- Das deutsche Straßenverkehrsrecht ist vor allem auf Autos ausgerichtet.
- Verbände aus Verkehr, Umwelt- und Verbraucherschutz fordern eine schnelle Reform.
- Sie möchten mehr Tempo-30-Bereiche oder Fahrradstraßen in den Städten ermöglichen.
Das heute gültige Straßenverkehrsgesetz hat eine lange Geschichte. Es stammt aus dem Jahr 1909 – Deutschland wurde damals noch von einem Kaiser regiert. Am ersten Satz des ersten Paragrafen hat sich seitdem nicht viel geändert. Er lautet: "Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger, die auf öffentlichen Straßen in Betrieb gesetzt werden sollen, müssen von der zuständigen Behörde (Zulassungsbehörde) zum Verkehr zugelassen sein."
Aus Sicht von Roman Ringwald sagt dieser erste Paragraf viel über das deutsche Verkehrsrecht aus: "Da geht es nicht um lebenswerte Städte, sondern um die Zulassung von Kraftfahrzeugen." Genau das müsse sich ändern, forderte der Rechtsanwalt zusammen mit mehreren Verkehrs-, Umwelt- und Verbraucherverbänden am Dienstag in der Bundespressekonferenz.
ADFC-Geschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider: "Mensch muss im Mittelpunkt stehen"
Der Verkehrssektor reiße die Klimaschutz-Ziele seit Jahren, kritisiert Ann-Kathrin Schneider, Bundesgeschäftsführerin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). "Das heißt, dass wir den Autoverkehr massiv auf den öffentlichen Verkehr, den Radverkehr und den Fußverkehr verlagern müssen."
Der ADFC und die anderen Verbände – darunter etwa der Bundesverband der Verbraucherzentralen, die Deutsche Umwelthilfe und Greenpeace – drücken aufs Tempo: Direkt nach der parlamentarischen Sommerpause müsse das Bundesverkehrsministerium einen ersten Entwurf für eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung vorlegen. Dabei müsse "der Mensch im Mittelpunkt stehen und nicht das Auto", sagt Schneider.
Mehr Tempo 30, mehr Fahrradstraßen?
Die Verbände sprechen sich zum Beispiel für Maßnahmen aus, die die Mobilität in kleinen wie großen Städten sicherer und klimafreundlicher machen sollen. Dazu gehören:
- Flächendeckendes Tempo 30 für Autofahrerinnen und -fahrer auf Nebenstraßen, während Tempo 50 nur auf Hauptstraßen die Regel bleibt
- Mehr Fahrradstraßen, auf denen Radfahrende Vorrang vor Autos haben
- Mehr geschützte Fahrradstreifen – also Streifen, die nicht neben geparkten Autos verlaufen, deren Türen plötzlich geöffnet werden können
Das alles gibt es zwar schon – aber aus Sicht der Initiatoren noch in viel zu geringem Ausmaß. Und das liegt nach Einschätzung von Anwalt Roman Ringwald auch an den aktuell gültigen Gesetzen und Verordnungen: "Bislang muss der Radverkehr immer wieder begründen, warum er ausnahmsweise auch einen Teil der Straße braucht." Wenn eine Kommune dem Radverkehr mehr Platz einräumen will, sei das langwierig und aufwendig. Auch eine Initiative von rund 100 deutschen Städten und Gemeinden pocht auf eine Gesetzesänderung, um mehr Tempo-30-Bereiche ausweisen zu können. Bisher ist diese Ausweisung nur abschnittsweise möglich, wenn eine Kommune eine konkrete Gefährdung nachweisen kann.
Ampel-Parteien haben Reform versprochen
"Die Zeiten, in denen die Verkehrspolitik im klimapolitischen Kur-Urlaub war, müssen jetzt endlich vorbei sein", sagt am Dienstag der Präsident des Deutschen Naturschutzrings, Kai Niebert. Marion Jungbluth vom Verbraucherzentrale Bundesverband ergänzt: "Autos first war gestern. Es muss gelten: Menschen first."
Theoretisch hat sich auch die regierende Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP zu einer Reform des Straßenverkehrsrechts bekannt. In ihrem Koalitionsvertrag vereinbarten die drei Parteien: "Wir werden Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung so anpassen, dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen."
Wie diese Reform praktisch aussehen kann und ob die Forderungen der Verbände gehört werden, ist aber noch ungewiss. Das von Volker Wissing (FDP) geführte Bundesverkehrsministerium erklärte auf Anfrage unserer Redaktion, man werde die Vorgabe des Koalitionsvertrages umsetzen. Einzelheiten könne man aber noch nicht nennen. Das Ministerium kann sich zum Beispiel vorstellen, den Kommunen Spielräume für mehr Tempo-30-Zonen zu verschaffen. Flächendeckendes Tempo 30 in Städten lehne man aber ab.
Verbände sehen E-Fuels kritisch
Die Verbände stellen sich auf ihrer Pressekonferenz hinter den Plan der Europäischen Union, wonach ab 2035 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr neu zugelassen werden sollen. Die FDP ist gegen ein pauschales Verbot. Sie will, dass Verbrenner auch nach 2035 mit synthetisch hergestellten Kraftstoffen (sogenannten E-Fuels) betankt und betrieben werden dürfen.
Aus Sicht von Naturschutzring-Präsident Niebert sind E-Fuels kein Beitrag zum Klimaschutz. Sie werden mit Hilfe von Erneuerbaren Energien aus Wasser und Kohlendioxid hergestellt. Das sei aber sehr energieintensiv: "Wir bräuchten dafür siebenmal so viele Windräder wie heute schon geplant sind."
Verwendete Quellen:
- Pressekonferenz "Modernes Straßenverkehrsrecht für alle. Jetzt umsetzen!" in der Bundespressekonferenz
- Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Pressestelle
- Gesetze im Internet: Straßenverkehrsgesetz
- SPD.de: Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP
- Agora Verkehrswende: 100 Städte für mehr Tempo 30
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