Bund und Ländern haben sich am Montag getroffen und dabei vorrangig über Migration und Asyl diskutiert. Neben verlängerten Grenzkontrollen und einer Unterstützung von 7.500 Euro pro Asylbewerber vom Bund zählen zu den Ergebnissen auch die Kürzung von Leistungen und schnellere Verfahren. Migrationsexperte Stefan Luft ordnet die Beschlüsse ein.

Ein Interview

Kanzler Scholz hat sich am Montag (7.) mit den Ländern getroffen. Es war vermutlich einer der wichtigsten Bund-Länder-Gipfel seit Langem – er drehte sich vorrangig um das Thema Asyl und Migration. Wie wichtig sind die Ergebnisse?

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Stefan Luft: Der Bundeskanzler hat die Sitzung als "sehr historisch" bezeichnet. Aber eines war sie mit Sicherheit nicht – sehr historisch.

Zu den Ergebnissen zählt, dass der Bund die Länder in Zukunft mit 7.500 Euro im Jahr pro Asylantragsteller unterstützt – es gibt also keinen Pauschalbetrag mehr, sondern die Zahlungen richten sich nach der tatsächlichen Zahl der Asylbewerber. Was ist davon zu halten?

Die Länder und Gemeinden sind mit höheren Forderungen reingegangen, aber wie es bei Aushandlungsprozessen so ist – man trifft sich irgendwo in der Mitte. Die Behauptung, die Finanzen seien das Entscheidende, ist aber ein Irrtum. Es ist nicht wahr, dass sich die Probleme alle lösen ließen, wenn man nur genügend Geld zur Verfügung stünde.

Bund und Länder haben eine schnellere Abwicklung von Asylverfahren angekündigt. Künftig sollen Asyl- und Gerichtsverfahren für Angehörige von Staaten mit einer Anerkennungsquote von unter fünf Prozent in drei Monaten abgeschlossen sein, alle anderen in maximal sechs Monaten. Im Schnitt sind es aktuell in manchen Bundesländern aber über 30 Monate. Wie soll das funktionieren?

Die Verfahren zu beschleunigen, ist grundsätzlich gut und sinnvoll. Wie das aber bei Größenordnungen von mehreren Hunderttausend Verfahren pro Jahr gelingen soll, ist offen. Außerdem sind mehrere Instanzen beteiligt – vom Bundesamt für Migration über Gerichte bis hin zu Ausländerbehörden. Nur an einer Stelle zu beschleunigen, das Nadelöhr bei den Verwaltungsgerichten und den Ausländerämtern aber nicht anzugehen, ist nicht ausreichend.

Weiterer Beschluss: Deutschland will die Grenzkontrollen zu Österreich, Schweiz, Polen und Tschechien weiter aufrechterhalten. Dafür soll es mehr Personal geben. Macht der Beschluss einen Unterschied?

Es ist ein Signal an die Schleuser, dass sie vorsichtiger sein und andere Routen suchen müssen. Die Bundespolizei kann Personen zurückweisen, gegen die eine Wiedereinreisesperre vorliegt oder die bereits in einem anderen Mitgliedsstaat ein Verfahren betreiben. Ansonsten ist die Praxis die, dass jeder, der an der Grenze um Flüchtlingsschutz nachsucht, in Deutschland ein Verfahren betreiben kann – unabhängig davon, wie viel sichere Drittstaaten er schon durchquert hat. Es ist daher nur eine Maßnahme unter vielen. Ich frage mich, wo die Politik dieses ganze Personal herbekommen will. Die Polizei pfeift bereits jetzt aus vielen Gründen aus dem letzten Loch.

Der Bund will künftig Gespräche zu Migrationsabkommen mit weiteren Herkunftsländern führen und ein gemeinsames europäisches Asylsystem auf EU-Ebene vorantreiben. Wie aussichtsreich ist das?

