Die AfD wurde bei der EU-Wahl zweitstärkste Kraft in Deutschland. Im Europäischen Parlament ist die Partei aber isoliert. Mitschuld haben daran die Skandale um den Spitzenkandidaten Maximilian Krah. Wie geht es mit der AfD in der EU jetzt weiter?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Joshua Schultheis sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Das Grinsen von Maximilian Krah am vergangenen Montag wirkte aufgesetzt. "Sie erleben mich weiter in guter Laune und zufrieden mit dem Wahlergebnis von gestern", sagte er am Tag nach der Europawahl in die Kamera eines ARD-Reporters. Ganz glauben konnte man es ihm nicht. Zwar hat die AfD mit 16 Prozent ein Ergebnis eingefahren, das die Partei als Erfolg verbuchen kann. Doch Krah persönlich musste eine schwere Niederlage einstecken.

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Eine Mehrheit der gerade gewählten 15 AfD-Abgeordneten hatte sich an diesem Tag gegen eine Aufnahme des Spitzenkandidaten in die Europa-Delegation gestellt. Krah bleibt zwar in der Partei, wird im Europaparlament aber keine Einheit mit den anderen AfD-Politikern bilden. Er selbst halte diesen Schritt für einen strategischen Fehler und "das falsche Signal", sagt Krah. Die AfD solle "sich nicht von einer ausländischen Partei vorschreiben lassen, mit wem sie antritt".

AfD-Kandidat Krah ist in diverse Skandale verwickelt

Damit meint Krah den französischen "Rassemblement National" (RN). Auf Betreiben der Partei von Marine Le Pen war die AfD im Mai aus der rechten EU-Fraktion "Identität und Demokratie" ausgeschlossen worden. Anlass war ein Interview Krahs, in dem dieser behauptet hatte, in der nationalsozialistischen SS-Organisation seien "nicht alle Verbrecher" gewesen. In Frankreich, wo die SS gewütet hatte, kam das nicht gut an.

Hinzu kommen mehrere Skandale, in die Krah verwickelt ist. Einer seiner ehemaligen Mitarbeiter sitzt in Untersuchungshaft, weil er für China spioniert haben soll. Krah selbst steht unter Verdacht, Geld von prorussischen Netzwerken erhalten zu haben.

Der AfD-Parteivorstand verhängte im Mai über ihren eigenen Spitzenkandidaten ein Auftrittsverbot für Wahlkampfveranstaltungen. Nun sagte der Co-Parteivorsitzende Tino Chrupalla, die Entscheidung der AfD-Delegation, Krah nicht aufzunehmen, habe man "zu respektieren". Krah hat offenkundig den Rückhalt seiner Parteispitze verloren.

Experte: "AfD wollte wieder in die ID-Fraktion"

Der Politologe Raphael Bossong nennt zwei Gründe, warum Krah nicht in die Delegation aufgenommen wurde. Er forscht am Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik unter anderem zu rechten Parteien in Europa.

Erstens: "In der Partei und unter den AfD-Europaabgeordneten gibt es durchaus Unzufriedenheit mit Krah", sagt Bossong im Gespräch mit unserer Redaktion. Die AfD sei zwar bei der EU-Wahl zweitstärkste Kraft in Deutschland geworden, so der Experte, in Umfragen habe sie aber schon deutlich besser abgeschnitten. "Dabei hatten auch die Skandale um den Spitzenkandidaten Maximilian Krah einen gewissen Effekt."

Zweitens gebe es ein weiteres "taktisches Element" der Entscheidung, glaubt Bossong: "Die AfD wollte versuchen, wieder in die ID-Fraktion aufgenommen zu werden."

Die AfD ist Marine Le Pen zu radikal

Vergeblich, wie sich am Donnerstag zeigte. "Politico" berichtet, dass bei einem Treffen von Marine Le Pen, Führungsfigur des RN, mit Vertretern der ID-Fraktion in Brüssel entschieden wurde, die AfD vorerst nicht wieder aufzunehmen. Für den Experten Bossong kam es nicht überraschend, dass die Avancen der AfD ins Leere liefen: "Der Rassemblement National hatte wenig Grund, sich darauf einzulassen, da Marine Le Pen auf die nationale Wahl konzentriert ist."

Nach dem desaströsen Ergebnis seiner Partei "Renaissance" bei der EU-Wahl hat der französische Präsident Emmanuel Macron für den 30. Juni Neuwahlen angesetzt. Für den Wahlkampf bleiben nur etwa zwei Wochen Zeit. Le Pen kann sich mit ihrem rechtspopulistischen "Rassemblement National" Hoffnungen auf einen Wahlsieg machen. Eine Verbindung zur AfD steht ihr dabei aber im Weg: Die deutsche Rechtsaußen-Partei ist zu radikal für Le Pen, die einen weniger extremen Kurs anstrebt.

