Eigentlich gilt Christian Lindner in der Bundespolitik als rhetorisches Talent schlechthin. Im ARD-Sommerinterview leistete er sich aber gleich mehrere kommunikative Patzer. Inhaltlich überraschte der FDP-Chef bei Fragen nach Tempolimit, Verlängerung des 9-Euro-Tickets und Steuererhöhungen nicht. Spannend wurde es aber beim Verhältnis zu den anderen Ampel-Parteien.

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Die FDP ist in der Ampel-Regierung die kleinste Koalitionspartei, gibt aber nicht selten den Ton an. Dabei macht sie vor allem mit Absagen Schlagzeilen: Keine Verlängerung des Neun-Euro-Tickets, keine Steuererhöhungen und kein Aussetzen der Schuldenbremse.

Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hat im "ARD"-Sommerinterview "unpopuläre" Entscheidungen verteidigt. Obwohl die Mehrheit der FDP-Anhängerinnen und Anhänger (6Die FDP ist in der Ampel-Regierung die kleinste Koalitionspartei, gibt aber nicht selten den Ton an. Dabei macht sie vor allem mit Absagen Schlagzeilen: Keine Verlängerung des Neun-Euro-Tickets, keine Steuererhöhungen und kein Aussetzen der Schuldenbremse.8 Prozent) höhere Schulden zur Finanzierung von Entlastungen befürworte, könne er seine politische Grundüberzeugungen und Verfassungsrecht nicht an Umfragen ausrichten.

Lindner: "Privat fahre ich so gut wie kein Auto mehr"

"Ich sage mir, irgendwann wird es Menschen geben, die erkennen, der FDP-Vorsitzende und Finanzminister hat in einer schwierigen Lage, den Kurs gehalten, hatte einen klaren Kompass", so Lindner. Als Moderatorin Tina Hassel zu Beginn der Sendung fragte: "Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?" antwortete Lindner: "

"Ich selbst muss nichts mehr werden. Ich habe das erreicht an Positionen, was möglich ist". Er müsse kein Kanzler werden. Als Hassel ihn auf ein Foto auf seiner Website mit einem Rennwagen ansprach und nach der Leidenschaft, schnelle Autos zu fahren, fragte, sagte Lindner: "Privat fahre ich so gut wie gar nicht mehr Auto". Er komme nur auf ein paar Hundert Kilometer im Jahr.

Finanzminister: Beim Klimaschutz mangele es nicht an Geld

Den ersten Block des Interviews, das auf der Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses stattfand, widmete Hassel der Klimapolitik. Sie fragte: "Wir haben im Moment eine Dürre, wir haben unglaubliche Fluten, wir haben Monsterbrände. Wieso hört man Sie bei diesem Thema nicht so laut?"

Lindner verteidigte sich: Die Bundesregierung habe äußerst ehrgeizige Ziele, es gehe insbesondere um die marktwirtschaftliche Erneuerung der Energieerzeugung. "Da mangelt es nicht am Geld, wir haben Rekordinvestitionen. Aber wissen Sie, woran es mangelt? An den bürokratischen Fesseln, die gegenwärtig viele Vorhaben bremsen", sagte der FDP-Mann und forderte ein "Offensivpaket, um Tempo zu machen".

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Lehre ziehen aus dem 9-Euro-Ticket

Hassel ließ nicht locker und wollte wissen, was die FDP konkret zum Sparen im Verkehrssektor plane. "Wir müssen den öffentlichen Nahverkehr attraktiver machen. Wir können eine Lehre ziehen aus dem 9-Euro-Ticket", sagte Lindner.

Der Tarifdschungel müsse gelichtet werden. Auch der Verkehr auf der Straße müsse klimafreundlicher werden. "Der Verbrennungsmotor, der noch millionenfach auf der Straße fährt, muss klimafreundlicher werden. Das gelingt dadurch, dass wir synthetische, klimafreundliche Kraftstoffe in die Tanks bringen in den nächsten Jahren", forderte er.

Und ehe ein kritischer Kommentar von Hassel kommen konnte, merkte er an: " Man muss nicht Subventionen zahlen für die gutverdienenden Menschen, die ein Elektroauto kaufen wollen."

Absage für Tempolimit im Sommerinterview

Als Hassel fragte: "Wie wollen Sie das 1,5 Grad Ziel einhalten mit Ihren Maßnahmen?" wies Lindner die Verantwortung von sich: "Es gibt nur Maßnahmen der Bundesregierung. Es gibt nicht die Maßnahmen der FDP". Beim Neun-Euro-Ticket hatte er hingegen noch erinnert: "Das war ja eine Idee des liberalen Verkehrsministers".

