In einer Fernseh-Show liebäugelte Ex-Präsident Donald Trump zuletzt mit einer Rolle als Diktator, eine Debatte über die Gefahr einer Diktatur im Falle eines Wahlsiegs des Rechtspopulisten entbrannte. Doch wie groß ist die Gefahr wirklich? Politikwissenschaftler Martin Thunert hat eindringliche Warnungen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es war eine Aussage, die mindestens irritierte, bei manchen Sorge auslöste: Bei einer TV-Diskussionsrunde sagte Ex-Präsident Donald Trump zu den Befürchtungen, er könne bei einer erneuten Präsidentschaft zum "Diktator" werden: "Nein, nein, nein – außer am ersten Tag." Er werde die Grenze schließen und nach Öl bohren. "Danach bin ich kein Diktator", fügte Trump hinzu.

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Während Trump sich mehrfach als Verteidiger der Demokratie in den USA präsentierte, warnten der amtierende Präsident Joe Biden und andere Politiker davor, dass Trump tatsächlich eine Diktatur errichten könnte. So sagte etwa die ehemalige republikanische Abgeordnete Liz Cheney, die Vereinigten Staaten könnte sich "schlafwandelnd in eine Diktatur" begeben, sollte Trump erneut ins Weiße Haus einziehen.

Experte: "Nicht auszuschließen, dass er es versuchen wird"

Auch Politikwissenschaftler Martin Thunert hält es für möglich, dass Trump die USA in eine Autokratie verwandeln will. "Es ist nicht auszuschließen, dass er es versuchen wird", so der Experte. Trump habe zwar wenige Tage nach seiner Aussage behauptet, es handele sich um einen Scherz, Thunert sagt jedoch: "Wir sollten dieses Kokettieren nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn wir wissen, dass Trump und ein beachtlicher Teil seiner Anhänger einen zweiten Sieg bei einer Präsidentschaftswahl als ein Mandat zum Durchregieren verstehen würden."

Zudem seien Trump und seiner Anhänger vom Streben nach Vergeltung getrieben, denn sie seien davon überzeugt, dass Trump 2020 ein Wahlsieg gestohlen wurde. "Für die meisten seiner Kernanhänger ist Trump eine Waffe für ihre eigene Wut, ihren Zorn, ihren Groll und ihren Wunsch, diejenigen Menschen auf der anderen Seite des politischen Spektrums zu verletzen, die sie verachten", analysiert der Experte.

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Trump-Administration wäre heute "wesentlich besser organisiert"

Ohne panisch zu werden, solle man wachsam sein. Thunert ist überzeugt davon, dass sich eine zweite Trump-Administration gegenüber der ersten "wesentlich besser organisiert wäre und stringenter regieren würde." Think Tanks (auf Deutsch etwa "Denkfabriken") im Umfeld von Trump würden eine mögliche zweite Amtszeit bereits jetzt inhaltlich und personell vorbereiten.

"2016 war Trump auf das Regieren gänzlich unvorbereitet und nur ein Teil seiner Regierungsmannschaft bestand aus Trump-Jüngern. An den Schaltstellen der Macht von Trump 2 würden nur noch wahre und überzeugte Anhänger Trumps sitzen", sagt Thunert.

"Seine Administration wird aus Menschen mit eigenen Feindlisten bestehen, die nicht auf Anweisungen von ganz oben warten, um gegen diejenigen in Regierung und Behörden vorzugehen, denen man nicht trauen kann"

Politikwissenschaftler Martin Thunert

Der Experte meint: Bei der Verfolgung seiner politischen Gegner würde Trump vermutlich jede Institution bekämpfen, die sich ihm in den Weg stellt, einschließlich der Gerichte und des Justizministeriums. "Seine Administration wird aus Menschen mit eigenen Feindlisten bestehen, die nicht auf Anweisungen von ganz oben warten, um gegen diejenigen in Regierung und Behörden vorzugehen, denen man nicht trauen kann", sagt er.

Biden sei in ihren Augen der wahre Diktator. "Trump und seine Anhänger sind zutiefst davon überzeugt, dass nicht unabhängige Staatsanwälte und Richter ihn mit vier Klagen und 91 Anklagepunkten überziehen, sondern dass sie dies auf Anweisung der Biden-Administration tun, um Trump politisch und wirtschaftlich auszuschalten", sagt Thunert.

Gesetz als gefährliches Instrument für nahezu uneingeschränkte Macht des Präsidenten

Kritisch würde es aus Sicht des Experten, wenn Trump seine Amtsvollmachten missbrauchen und etwa dem US-Militär befehlen würde, die verfassungsgemäßen Rechte der Bürger zu verletzen. "Das Instrument dafür wäre das sogenannte Aufstandsbekämpfungsgesetz, das bis auf das Jahr 1792 zurückgeht", so Thunert.

Dieser "Insurrection Act" gibt dem US-Präsidenten ausnahmsweise die Vollmacht, die Nationalgarde und Heerestruppen oder Marineverbände innerhalb der USA zur Bekämpfung von Aufständen einzusetzen – in der Vergangenheit etwa zur Gefangennahme von flüchtigen Sklaven, aber auch zur Zerschlagung des Ku-Klux-Klans.

"Die wenigen Male, in denen das Gesetz reformiert wurde, wurde es geändert, um dem Präsidenten mehr Macht zu geben statt weniger", erinnert Thunert. Die Gerichte hätten das Gesetz so ausgelegt, dass es dem Präsidenten die ausschließliche und unanfechtbare Befugnis einräume, zu entscheiden, ob die Bedingungen für den Einsatz des Militärs erfüllt seien. Außerdem seien Schlüsselbegriffe wie "Aufruhr" und "Rebellion" nicht klar definiert.

