Zuhause wird die Große Koalition gescholten wegen ihres halbherzigen Klimapakets. Doch im Ausland hält sich Angela Merkels Ruhm als "Klimakanzlerin", ist sie zum Beispiel bei den Vereinten Nationen als Umwelt-Rednerin gefragt. Barbara Hendricks (SPD) war gut vier Jahre lang Umweltministerin unter Angela Merkel. Sie sieht andere "Bremser" in der Verantwortung für Merkels zaghafte Klimapolitik.

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Frau Hendricks, es gibt ein bekanntes Bild von Angela Merkel aus dem Jahr 2007: Im roten Anorak steht sie vor einem schmelzenden Gletscher in Grönland. Bleibt sie uns wegen dieses ikonografischen Fotos für immer als Klimakanzlerin in Erinnerung?

Barbara Hendricks: Da bin ich nicht so sicher. Das ist ein Bild, das vor allem bei Journalisten und sehr interessierten Menschen noch in Erinnerung ist.

Sie dürfen nicht vergessen, dass da noch eine zweite Person mit auf den Fotos war: Sigmar Gabriel, der damals Umweltminister war. Derzeit wird ja an diesem Foto vor allem festgemacht, Angela Merkel habe sich lediglich als Klimakanzlerin inszeniert, sie habe aber ihre Versprechungen nicht gehalten.

Sie waren Angela Merkels Umweltministerin. Schließen Sie sich dem Vorwurf an, die Kanzlerin inszeniere sich als Klimaretterin, ohne viel zu erreichen?

Nein. Frau Merkel war und ist sehr hilfreich - vor allem was die internationalen Verhandlungen anbelangt, und viele Aspekte der Umweltpolitik spielen sich nun mal im internationalen Umfeld ab. Sie hat einen sehr großen Rückhalt in der Staatengemeinschaft. Sie steht für unsere Verlässlichkeit, sie steht dafür, dass Deutschland Finanzierungszusagen macht und diese auch einhält.

Nicht umsonst hat UN-Generalsekretär Antonio Guterres sie als eine von nur vier Rednerinnen vor dem New Yorker Klimagipfel ausgewählt. Dass die Länder des Nordens, wie 2016 vereinbart, denen des Südens ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen wollen, dass Deutschland als eines der reichsten Länder des Nordens zehn Prozent davon übernimmt - auch dafür steht Angela Merkel.

"Es gibt in der Tat mutigere CO²-Bepreisungen"

Gleichzeitig verliert Deutschland seine Vorreiterrolle im europäischen Umwelt- und Klimaschutz. Könnten Sie eine Rangliste der fortschrittlichsten Länder in Europa machen?

Das ist schwierig - die Voraussetzungen in den Ländern sind sehr unterschiedlich. Norwegen, Schweden und Österreich zum Beispiel sind sehr weit, was die Versorgung mit erneuerbaren Energien anbelangt. Aber die haben es einfacher als wir, weil sie viel Energie aus Wasserkraft erzeugen können. Bei uns ist das Umsteuern schwieriger.

Es gibt in der Tat mutigere CO²-Bepreisungen als im Klima­paket der Großen Koalition - zum Beispiel in Großbritannien und Frankreich. Aber Emmanuel Macron tut sich leicht, für sein Land den Ausstieg aus der Kohle zu bewerkstelligen - der französische Strom kommt nur zu drei Prozent aus der Kohle, aber zu 75 Prozent aus Atomkraft. Atomkraftwerke dürfen jedoch keine Alternative zu regenerativen Energien sein. Bei uns ist der Kohleanteil viel höher und deshalb ist der Konsens der Kohlekommission, der den Ausstieg bis 2038 regelt, sehr wertvoll.

Das erscheint den Anhängern der Klimabewegung als viel zu spät. Warum geht das nicht schneller?

Versorgungssicherheit und der noch notwendige Netzausbau wie auch noch nicht hinreichende Speicherkapazitäten sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass es nicht schneller geht. Aber es gibt daneben auch politische Widerstände. In der CDU/CSU-Fraktion gibt es viele Bremser. Da hat es Angela Merkel nicht leicht.

Auch ich hätte mir in meiner Zeit als Umweltministerin gewünscht, dass die Kanzlerin öfter von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht hätte. In ihrer Fraktion ist Angela Merkel in der Tat nicht genug voran geschritten. Sie persönlich würde in der Klimapolitik wohl weiter gehen.

"Die Union wollte keine ordnungspolitischen Richtlinien"

Haben die "Bremser" auch beim Klimapaket eine Rolle gespielt?

Sicherlich! Wir von der SPD mussten sehr hart verhandeln, weil die Union zum Beispiel keine Überprüfungsmechanismen im Paket haben wollte. Die SPD wollte einen Mix aus Anreizen und Vorgaben - man muss doch festlegen, wie hoch der CO²-Ausstoß von Pkw sein darf. Die Union wollte keine ordnungspolitischen Richtlinien haben, wollte sich auf Anreize beschränken.

Trotzdem gilt Angela Merkel weltweit als Klimakanzlerin. Wie kommt das?

In der Tat ist zum Beispiel auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht Angela Merkels Verdienst. Es entstand in der Regierungszeit von Rot-Grün, hat sich als Markt­ein­führungsprogramm für Solar- und Windenergie erwiesen und weltweite Auswirkungen gehabt. Das war für viele Länder ein Quantensprung, den man nicht vergisst. Der wird mit Deutschland in Verbindung gebracht und dadurch auch mit Angela Merkel, die das Land ja bereits seit 14 Jahren regiert.

Angela Merkel profitiert davon?

Ja, und da muss ich sagen: Das wurde nicht von Frau Merkel entwickelt, es hat im Gegenteil immer wieder Versuche von Unionsseite gegeben, die erneuerbaren Energien zu beschränken, mit dem Solardeckel, mit dem Windenergie-Deckel - die Entwicklung ist immer wieder verlangsamt worden.

"Manchmal schlägt sie dann auch einen Knoten durch"

Manche Merkel-Kritiker bezeichnen die Kanzlerin als "reaktiv". Sie agiere nur, wenn es konkrete, dringende Anlässe gibt. Entspricht das Ihrer Erfahrung?

Reaktiv ist vielleicht etwas hart ausgedrückt. Aber ganz sicher ist es so, dass Frau Merkel eine Entwicklung sehr lange beobachtet. Erst wenn sie sich ganz sicher ist, dass sie alle Enden zusammenbinden kann - dann tut sie es. Und manchmal schlägt sie dann auch einen Knoten durch.

Das Klimapaket wird als massiv unzureichend kritisiert. Wird die Kanzlerin sich gegen die Bremser in der Union durchsetzen und nochmal einen Knoten durchschlagen können?

Das wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Jetzt beginnt der Aushandlungsprozess für die Details des Klimapaktes, für das Gesetzgebungsverfahren. Ich weiß, dass viele in der Unionsfraktion das jetzt als Chance sehen, die Bremser zu überwinden - aber das ist noch nicht durch.

Barbara Hendricks (67) ist SPD-Abgeordnete im Bundestag. Sie war von Dezember 2013 bis März 2018 Bundesumweltministerin in der Großen Koalition. Seit 2017 ist sie Sprecherin des Sachbereichs "Nachhaltige Entwicklung und globale Verantwortung" im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.
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