Recep Tayyip Erdogan verharmlost die Hamas-Terroristen als Befreier und wirft Israel "Faschismus" vor. Trotzdem will Bundeskanzler Olaf Scholz den türkischen Präsidenten am Freitag in Berlin empfangen. Ein Fehler?
Die Türkei ist schon lange kein einfacher Partner für Deutschland: die Unterdrückung der Kurden, die Aushöhlung des Rechtsstaats, die Blockadehaltung in der Nato. Nun kommt hinzu, dass Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die radikalislamische Hamas nach deren Überfall auf Israel als "Widerstandsgruppe" glorifiziert, während die deutsche Regierung an der Seite Israels steht.
Bundeskanzler
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Pro: Der Besuch verträgt sich nicht mit Deutschlands Bekenntnis zu Israel
von Joshua Schultheis
Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson. Kaum ein deutscher Politiker hat diesen Satz in den vergangenen Wochen nicht ausgesprochen. Geprägt hat ihn 2008 die damalige Bundeskanzlerin
Der immer autoritärer regierende Erdogan ist in letzter Zeit mit untragbaren Aussagen über die Situation in Nahost aufgefallen. Hatte er sich kurz nach dem 7. Oktober noch als möglicher Vermittler im Konflikt zwischen Israel und der Hamas angeboten, machte er sich für diese Rolle kurz darauf schon wieder unmöglich. "Die Hamas ist keine Terrorgruppe, sondern eine Widerstandsgruppe, die kämpft, um ihr Land und ihr Volk zu schützen", behauptet Erdogan vor dem türkischen Parlament. Vergangene Woche sagte er zudem, Israels Legitimität werde durch seinen "eigenen Faschismus infrage gestellt".
Erdogans Terrorverharmlosung und Israelhass haben auch Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft: Ihm ist die türkische Religionsbehörde Diyanet direkt unterstellt, die wiederum den größten deutschen Islamverband Ditib kontrolliert. Diyanet-Chef Ali Erbas bezeichnete Israel unlängst als "rostigen Dolch", der "im Herzen der islamischen Geografie" stecke. Damit stellt er allen einen Freibrief aus, die solche Ansichten auch in deutschen Moscheen verbreiten wollen. Sowohl aus innen-, als auch aus außenpolitischen Gründen wäre es daher an der Zeit, dass Bundeskanzler Olaf Scholz dem türkischen Präsidenten die rote Karte zeigt.
Die Regierung in Berlin glaubt von sich gerne, durch ihre oft inkonsequente Unterstützung Israels Gesprächskanäle in den Nahen Osten offenzuhalten. Die Wahrheit ist: Deutschland hat in der Region, anders als etwa die USA, nichts zu melden. Genauso wenig wie die Türkei eignet sich die Bundesrepublik derzeit als Vermittler im Gazakrieg. Das Einzige, was Deutschland jetzt richtig machen kann: Die eigene Staatsräson endlich ernst nehmen – und Erdogan wieder ausladen.
Contra: Erdogans Besuch in Berlin ist heikel – aber notwendig
von Fabian Busch
Diplomatie ist ein schwieriges Geschäft. Wer sie betreibt, muss sich auch mit Menschen auseinandersetzen, deren Meinungen und Werte er nicht teilt. Vor Bundeskanzler Olaf Scholz liegt an diesem Freitag eine besondere diplomatische Herausforderung, wenn er den türkischen Staatspräsidenten Erdogan empfängt. Das Treffen ist heikel – und absolut notwendig.
Die radikalislamische Hamas hat Israel am 7. Oktober mit einem Terrorangriff ins Grauen gestürzt und hält noch immer mehr als 200 Geiseln gefangen. Das Gebot der Stunde lautet jetzt, Einfluss auf die Terrorgruppe auszuüben, sie zu Zugeständnissen zu bewegen. Es geht dabei um die Rettung von Menschenleben. Es geht darum, das Allerschlimmste in dieser furchtbaren Lage noch abzuwenden. Nicht mehr und nicht weniger.
Deutschland selbst kann diesen Einfluss nicht ausüben. Vor 20 Jahren spielte die Bundesrepublik noch eine bescheidene Vermittlerrolle im Nahost-Konflikt. Doch inzwischen herrscht im Gazastreifen die Hamas, zu der Deutschland keine vertrauensvollen Beziehungen pflegen kann und will. Bundesaußenministerin Baerbock hat diese Ohnmacht schon vor Wochen eingeräumt: Deutschland könne nun lediglich Kontakt zu den Akteuren suchen, die ihrerseits in Kontakt mit der Hamas stehen. Und zu denen gehört nun einmal Erdogan.
Für einen demokratischen Staat mit einer besonderen historischen Verantwortung für das Wohlergehen von Jüdinnen und Juden in der ganzen Welt ist Erdogan fraglos ein schwieriger Partner. Doch die internationale Politik ist voll von schwierigen Partnern. Staatsmänner und -frauen, die sich nur noch mit Gleichgesinnten abgeben, werden sich früher oder später abkapseln. Wer auf dieser Welt noch etwas bewegen will, muss auch bereit sein, mit Menschen wie dem türkischen Präsidenten zu sprechen.
Mit einer Ausladung von Erdogan würde Scholz vielleicht Applaus von einigen im Inland ernten, vielleicht würde er auch das eigene demokratische Gewissen streicheln. Doch den außenpolitischen Zielen Deutschlands in der Welt im Allgemeinen und in diesem furchtbaren neuen Nahost-Krieg im Speziellen wäre damit nicht geholfen.
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