• Steigende Energiepreise können für viele Mittelständler die Insolvenz bedeuten.
  • Die Inflation führt außerdem zu Kaufzurückhaltung bei Kunden.
  • Wirtschaftsforscher sind sicher: die Unterstützung der "energieintensiven Unternehmen" ist von zentraler Bedeutung.

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Selbst große Unternehmen waren zuletzt von Pleiten betroffen. Hierzu zählten etwa der Schuhhändler "Goertz", der Autozulieferer "Dr. Schneider" oder der Toilettenpapierhersteller "Hakle". Im Handwerk droht Ähnliches. Das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung geht ebenfalls von einer negativen Konjunkturprognose für den Winter aus.

Ursache hierfür sei die zurückgehende Kaufkraft der Menschen aufgrund der steigenden Inflation. Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend vom vergangenen Donnerstag rechnen 83 Prozent der Befragten mit Jobverlusten aufgrund hoher Energiepreise. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) arbeitet derzeit an einer Strompreisbremse. Die EU-Kommission hat am Mittwoch verkündet, "Übergewinne" im Energiesektor abschöpfen zu wollen. Im Kanzleramt fand am Donnerstag ein weiteres Treffen der "Konzertierten Aktion" zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern statt.

Unternehmen droht wegen hoher Energiekosten die Insolvenz

In den Unternehmensverbänden ist die Sorge derzeit groß. Fieberhaft wird versucht, der Politik deutlich zu machen, was auf dem Spiel steht. "Wegen des hohen Wettbewerbsdrucks im Einzelhandel können die Preise nicht einfach entsprechend erhöht werden", sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer vom Handelsverband Deutschland. Genth macht die Auswirkungen der Steigerungen an einem Beispiel deutlich: Ein Supermarkt etwa, der im vergangenen Jahr 70.000 Euro für Energiekosten ausgegeben habe, müsse in diesem Jahr eine Rechnung von 140.000 Euro stemmen. Auf der anderen Seite würden die Verbraucher ihr Geld aus Sorge vor weiteren Preissteigerungen sparen. Dadurch brächen die Umsätze der Unternehmen zusätzlich ein, erklärt Genth.

Auch der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW) ist alarmiert. Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt des Verbandes befürchtet in den nächsten sechs Monaten eine Rezession. "Nach den Jahren der Coronapandemie können viele Betriebe nicht mehr ausreichend auf Eigenkapital zurückgreifen", sagt Völz. Diese Situation habe die Puffer in vielen Wirtschaftsbetrieben derart abgebaut, dass diese nun auf Hilfe vom Staat angewiesen seien.

Besonders sichtbar wurde dies in der letzten Zeit bei immer mehr Stadtwerken, die drohen, in Schieflage zu geraten. Neben einer möglichen Pleitewelle gefährde die aktuelle Lage auch die zukünftige Entwicklung der Wirtschaft, sagt der Chefvolkswirt des Verbands der Mittelständler. Weil Unternehmen kaum noch investieren könnten, leide darunter die "ökologische und digitale Transformation".

Die Situation in der Industrie ist besonders düster. So erklärte DIHK-Präsident Adrian kürzlich, dass bereits im Frühsommer 16 Prozent der Industriebetriebe angegeben hätten, ihre Produktion einschränken oder gar ganz einstellen zu müssen. Zudem erhielten aktuell immer weniger Unternehmen noch Versorgungsverträge für Strom und Gas.

Es ist vor allem der schlagartige Anstieg der Energiepreise, der für die Unternehmen Probleme mit sich bringt. Da die Verträge mit Kunden zu Zeiten geschlossen wurden, als die Preise noch niedrig waren, würden die Unternehmen nun Verluste einfahren, sagt Klaus-Heiner Röhl vom Institut der Deutschen Wirtschaft Köln. Nur in seltenen Fällen könnten diese Steigerungen in Nachverhandlungen an Kunden weitergegeben werden.

