Das britische Parlament hat den von Theresa May ausgehandelten Brexit-Deal mit großer Mehrheit abgelehnt. Für Zoll und die Seehäfen heißt das: Ein ungeregelter Austritt wird wahrscheinlicher. Viele treffen bereits Vorbereitungen.

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Es war eine im britischen Unterhaus noch nie dagewesene Klatsche für Theresa May: Ihr Brexit-Deal wurde mit 432 zu 202 Stimmen abgelehnt. Einen Tag später überstand die Premierministerin ein neuerliches Misstrauensvotum im Parlament.

Damit geht das Brexit-Chaos weiter - und ein ungeregelter Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union wird damit immer wahrscheinlicher.

Das hat auch für die Häfen in den verbleibenden EU-Ländern Auswirkungen. Sie müssen sich wappnen, falls Großbritannien am 29. März ohne Abkommen austreten sollte. Die Zeit drängt: Bis zu dem Termin sind es nur noch zehn Wochen.

Der deutsche Zoll bereitet sich intensiv vor. "Wegen der unklaren politischen Situation wird dabei die Prämisse eines harten Brexit zugrunde gelegt", sagt André Lenz, Pressesprecher des Zolls für den Bereich Nord, auf Anfrage unserer Redaktion.

Zoll muss kräftig Personal aufstocken

Für diesen Fall hat der Zoll Ad-hoc-Maßnahmen vorbereitet, um die Auswirkungen abzufedern. In erster Linie wird das Personal aufgestockt - sowohl durch Nachwuchskräfte als auch durch eine zeitweise Unterstützung aus anderen Bereichen.

Zudem will der Zoll in den kommenden Jahren deutlich mehr Kräfte ausbilden. Bundesweit hat eine Arbeitsgruppe unter Federführung der Generalzolldirektion einen Mehraufwand von rund 900 Stellen ermittelt, die nach Angaben von Lenz bereits im Bundeshaushalt berücksichtigt sind.

Einen höheren Aufwand erwartet der Zoll insbesondere an den internationalen Seehäfen sowie an den Flughäfen, die als Drehkreuz für internationale Post- und Kurierdienstleister fungieren.

"Als besonderer Hot-Spot war der Zoll in Hamburg stets in die Arbeitsgruppe eingebunden", erklärt Lenz. Die tatsächliche Personalaufstockung für den Standort Hamburg stehe derzeit jedoch noch nicht fest.

Auswirkungen auf Hamburg vergleichsweise gering

Hamburg ist im Vergleich zu den Nordseehäfen am Kanal ein kleinerer Umschlagplatz im Handel mit dem Vereinigten Königreich: Der Anteil am Gesamt-Seegüterumschlag des Hamburger Hafens lag nach Auskunft von Bengt van Beuningen, Kommunikationschef des Hamburger Hafens, 2017 bei nur 3,1 Prozent.

Andere Häfen - etwa in den Niederlanden und Frankreich - trifft es härter: Für Rotterdam ist das Vereinigte Königreich vom Volumen her das zweitwichtigste Herkunftsland. Es macht 8,5 Prozent des Gesamtumschlags des Hafens aus. Für den Hafen Antwerpen ist Großbritannien der drittwichtigste Handelspartner.

Und auch in der französischen Hafenstadt Calais wurden bereits Vorkehrungen für den Brexit getroffen: Es gibt neu gebaute Parkplätze und Flächen für Grenzkontrollen.

Jean-Marc Puissesseau, Geschäftsführer der Betreibergesellschaft des Hafens von Calais, ist zuversichtlich. "Ich sehe ab dem 29. März überhaupt kein Problem, egal ob mit oder ohne Vertrag. Großbritannien verlässt die Europäische Union, der Hafen von Calais ist vorbereitet, damit der Güterverkehr genauso läuft wie heute", sagte er dem "Deutschlandfunk".

Transportunternehmer David Sagnard ist weniger zuversichtlich. "Der Güterverkehr ist flexibel und kann sich anpassen. Nur nicht von heute auf morgen, dazu braucht man etwas Zeit, um all das vorzubereiten", betont der Verbandsvertreter des französischen Güterkraftverkehrs. Er fürchtet, dass die Transportpreise gehörig steigen könnten.

Xavier Bertrand ist Präsident des Regionalrats von Hauts-de-France - jener Region, zu der auch Calais gehört. Er glaubt gar, Calais und sein wichtigster Partnerhafen Dover auf britischer Seite stünden vor einer "wirtschaftlichen Katastrophe".