Rechte sortieren sich im EU-Parlament neu

Wie geht es jetzt mit der AfD im Europarlament weiter? Sowohl die Parteivorsitzenden als auch der neue EU-Delegationsleiter René Aust ließen entsprechende Anfragen unserer Redaktion unbeantwortet. Was die Zukunft der Partei auf europäischer Ebene angeht, hält sich die AfD bedeckt. Nur so viel sagte Aust auf einer Pressekonferenz am Montag: Man werde "in den kommenden Tagen und Wochen viele Gespräche" führen.

Nicht nur die AfD sortiert sich nach der EU-Wahl neu, sondern das gesamte rechte Spektrum im Europäischen Parlament. Derzeit ist das Lager zerstückelt: Neben der ID-Fraktion gibt es die "Europäischen Konservativen und Reformer" (EKR), die von den italienischen rechtspopulistischen Fratelli d’Italia dominiert werden. Die EKR-Fraktion gilt als etwas moderater als die ID.

Hinzu kommen mehrere rechte Parteien, die keiner Fraktion angehören, etwa die ungarische Fidesz des dortigen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Insgesamt haben diese Kräfte bei der EU-Wahl deutlich an Stimmen hinzugewonnen, ein rechter Erdrutschsieg ist es aber bei weitem nicht.

Experte: Vier Szenarien für das rechte EU-Lager

Politologe Bossong sieht vier Szenarien für die rechten Kräfte im Europäischen Parlament. "Erstens, sie teilen sich in eine Fraktion, die gegenüber der konservativen EVP offen ist, und den Rest, der das nicht ist." Die EVP ist die Fraktion der Konservativen, zu der auch die deutschen Unionsparteien und die Österreichische Volkspartei gehören. Derzeit steht die Frage im Raum, ob eine Zusammenarbeit zwischen EVP und gemäßigteren rechten Parteien wie den Fratelli d’Italia der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni denkbar ist.

Eine zweite Möglichkeit sei eine "rechte Super-Fraktion", sagt Bossong. Also ein Zusammenschluss aller beziehungsweise der meisten rechten Parteien im EU-Parlament. "Dafür gibt es jedoch wenig Potenzial, da es zu viele Spannungen zwischen den rechten Parteien gibt." Ein Beispiel: Während mitteleuropäische Parteien wie die AfD oder die österreichische FPÖ sehr Russland-freundlich sind, gilt das für die osteuropäische Rechte nicht, die den großen Nachbarn in der Regel als eine Bedrohung ihrer Länder betrachtet.

Das dritte Szenario ist laut dem Experten die Bildung einer weiteren Fraktion, bestehend aus den bisher fraktionslosen rechten Parteien, darunter auch die AfD oder Fidesz. Diese Gruppe würde am weitesten rechts im EU-Parlament stehen. Dieser Plan wird auch in Teilen der AfD favorisiert, wo sich dafür der Name "Hooligan-Fraktion" etabliert hat. Um eine solche gründen zu können, braucht es aber mindestens 23 Abgeordnete aus sieben Ländern. Eine hohe Hürde, sagt Bossong. Möglicherweise zu hoch.

AfD könnte fraktionslos bleiben

"Am wahrscheinlichsten ist das vierte Szenario: Es bleibt bei den beiden Fraktionen und einem fraktionslosen Teil weiterer rechter Parteien", sagt der Politologe.

Für die AfD könnte das vorerst bedeuten, ohne Fraktion im EU-Parlament agieren zu müssen. Damit geht ein Verlust an politischem Einfluss und finanziellen Mittel einher. Einen wird die AfD aber mit Sicherheit nicht so schnell loswerden: Maximilian Krah. Der selbstbewusste Europaabgeordnete wird sich mit seiner Degradierung nicht zufriedengeben.

Über den Gesprächspartner

  • Raphael Bossong ist Mitarbeiter am Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik. Dort leitet er seit 2016 in der Forschungsgruppe EU den Bereich Justiz und Inneres. Der promovierte Politikwissenschaftler forscht unter anderem zur EU-Migrationspolitik sowie zur europäischen Rechten. Im Mai veröffentlichte er zusammen mit Nicolai von Ondarza die Studie "Transformation zu einem illiberalen Europa" über die Pläne rechter Parteien zu einer Umgestaltung der EU.

Verwendete Quellen

  • Gespräch mit Raphael Bossong, Politikwissenschaftler
  • "X"-Profil (Stand 14. Juni 2024) von Martin Schmidt, ARD
  • "X"-Profil (Stand 14. Juni 2024) von Pauline von Pezold, Politico
  • Pressekonferenz der AfD am 10. Juni 2024
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