Die Wirtschaftsbetriebe sind, je nachdem, wie energieintensiv sie arbeiten, unterschiedlich stark betroffen. An der Spitze solcher Energieverbraucher stünden etwa Gießereien, so Röhl. "Für sie müsste der Verkaufspreis für ihre Gussprodukte teilweise um 50 Prozent angehoben werden, um die Energiepreisexplosion aufzufangen", sagt der Wirtschaftsforscher.

Wirtschaftsverbände: Strompreisdeckel und Stromsteuersenkung als möglicher Ausweg

Um dieser Situation begegnen zu können, fordert der Handelsverband Deutschland Unterstützung vom Staat für Unternehmen, welche die gestiegenen Energiekosten nicht mehr selbst aufbringen können. Auch die Absenkungen der Stromsteuer wird gefordert. Der Verband der Mittelständischen Wirtschaft fürchtet eine "Deindustrialisierung" und die "Abwanderung energieintensiver Unternehmen".

Um dies zu verhindern, fordert der Verband einen Rettungsschirm für Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen. Zudem solle der Strompreis für Unternehmer auf 20 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt werden und das Brennstoffemissionshandelsgesetz bis 2024 ausgesetzt werden. Nicht zuletzt spricht sich der Vertreter des Mittelstandsverbands für den Weiterbetrieb der drei verbliebenen Kernkraftwerke in Deutschland aus.

Wirtschaftsforscher: Einmal geschlossene Industriebetriebe kommen wahrscheinlich nicht wieder

In der aktuellen Lage drängt sich ein Vergleich mit den Staatshilfen für Unternehmen in der Coronakrise auf. Die Coronahilfen betrugen 60 Milliarden Euro an Zuschüssen und zusätzlich noch einmal 70 bis 80 Milliarden Euro an Krediten und Garantien bis Ende 2021, sagt Klaus-Heiner Röhl vom Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft. Die nötigen Hilfen in der aktuellen Situation für energieintensive Unternehmen würden Röhls Berechnungen zufolge niedriger ausfallen, als die Hilfen zu Zeiten der Coronakrise.

Eine mögliche Ausdehnung des Rettungsschirms auf den Einzelhandel sowie kleine und mittelständische Unternehmen, die nicht im internationalen Wettbewerb stünden oder energieintensiv arbeiteten, hält Röhl aber nicht für sinnvoll. Anders als in der Coronakrise käme die aktuelle Krise für jene Unternehmen keinem Geschäftsverbot gleich. Zudem würde eine derartige Ausdehnung des Rettungsschirms "den Staat auch finanziell überfordern", so der Kölner Wirtschaftsforscher.

Nach Ansicht von Röhl stünden derzeit besonders bei energieintensiven Unternehmen die Insolvenzen ganzer Wirtschaftszweige auf dem Spiel. Während in der Coronakrise vor allem Gastronomie und Einzelhandel betroffen waren, ist derzeit die Industrie weit höher betroffen. Diese Industriebetriebe nun zu unterstützen, hält Röhl für sinnvoll. In Handel und Gastronomie herrsche eine höhere Flexibilität und es könne nach einem Einbruch auch wieder zu Neueröffnungen kommen, sagt der Kölner Wirtschaftsforscher. "Industrieunternehmen, die schließen müssen, kommen aber wahrscheinlich nicht wieder."

Über die Experten:
Dr. Klaus-Heiner Röhl, Ökonom für Mittelstandspolitik und Regionalpolitik am Institut der Deutschen Wirtschaft Köln
Dr. Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt des Bundesverbands der Mittelständischen Wirtschaft (BVMW)
Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer vom Handelsverband Deutschland - HDE

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. Klaus-Heiner Röhl, Dr. Hans-Jürgen Völz, Stefan Genth
  • dihk.de: Immer mehr Unternehmen wird sprichwörtlich "der Hahn zugedreht"
  • infratest-dimap.de: Umfrage zur Sorge um Arbeitsplätze wegen hoher Energiepreise
  • ifo.de: ifo Konjunkturprognose Herbst 2022: Inflation würgt privaten Konsum ab – deutsche Konjunktur vor hartem Winter

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