"So, wie es jetzt aussieht, werden wir uns am Ende wie Fremde gegenüberstehen. Das ist Wahnsinn, völliger Wahnsinn." Er rechnet mit immensen Staus auf beiden Seiten.

Und auch in Dover macht man sich Sorgen: Die aktuellen Kapazitäten reichen bei Weitem nicht aus, um die 10.000 Lkw zu kontrollieren, die den Hafen täglich passieren. Auch die Fläche für wartende Lkw ist zu klein. Es droht ein immenser Rückstau.

Firmen sorgen sich wegen des bürokratischen Aufwands

Einer Umfrage der Handelskammer Hamburg vom April 2018 zufolge rechnen 70 Prozent der Befragten mit einer schlechteren Geschäftslage, sollte Großbritannien ohne Abschluss eines Freihandelsabkommens aus der EU ausscheiden.

Die größten Sorgen bereiteten den Firmen zusätzlicher bürokratischer Aufwand - etwa durch Zolldokumente und Ausfuhrgenehmigungen - sowie finanzieller Aufwand durch Zölle oder Steuern.

Bei einem geregelten Brexit würde das Vereinigte Königreich während der ausgehandelten Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2020 weiter von der europäischen Zollunion und dem Europäischen Binnenmarkt profitieren.

Danach gilt Großbritannien als Drittstaat - und Waren, die mit ihm ausgetauscht werden, unterliegen Zollkontrollen und Zollanmeldungen. Im Fall eines No-Deal-Brexit wären bereits ab 30. März 2019 mit sofortiger Wirkung Kontrollen nötig.

Das ifo-Institut fasst die Auswirkungen für einzelne EU-Staaten so zusammen: "Je weiter die geographische und kulturelle Entfernung vom Vereinigten Königreich, umso geringer die Verluste des jeweiligen EU27-Staats."

Mehrkosten durch das "Trauerspiel"

André Lenz vom Zoll will keine Spekulationen anstellen, was die Mehrkosten durch den Brexit angeht. "Da ein harter Brexit seitens der Wirtschaft zu Anpassungen der Logistik und Verkehrswege führen kann, können zum genauen Mehraufkommen keine belastbaren Aussagen getroffen werden", sagt er.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) geht indes davon aus, dass der Zollaufwand nach dem Brexit in jedem Fall zunehmen wird - unabhängig davon, ob es ein Freihandelsabkommen gibt oder nicht.

Nach DIHK-Berechnungen werden allein auf deutsche Firmen zusätzlich pro Jahr 14,6 Millionen Zollanmeldungen zukommen. Auch wenn Großbritannien bis Ende 2020 Teil der Handelsunion bleiben würde, müssten deutsche Exporteure demnach mit Mehrkosten von 200 Millionen Euro im Jahr rechnen.

Ein Vertreter der deutschen Seehäfen hatte nach dem Brexit-Votum im Unterhaus rasche Klarheit über die Modalitäten des Austritts gefordert.

Zwar habe sich die Hafenwirtschaft an Nord- und Ostsee auf alle Szenarien vorbereitet. "Doch natürlich liegt ein geordneter Übergang im Interesse aller. Darauf sollten alle Anstrengungen abzielen", sagte Daniel Hosseus, Hauptgeschäftsführer vom Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS). "Die ganze Brexit-Geschichte ist ein Trauerspiel".

Verwendete Quellen:

  • André Lenz, Stellvertretender Pressesprecher des Zolls für den Bereich Nord
  • Bengt van Beuningen, Bereichsleitung Kommunikation & Information des Hafens Hamburg
  • Deutscher Industrie- und Handelskammertag: Are you ready for Brexit?
  • Deutscher Industrie- und Handelskammertag:
  • Handelskammer Hamburg: Umfrage 2018: Wie bereitet sich Hamburg vor?
  • ifo Institut: Ökonomische Effekte eines Brexit auf die deutsche und europäische Wirtschaft
  • Port of Rotterdam: Brexit-relevante Fakten und Zahlen über den Rotterdamer Hafen
  • dpa
  • Tagesschau.de: Dovers Angst vor dem No-Deal-Brexit
  • Deutschlandfunk.de: Transportunternehmen wappnen sich für No-Deal
  • Guardian.co.uk: Dover-Calais 'facing economic catastrophe' due to Brexit
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