Das Thema Tunesien wurde nun lange diskutiert. Von Seiten der EU hat man versucht, handelseinig zu werden – es hat im Ergebnis aber nicht funktioniert. Rückübernahmeeinkommen sind sehr schwierig zu verhandeln. Man braucht sehr viel Engagement, Überzeugungskraft und Verhandlungsgeschick. Die Länder wissen, dass sie am längeren Hebel sitzen.

Aber wenn es dann tatsächlich Abkommen gibt, helfen sie?

Man darf nicht meinen, dass das die Probleme löst. Die Abschiebungen scheitern in der Regel an nicht vorhandenen Personalpapieren. Die Menschen haben Pässe entweder verloren, vernichtet oder sie sind ihnen abgenommen worden – mit dem Kalkül, dass man ohne Papiere nicht abgeschoben werden kann. Es findet eine Schuldverschiebung statt, wenn man sagt, "die bösen Herkunftsländer nehmen die Leute nicht zurück". Die Hauptaufgabe sehe ich beim deutschen Staat. Er muss dafür sorgen, dass nicht so ein hoher Anteil hier ganz ohne Papiere und ohne Angaben zur Identität reinkommt.

Bund und Länder wollen die Anziehungskraft von Deutschland auch durch eine Leistungskürzung für Asylbewerber schmälern. Schutzsuchende sollen künftig sogenannte Analogleistungen in Höhe der Sätze der regulären Sozialhilfe erst nach 36 und nicht wie bislang bereits nach 18 Monaten bekommen. Wie viel macht das aus?

Es gibt Abstoßungs- und Anziehungskräfte ("Push- und Pull-Faktoren"), aber sie bestimmen Migration nicht allein. Sie sind nicht von so großer Bedeutung, wie es in der Politik dargestellt wird. Es spielen zum Beispiel auch Netzwerke, Familienverbände und Schleuser eine wichtige Rolle. Die Staaten überlegen aber natürlich, was sie selbst verändern können – und da liegt das Rauf- und Runterschrauben von Transferleistungen nahe. Ich hielte es allerdings auf jeden Fall für sinnvoll, das vorgeschlagene Kartensystem umzusetzen, bei dem keine Bargeldleistungen mehr ausgezahlt wird. Denn das Geld soll die Existenz der Menschen hier vor Ort sichern, es sollen nicht Schleuser davon bezahlt und Unterstützung in die Herkunftsländer überwiesen werden.

Die Transferleistungen sind also nur ein Faktor von vielen?

Genau. Flüchtlinge verlassen oft erst einmal ihr Heimatland und gehen in die Nachbarländer – zum Beispiel Syrer nach Jordanien oder in die Türkei. Wenn sie feststellen, dass sie dort keine Perspektive haben, wandern sie weiter. Auf dem Weg in die EU machen sie sich Gedanken, was ihr eigentliches Ziel ist. Netzwerke sind entscheidend – wo sind schon Landsleute, die sich erfolgreich etabliert haben? Das ist zum Beispiel bei den Syrern und Afghanen so. Die Menschen fragen sich auch, wie groß die Gefahr ist, wieder zurückgeschickt zu werden, wie die wirtschaftlichen Perspektiven aussehen und eben auch, wie hoch die staatlichen Transferleistungen sind.

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Gab es aus Ihrer Sicht beim Bund-Länder-Gipfel noch eine wichtige Entscheidung?

Auf dem Bund-Länder-Gipfel wurde angekündigt, Asylverfahren in Drittstaaten zu prüfen. Das ist ein zentraler Punkt, der noch viel schwieriger umzusetzen ist, als die Rückführungsabkommen. Wenn es gelingen sollte, Asylverfahren in Drittstaaten in Zusammenarbeit mit dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen durchzuführen, dann wäre sehr viel gewonnen. Ich bin gespannt, was die Willenserklärung jetzt konkret bedeutet und ob die Ampel-Parteien dabei mitmachen würden. Die Gründung einer Kommission deutet eher darauf hin, dass die Frage verlagert werden soll und die Politik es nicht entscheiden will.

Über den Gesprächspartner:

Dr. Stefan Luft ist Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bremen. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte sind die Migrations- und Integrationspolitik.

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