Experte: Dann wäre "ein Schritt in die Autokratie vollzogen"

Zwar hätten sich die US-Gerichte in den letzten Jahren sehr resistent gegenüber Trumps Versuchen, den Wahlausgang 2020 zu kippen, erwiesen. Andererseits besitze der Oberste Gerichtshof derzeit eine konservative Mehrheit von 6 zu 3 Richtern – alleine drei wurden von Trump berufen, nur eine Richterin von Biden.

"Dieser Gerichtshof müsste dann gegebenenfalls auch über die rechtmäßige Anwendung des Insurrection Acts entscheiden", erinnert Thunert und folgert: "Sollte Trump also das Aufstandsbekämpfungsgesetz anrufen und anwenden dürfen, würde die entscheidende gesetzgeberische und gerichtliche Kontrolle der präsidialen Macht entfallen und ein Schritt in die Autokratie wäre vollzogen".

Strafprozesse als Aufmerksamkeitsmagnet

Der Experte sieht noch eine weitere Dynamik: Sollte Trump tatsächlich zum Präsidentschaftskandidaten nominiert werden, könnte es ihm und seinen Anwälten gelingen, die zeitgleich laufenden Strafprozesse und die damit verbundene Aufmerksamkeit zu nutzen, um seine Kandidatur weiter anzukurbeln und das amerikanische Justizsystem als korrupt zu diskreditieren.

Mit Blick auf die Rolle des Föderalismus sagt Thunert: "Es könnte im Extremfall zu regelrechten Annullierungen von Bundesgesetzen in renitenten Einzelstaaten kommen." Bereits jetzt würden sich manche konservativ regierten Einzelstaaten als "Second Amendment Sanctuary" (Auf Deutsch in etwa "Schutzgebiet des Zweiten Zusatzartikels", der der US-Regierung verbietet, das Recht auf den Besitz und das Tragen von Waffen einzuschränken) verstehen und sich weigern, bundesstaatliche Waffenbeschränkungen durchzusetzen, wenn der Bund solche Beschränkungen beschließen sollte.

Trump-kritische Bundesstaaten und Kommunen hatten sich in der Vergangenheit derweil geweigert, die restriktive Migrationspolitik Trumps mitzutragen. "Eine zweite Trump-Administration könnte solchen Weigerungen, seiner Politik zu folgen, als Aufruhr werten, was ihr dann leichter fallen würde, das schon beschriebene Aufstandsbekämpfungsgesetz anzuwenden", sagt Thunert.

"Trump verspürt einen großen Appetit"

Er ist sich sicher, dass Trump ein erneuter Wahlsieg in seinem Glauben bestärken würde, dass nur Verlierer sich an die Normen, Bräuche und tradierte Umgangsformen einer liberalen Demokratie halten müssen. "Trump verspürt einen großen Appetit, Amerika in einem Dauerzustand einer Verfassungskrise zu halten, soviel scheint mir sicher", sagt Thunert.

Die Frage sei dann, wie lange das polarisierte Land eine solche Verfassungskrise aushalten würde – bevor vielleicht auch eine Mehrheit der Amerikaner nach einem "starken Mann" rufen würde, um die Krise zu beenden. "Es ist kein Geheimnis, dass Orbans Ungarn von den Trump-Republikanern immer mehr zum Rollenmodell für eine nationalkonservative Umgestaltung der USA herangezogen wird", sagt Thunert.

Keine loyalen Geheimdienste

Dennoch sei fraglich, ob Trump und seine Mitstreiter alle verfassungsrechtlichen Leitplanken der amerikanischen Demokratie in kurzer Zeit beseitigen könnten. "Für eine schnelle Beseitigung der demokratischen Ordnung, bedürfe es einer riesigen und gut disziplinierten Organisation einschließlich geheimer Sturmtruppen und eines loyalen Geheimdienstes", zeigt Thunert auf. FBI und CIA würden Trump dabei kaum unterstützen.

Außerdem: Selbst, wenn Trump das Präsidentenamt erneut erobern sollte, bedeute dies nicht, dass die von ihm geförderten Kandidaten innerhalb der Republikanischen Partei bei den Wahlen zum Kongress, in den Landtagen und auf Gouverneursebene ähnlich gut abschneiden, so Thunert. Während Trumps erster Amtszeit und danach hätten sich höchste Militärs oder Gouverneure sehr klar gegen seine Aussagen gestellt – anders, als es in vollendeten Autokratien oder Diktaturen der Fall ist.

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Größte Gefahr für die US-Demokratie

"Die größte Gefahr für die US-Demokratie besteht darin, dass das seit den 1990er Jahren gewachsene Misstrauen in die staatlichen Institutionen, das sich aus unterschiedlichen Ursachen speist, in eine generelle Unzufriedenheit mit der Demokratie als Staatsform umschlägt", warnt der Experte.

Die Leitplanken könnten sich dann als unzureichend erweisen, wenn sich nicht nur ein Teil der Trump-Wählerschaft, sondern größere Teile der US-Bevölkerung dazu entscheiden würden, sich von der Demokratie ab- und dem Autoritarismus zuwenden. "Das Dürsten danach ist in Teilen der US-Gesellschaft durchaus spürbar", sagt Thunert.

Über den Experten: PD Dr. Martin Thunert ist Politikwissenschaftler und lehrt am Heidelberg Center for American Studies (HCA) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Thunert ist assoziiertes Mitglied des Zentrums für Nordamerikastudien (ZENAF) der Universität Frankfurt für Kanadastudien.

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