Fast kein Tag vergeht ohne ein Fettnäpfchen von Donald Trump. Nun hat der künftige US-Präsident durch ein Telefonat mit der taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-wen in Peking für Verärgerung gesorgt. Ein Experte sagt, es sei keineswegs sicher, dass Trump eine neue China-Politik einleiten wird.

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Seit 1979 hat kein gewählter US-Präsident mit Rücksicht auf China einen Anruf eines taiwanesischen Staatsoberhaupts angenommen. Donald Trump interessieren solche diplomatischen Gepflogenheiten offenbar wenig.

Auch mit einem Eintrag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter übte der 70-Jährige scharfe Kritik an den Chinesen. Der US-Kenner Christian Lammert von der Freien Universität Berlin versucht im Interview, Trumps Verhalten zu erklären.

Herr Lammert, haben Sie die Provokationen des künftigen US-Präsidenten Donald Trump gegen China überrascht?

Lammert: Ganz verwundert war ich nicht, weil man schon vorher bei Donald Trump gesehen hat, dass er auf der einen Seite unberechenbar ist in seinen politischen Handlungen und auf der anderen Seite wenig fundiertes politisches Wissen besitzt. Das ist wieder eins dieser Fettnäpfchen, in das er reingetreten ist. Weil Trump nicht genau weiß, wie Politik und Diplomatie funktionieren.

Aber das Telefonat mit der taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-wen soll ja lange vorbereitet gewesen sein. Kann man da wirklich von Unberechenbarkeit sprechen?

Der Ex-Senator Bob Dole, ein Taiwan-Lobbyist, hat seit Monaten für einen Kurswechsel geworben. Aber das heißt ja nur, dass Trump dieser Position mehr Gehör geschenkt hat als den Empfehlungen des US-Außenministeriums, wonach es keine offiziellen Kontakte mit Taiwan geben darf. Die Frage ist, ob die jetzigen Aktionen auch dauerhafte politische Konsequenzen haben werden.

Wird da ein Wechsel in der Chinapolitik der USA vorbereitet?

Ich sehe keine Hinweise oder programmatische Entwürfe in diese Richtung. Trump entscheidet - auch in seiner Personalpolitik - aus dem Bauch heraus. Von daher denke ich, dass das Telefonat mit Taiwan aus dem Gefühl heraus und mit ein bisschen Lobbyarbeit geschehen ist.

Macht er sich Gedanken über die Konsequenzen solcher Provokationen?

Das glaube ich nicht. Er scheint weitgehend beratungsresistent zu sein, wenn man sich sein Twitter-Verhalten anschaut. Trump agiert nicht auf Basis möglichst vieler Informationen, sondern eher impulsiv. Da wird es wohl noch zu einigen Überraschungen kommen.

Trumps Chefberater Stephen Bannon sagte, er sei wirtschaftlicher Nationalist und beschwerte sich über das enorme Handelsdefizit der USA gegenüber China. Sollen hier die Schrauben fester gezogen werden?

Trump hat schon im Wahlkampf immer sehr stark auf China eingeschlagen, da ging es um Arbeitsplätze und um währungspolitische Fragen. Die Töne kamen bei seinen Anhängern sehr gut an. Natürlich muss er jetzt auch zeigen, dass er Rückgrat hat.

Warum?

Trump hat schon viele seiner Wahlkampfpositionen fallen gelassen, etwa den Mauerbau zu Mexiko oder die Strafverfolgung Hillary Clintons. Gegenüber China hat er nun die Möglichkeit, durch symbolische Handlungen zu zeigen: Ich stehe für eine neue Politik - ohne wirklich einen neuen Politikentwurf vorlegen zu müssen.

Sehen Sie Chancen in Trumps Vorgehen?

Viele reagieren mit Angst auf die abnehmende Berechenbarkeit der US-Politik, aber vielleicht ermöglicht das auch neue Handlungsspielräume. China muss reagieren, Taiwan muss reagieren. Die künftige US-Regierung und der Kongress müssen weiter ihre Position formulieren. So ist eine Diskussion in Gang geraten, die jetzt aber auch konstruktiv fortgeführt werden muss. Das sehe ich allerdings noch nicht bei der kommenden Trump-Administration.

Handelskrieg, Aufrüstung im südchinesischen Meer: Wie könnt eine neue China-Politik der USA nun konkret aussehen?

Da ist ja das Problem: Man weiß es einfach nicht. Trump hat angekündigt, sich aus dem Transpazifischen Freihandelsabkommen zurückzuziehen. Das Abkommen war eigentlich gegen China gerichtet und sollte den Einfluss der USA im asiatischen Markt stabilisieren. Ich weiß nicht, ob Trump das durchdacht hat. Diese Entscheidung wird China stärken. Die Chinesen haben schon Interesse an einem eigenen Freihandelsabkommen signalisiert.

Können es sich die USA überhaupt leisten, China zu verprellen?

Nein, das können sie natürlich nicht. Sie müssten vielmehr auf China zugehen. Das Land stünde vor großen innenpolitischen Problemen, wenn seine Wirtschaft nicht wie im jetzigen Maße weiter wächst. Kommt es in China zu einer Krise, hätte das massive Konsequenzen für den Weltmarkt - auch für die USA und Europa. Trump und sein Berater müssen offenbar erst noch lernen, dass es nicht nur um "America first" gehen kann, sondern dass die Wirtschaftsräume rund um den Globus eng verwoben sind.

Gibt es einen Zusammenhang zur erwarteten Entspannung zu Russland und den scharfen Tönen gegenüber China?

Trump hat einige Russland-Fans in seine Administration bzw. in seinen engsten Beraterkreis berufen. Das kann eine Chance für eine Verbesserung der amerikanisch-russischen Beziehungen sein, aber auch hier ist die Motivation noch völlig unklar. Genau wie im Fall China. Hier wird Politik betrieben, als könnte Donald Trump die Welt einfach neu erfinden, als würde nur er genau wissen, wie Politik zu funktionieren hat. Und das völlig ohne Rücksicht auf die mehr als 200-jährige Geschichte der USA. Wollen wir hoffen, dass die neuen Handlungsspielräume mit vernünftigen politischen Entscheidungen ausgefüllt werden.

Zur Person: Christian Lammert (Jg. 1969) ist Professor für nordamerikanische Politik am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. vergleichende Politikwissenschaft sowie politische Systeme in Kanada und den USA.
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