu kommen Öl- und Gasfelder.
  • Einfuhrzölle: Bereits im Juli erklärte der US-Sondergeneralinspekteur für den Wiederaufbau Afghanistans in einem Bericht, dass die Taliban "eine Reihe wichtiger Grenzübergänge" mit "erheblichen Zolleinnahmen" erobert hätten. Mittlerweile dürfte die radikalislamische Miliz alle zentralen Grenzübergangsstellen des Landes kontrollieren – und damit neben den Zöllen auch den Warenfluss.
  • Spenden: Es wird vermutet, dass die Extremisten insbesondere in Pakistan über finanzstarke Unterstützer verfügen. Afghanische und US-Behörden warfen zudem in der Vergangenheit auch den Regierungen Irans und Russlands vor, die Taliban finanziell zu unterstützt zu haben. Ebenso Privatpersonen aus Saudi-Arabien, der Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar, schreibt die britische BBC. Sie schätzte 2018 die Zuwendungen aus dem Ausland auf bis zu 500 Millionen Dollar im Jahr.

Einen weiteren beträchtlichen Teil der bisherigen Einkünfte bezogen die Taliban aus kriminellen Aktivitäten – die nun ebenfalls ausgebaut werden könnten:

  • Drogen: Ein wichtiger Wirtschaftszweig ist der Anbau von Schlafmohn, aus dem Opium und Heroin gewonnen wird. "Afghanistan wird nicht länger ein Land sein, in dem Opium angebaut wird", erklärte ein Taliban-Sprecher am Dienstag. Demnach soll die Produktion "auf Null reduziert" werden – Experten bezweifeln das jedoch. Afghanistan ist der weltgrößte Produzent von Schlafmohn, hunderttausende Arbeitsplätze hängen daran.
  • Erpressung: Auch die Erpressung lokaler Unternehmen und Lösegeldforderungen nach Entführungen spülen Gelder in die Kassen der Islamisten. Mit Blick auf Untersützung sowohl im In- als auch im Ausland, dürfte das allerdings künftig nur noch eingeschränkt möglich sein.
  • Schwarzmarkt: Milliarden von Dollar haben die USA in den vergangenen Jahren ausgegeben, um das afghanische Militär mit dem nötigen Rüstzeug für den Kampf gegen die Taliban auszustatten. Mit der vielerorts nahezu kampflosen Kapitulation der Regierungstruppen sind Waffen, Munition und Ausrüstung in die Hände der Islamisten gefallen. Die Kanäle der Islamisten in den Online-Netzwerken sind voller Videos, die zeigen, wie ihre Kämpfer Waffenlager übernehmen, mit erbeuteten Fahrzeugen patrouillieren oder vor Militärhubschraubern posieren. All das kann gewinnbringend verkauft werden.

Verwendete Quellen:

  • Nachrichtenmeldungen von dpa und AFP
  • BBC: "Afghanistan: How does the Taliban make money?"
  • International Business Times: "Taliban Earned $1.6 Billion In 2020: Here's How The Terrorist Group Makes Money"
  • Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction: "Quarterly Report to the United States Congress", Juli 2021
  • US Geological Survey Afghanistan: "ntroduction to Summaries of Important Areas for Mineral Investment and Production Opportunities of Nonfuel Minerals in Afghanistan"
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