Die AfD hat Alice Weidel zur Kanzlerkandidatin gewählt. Mit ihr will zwar niemand koalieren – doch die Partei strotzt vor Selbstbewusstsein. Und sie hat einen Hauptgegner ausgemacht.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Hartmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Der große Tag für Alice Weidel beginnt mit Warten. Eigentlich sollte der AfD-Parteitag im sächsischen Riesa um zehn Uhr morgens anfangen. Weidels Krönungsmesse. Die AfD geht erstmals in ihrer knapp zwölfjährigen Geschichte mit einer Kanzlerkandidatin in eine Bundestagswahl – mit Weidel.

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Doch der Parteitag kann nicht pünktlich starten. Tausende Gegendemonstranten sind an die Elbe gekommen. Ihr Ziel: den AfD-Parteitag verhindern. Das klappt zwar nicht, doch viele Delegierte verspäten sich. In der ganzen Stadt versuchen Demonstranten, den Verkehr lahmzulegen. Kein Durchkommen für die Busse mit AfD-Mitgliedern. Seit dem frühen Morgen kreisen Hubschrauber über der sächsischen Mittelstadt.

Ausnahmezustand in Riesa.

Erst zwei Stunden später kann die Rechtsaußen-Partei beginnen, auch da sind noch nicht alle Plätze in der Halle belegt. Doch eines zeigt sich schnell: An Selbstvertrauen mangelt es der AfD nicht, im Gegenteil. Sie sieht sich im Aufwind. Die Umfragewerte liegen stabil bei über 20 Prozent, auch die Entwicklungen im Ausland sind aus AfD-Sicht erfreulich. In Washington und Wien kommen bald rechte Regierungen an die Macht.

Das soll nach dem Willen der AfD auch in Berlin passieren. AfD-Co-Chef Tino Chrupalla will "Brandmauern" einreißen. Das Beispiel Österreich habe gezeigt: "Es brennt dann lichterloh bei dem, der die Mauer errichtet", ruft Chrupalla. In Wien ist die Bildung einer Koalition aus ÖVP, SPÖ und den liberalen Neos gescheitert – jetzt soll die rechtspopulistische FPÖ eine Regierung bilden. Mit den Konservativen. Sie sind eingeknickt.

Alice Weidel arbeitet sich an der Union ab

Die Frau, die für die AfD das Kanzleramt erobern soll, steht mittags auf der Bühne. Gerade hat der Parteitag Alice Weidel einstimmig zur Kanzlerkandidatin nominiert. Delegierte halten Schilder mit dem Spruch "Kanzlerin der Herzen" in die Höhe. Sie ahnen wohl: Für mehr wird es nicht reichen. Niemand will mit der AfD koalieren. CDU-Chef Friedrich Merz hat daran sogar "sein Schicksal als Parteivorsitzender" geknüpft.

Weidel weiß das. Sie nutzt ihre knapp 20-minütige Rede, um sich an der Union und an Friedrich Merz abzuarbeiten, Weidels neuer Hauptgegner. Die CDU nennt sie eine "Betrügerpartei". Friedrich Merz wolle regieren – mit SPD-Chefin Saskia Esken und der Grünen Claudia Roth. "Das ist Comedy pur", ruft Weidel. Überhaupt sei der Union nicht zu trauen. In Berlin stehe die CDU für "queer-woken Wahnsinn", sagt Weidel. Begründen muss sie das in Riesa nicht. Die Delegierten jubeln.

Ihre Rede ist scharf, teils schrill und vor allem kompromisslos. So redet jemand, der keine Rücksicht nehmen muss – denn niemand braucht Weidel für die Regierungsbildung. Für die AfD von Vorteil: Sie muss nicht beweisen, wie ihre Pläne finanzierbar sind. Allein die umfangreichen Steuersenkungen würden ein Loch von 149 Milliarden Euro in den Haushalt reißen, haben Ökonomen ausgerechnet. Dabei will die Partei die Schuldenbremse nicht antasten.

Die AfD will Steuern senken und den Sozialstaat abbauen

Auch sonst geht die AfD rigoros vor. Das Arbeitslosengeld 1 soll gekürzt, maximal noch sechs Monate ausgezahlt werden, bisher sind es zwölf. Wer Bürgergeld bezieht, soll nach sechs Monaten zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden können. Das Verbrennerverbot will die AfD kippen, auch von der Mietpreisbremse hält sie nichts. Den Ausbau der erneuerbaren Energien will die AfD stoppen, den CO2-Preis rückabwickeln.

Die Pläne der Partei atmen einen wirtschaftsliberalen, in Teilen libertären Geist. Das passt zu Weidel, der früheren Investmentbankerin. Eine Ausnahme davon macht die AfD bei der Rente: Die soll auf 70 Prozent des letzten Nettogehalts angehoben werden. Ein Milliardenversprechen.

Auf diese Widersprüche geht Weidel in ihrer Rede nicht ein. Das Herz des Parteitags erwärmt sie mit anderen Dingen – etwa dem Versprechen einer rigorosen Migrationspolitik. Das 100-Tage-Programm der AfD beschreibt die Kanzlerkandidatin so: "Die Grenzen lückenlos schließen und jeden, der ohne Papiere einreist, zurückschicken. Eine klare Ansage an die Welt: Die deutschen Grenzen sind dicht“.

Weidel spricht von "Remigration"

Es müsse Abschiebungen im großen Stil geben. "Und wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration", ruft Weidel in die jubelnde Halle. Da ist es, das umstrittene Schlagwort, das von Rechtsextremen so gerne gekapert wird. Eine Zuschreibung, die Weidel für sich selbst von sich weisen dürfte.

Immer wieder skandieren die Deligierten "Alice für Deutschland". Der Slogan klingt wie die verbotene SA-Losung "Alles für Deutschland". Ein Zufall? Ganz sicher nicht. Schließlich wurde AfD-Rechtsaußen Björn Höcke für die Verwendung der Original-Losung schon verurteilt. Die AfD fischt im Trüben und sie weiß, wie weit sie gehen kann.

Am Ende ihrer Rede ruft Weidel den Delegierten zu, dass es jetzt darum gehe, bis zum Wahltag die CDU zu überholen "und Politik für Deutschland zu machen". Standing Ovations für Weidel, die Kanzlerkandidatin lässt sich feiern. Deutschland-Fahnen werden geschwenkt. Für Alice Weidel ist dieser Tag der Höhepunkt ihrer politischen Karriere. Dem Kanzleramt ist sie damit aber nicht nähergekommen.

Verwendete Quellen

  • Teilnahme am AfD-Bundesparteitag in Riesa
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