Der Test vom Dienstag zeigt: Nordkorea kann mit seinen Raketen bald die USA erreichen. Experten sind sich einig: Regierungschef Kim Jong Un will keinen Krieg – für ihn geht es ums Überleben. Und dass der Test ausgerechnet am amerikanischen Unabhängigkeitstag stattfand, war kein Zufall.

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Als im Oktober 2006 ein Erdbeben der Stärke 4,2 die koreanische Halbinsel erschütterte, erfuhr die Welt: Nordkoreas erster unterirdischer Atombombentest war erfolgreich verlaufen.

Doch damit waren die Aufrüstungsanstrengungen des diktatorischen Regimes längst nicht beendet: Beim zweiten Test erhöhte das Militär die Sprengkraft seiner Kernwaffen.

Nach einem dritten Test im Februar 2013 versuchte Pjöngjang sogar, die Stärke der Bombe herunterzuspielen. Im Westen wurde errechnet: Sie hatte eine größere Sprengkraft als die amerikanische Bombe, die 1945 am Ende des Zweiten Weltkrieges Hiroshima zerstört hatte.

Und im Januar 2016 wurde eine neue Stufe der Eskalation erreicht: Nordkorea testete eine Wasserstoffbombe – hunderte Mal so stark wie die Hiroshima-Bombe.

Nahziel: Höhere Reichweite. Fernziel: Die USA

Von da an arbeiteten die nordkoreanischen Wissenschaftler und Militärs mit Hochdruck an der Trägertechnologie. Nahziel: Raketen zu bauen, die nicht nur die unmittelbaren Nachbarn bedrohen. Fernziel: Die USA.

Im September 2016 erreichte eine erste Mittelstreckenrakete den japanischen Luftverteidigungsraum, nachdem Nordkorea schon im August davor von einem U-Boot aus eine Rakete gestartet hatte.

Im selben Jahr hatte es auch drei weitere Atomwaffentests gegeben. 2017 gingen die Versuche weiter: Im Mai gab es innerhalb von drei Wochen drei Tests, eine Rakete landete vor Japan im Meer, eine andere kam auf 700 Kilometer Reichweite.

Nun die vorerst heftigste Eskalation: Am Dienstag hat das Regime in Pjöngjang erstmals eine Interkontinentalrakete erfolgreich getestet. Das ballistische Geschoss erreichte laut nordkoreanischem Staatsfernsehen eine Höhe von 2.800 Kilometern und traf sein Ziel nach genau 39 Minuten Flugzeit. Die Reichweite würde genügen, um die USA zu erreichen.

Ungeklärt sei allerdings, so wendet der Asien-Wissenschaftler Dr. Werner Pfennig ein, ob das System seinen Kurs gehalten und ob es sein Ziel präzise erreicht habe; vor allem aber, ob es Nuklearwaffen sicher transportieren könne.

Pfennig vom Institut für Koreastudien der Freien Universität Berlin vermutet, "dass das nicht einmal die Techniker in Nordkorea wissen".

Die "Basistechnologie der Langstreckenrakete" sei allerdings nun erreicht, das Signal laute: "Wenn die USA versuchen, einen Regimewechsel in Nordkorea zu forcieren, dann können wir zurückschlagen."

"Wenn sein Regime fällt, hängt Kim Jong Un am nächsten Baum"

Pfennig erklärt das mit der ausweglosen Situation der dortigen Regierung: "Das ist ein Regime, das überleben will!" Sein Kollege Ralph Wrobel von der Westsächsischen Hochschule in Zwickau gibt ihm recht.

Der Wirtschaftsprofessor konstatiert: Kim Jong Un wisse: "Wenn sein Regime fällt, dann hängt er am nächsten Baum." Der Diktator kämpfe somit nicht nur um den Fortbestand seines Regimes, sondern auch "um sein ganz persönliches Überleben".

Das sei ein wichtiger Grund dafür, warum Nordkorea seine militärischen Anstrengungen aufrechterhalte. "Die Tests haben aber zahlenmäßig gar nicht zugenommen, das ist etwa gleich wie in den letzten Jahren."

Die Konfrontation mit den USA sei innenpolitisch für Kim Jong Un sogar ein Vorteil: "Das Regime braucht einen Feind, um das Volk zusammenzuschweißen."

Solange sich der Diktator nicht sicher fühlt, werden die Tests wohl weitergehen. Und zwar bevorzugt an Tagen wie dem Unabhängigkeitstag der USA am 4. Juli. "Das war mit Sicherheit kein Zufall", sagt Marco Fey von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung.

Auch frühere Tests hätten an symbolträchtigen Tagen stattgefunden. Beispielsweise startete im vergangenen Februar eine nordkoreanische Rakete, als Donald Trump sich in Washington mit seinem japanischen Kollegen Abe traf.

"Internationale Aufmerksamkeit ist ein wichtiges Kriterium für die Nordkoreaner", konstatiert der Friedensforscher. "Das bringt aus seiner Sicht Prestige im In- und Ausland."

Das "Kindergartengehabe" muss aufhören

Einig sind sich die Wissenschaftler Fey, Wrobel und Pfennig, dass die sich verschärfende Bedrohungsspirale Nordkorea gefährlich in die Enge treibt.

"In gewisser Weise handelt das nordkoreanische Regime rational", meint Fey. Es verstärke sein Abschreckungspotenzial, um sich vor der empfundenen Bedrohung durch die USA zu schützen.

"Wir dürfen nicht vergessen: Das ist eine Militärdiktatur – für alle Beteiligten geht es ums Überleben." So lange das "Kindergartengehabe" nicht aufhöre, fügt Pfennig hinzu, so lange es nach dem Prinzip weitergehe "Wenn du was Schlimmes machst, dann mache ich auch was Schlimmes", so lange werde der Konflikt weiter eskalieren.

"Wenn Nordkorea wirklich befürchtet, es stehe ein 'Enthauptungsschlag' bevor", gibt Fey zu bedenken, "dann gerät die Situation außer Kontrolle."

Er ist sich deshalb sicher: "Die USA werden auf keinen Fall gegen Nordkorea losschlagen." Weil Donald Trump in militärischen Belangen von vorsichtigen Beratern umgeben sei, würden die Reaktionen auf ein "Weiter wie bisher" hinauslaufen: "Den Druck erhöhen, an der Sanktionsschraube drehen, militärische Macht demonstrieren."

Die wirklich politische Kunst werde aber in nächster Zeit darin bestehen, trotz der "enorm angespannten" Situation "irgendwo noch ein kleines Ventil offenzuhalten", um eine ultimative Eskalation zu vermeiden.

"Man muss versuchen, minimalen Kontakt zu halten, möglicherweise über China. Man muss – ob man will oder nicht – weiterhin Kommunikationskanäle offenhalten und das Gespräch suchen."

Die höchste Gefahr drohe, "wenn Nordkorea sich noch stärker bedroht und eingekreist fühlt."

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