Mit der Frage nach einem Tempolimit hatte Lindner scheinbar gerechnet. Ob es dabei bleibe, dass die FDP dagegen sei, "obwohl man damit eine ganze Menge einsparen könnte", fragte ihn die Moderatorin.

Der FDP-Chef erteilte eine Absage: "Frau Hassel, angesichts der Situation, dass wir aufgrund der Gasknappheit Kohlekraftwerke wieder ans Netz bringen müssen, dass wir über die Frage sprechen, ob wir Kernkraftwerke länger laufen lassen, angesichts der hohen Spritpreise, die dazu führen, dass die Menschen ihr Fahrverhalten anpassen und dreimal überlegen, ob sie das Auto nutzen – angesichts dieser Krisendimension halte ich die Frage wirklich für etwas zu harmlos."

Lindner setzte nach: "Wir haben wirklich größere Probleme als das". Die Moderatorin sagte: "Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen" und ging zum Thema Energiepreise über. Hinsichtlich der zunehmenden Belastungen für große Teile der Gesellschaft und bröckelnder Solidarität wollte Hassel wissen: "Was braut sich da zusammen?".

Lindner macht kommunikative Patzer

Der Ton, den Lindner anschlug, könnte ihm in diesem Punkt noch auf die Füße fallen. "Es ist sicherlich eine herausfordernde Situation für viele Menschen", sagte er zunächst und verwies auf das Entlastungspaket. Menschen, die Sorge hätten, dass es kalt ist oder der Kühlschrank leer bleibt, profitierten davon.

"Man muss unterscheiden, dass es auch Wünsche gibt, die nicht erfüllt werden können", sagte er dann. Das klang mehr nach einer Rolle als Weihnachtsmann und im Gönner-Modus als nach grundlegenden Bedürfnissen von Bürgerinnen und Bürgern.

Hassel verwies auf die Demonstrationen, die vor der FDP-Zentrale stattgefunden hatten. "Das waren viele linke Gruppen, Antifa zum Beispiel und viele andere. Und die setzen sich dafür ein, dass das 9-Euro-Ticket verlängert wird", sagte Lindner. Auch das war unglücklich formuliert, denn es ließ Befürworter eines stark vergünstigten ÖPNV als Linksextreme dastehen.

Beziehungsstatus der Ampel-Koalition: "Es ist kompliziert"

Lindner erklärte seine Position: "Das würde 14 Milliarden Euro kosten. Geld, das uns fehlt für die Bildung. Geld, das uns fehlen würde für die Investition in das Schienennetz". Gratis ÖPNV sei nicht finanzierbar.

Dass der Beziehungsstatus der Ampel "kompliziert" lautet, war auch in Lindners Antworten spürbar. "Nahezu jeden Tag gibt es von den Grünen und von Teilen der SPD den Versuch, den Koalitionsvertrag im Nachhinein zu verändern und die Politik in Deutschland weiter nach links zu rücken", kritisierte er.

Kaum Gelegenheit bei FDP-Wählern zu punkten

Insgesamt war Lindner fast das ganze Interview über im Verteidigungsmodus und konnte nur selten Punkte für seine Wählerklientel machen. Als es um weitere Entlastungen ging und eine Reform des Wohngeldes bekräftigte er: "Davon profitieren übrigens auch die, die eine eigene Wohnung oder Eigenheim haben" und forderte: "Es braucht dann auch für die arbeitende Mitte einen Inflationsausgleich."

Es gehe dabei nicht um höchste Einkommen, so wie es manchmal dargestellt werde, "sondern mein Vorschlag ist gedeckelt bei 62.000 Euro. Das ist das Anderthalbfache des mittleren Einkommens", sagte Lindner.

Er rechnete vor: "Nehmen Sie einfach mal 40.000 Euro im Jahr 2022. Diese 40.000 Euro werden im nächsten Jahr nur noch so viel wert sein wie 37.000 Euro. SPD und Grüne wollen, dass man trotzdem die Steuern so zahlt, als wären es noch 40.000 Euro. Das nennt man kalte Progression. Aus 40.000 werden in der Kaufkraft 37.000."

Menschen mit 50.000 Euro Jahreseinkommen seien keine Topverdiener. "Das sind Menschen, die haben Sorgen wegen steigendem Zins. Die zahlen ihre Gasrechnung. Und diese arbeitende Mitte der Gesellschaft, die darf mindestens nicht vergessen werden, indem sie zusätzlich belastet wird."Der Rausflug aus dem Bundestag drohe der FDP nicht, gab sich Lindner überzeugt. "Die FPD wird heute kritisiert, weil sie für Überzeugungen steht", sagte er.

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