• Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat erstmals eine Dunkelfeldstudie zu Sicherheit und Kriminalität in Deutschland vorgelegt.
  • Insgesamt fühlen sich die Deutschen demnach im eigenen Umfeld sicher. Frauen verhalten sich allerdings vor allem nachts und in Verkehrsmitteln deutlich vorsichtiger und meiden bestimmte Orte.
  • Auch die Cyber-Kriminalität macht den Menschen und Sicherheitsbehörden zunehmend Sorgen.

Mehr aktuelle News

Nachts mit Bus oder Bahn fahren? Eine große Mehrheit der Männer in Deutschland hat damit kein Problem. Eine Minderheit von 23,3 Prozent von ihnen meidet nachts den öffentlichen Nahverkehr.

Bei Frauen sieht die Sache anders aus. 51,7 Prozent von ihnen versuchen in der Nacht, auf Busse oder Bahnen zu verzichten. "Das ist eine besorgniserregend hohe Zahl", sagt Holger Münch am Dienstag in der Bundespressekonferenz.

Erste große Dunkelfeldstudie in Deutschland

Dort hat der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA) zusammen mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Studie "Sicherheit und Kriminalität in Deutschland" vorgestellt.

Sie soll eine Lücke in der Kriminalitätserfassung schließen: Offiziell "gemessen" wird die Zahl der Straftaten in Deutschland mit der Polizeilichen Kriminalstatistik. Diese erfasst aber nur das Hellfeld, also die Taten, die bei der Polizei angezeigt werden. Deswegen hat die Innenministerkonferenz auch die neue sogenannte Dunkelfeldstudie in Auftrag gegeben.

Sie ist repräsentativ für die in Deutschland lebende Bevölkerung ab 16 Jahren. 122.667 Bürgerinnen und Bürger wurden zwischen Oktober 2020 und Januar 2021 eingeladen, die Fragen zu beantworten. 46.813 davon nahmen daraufhin an der Umfrage teil, die Antworten von 45.351 Personen waren den Autorinnen und Autoren zufolge auswertbar.

Viel Sicherheit – und doch eine Reihe von Problemen

"Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt", sagt Bundesinnenministerin Faeser. Der Befragung zufolge fühlen sich 98,3 Prozent der Deutschen tagsüber im eigenen Haus und 97,3 Prozent tagsüber in der eigenen Nachbarschaft sicher. 84 Prozent der Deutschen stimmen zudem der Aussage zu: "Die Polizei ist da, wenn ich sie brauche." Das sei das "Bild einer bürgerfreundlichen und professionellen Polizei", findet die Ministerin.

Allerdings hat die Dunkelfeldstudie nach Einschätzung von Faeser und Münch auch Probleme und Herausforderungen aufgezeigt:

  • Wie erwähnt ist die Angst vor Kriminalität unter Frauen ausgeprägter als unter Männern: 40,7 Prozent versuchen, das eigene Haus nachts nicht zu verlassen. 57,9 Prozent von ihnen vermeiden nachts bestimmte Plätze. 58,5 Prozent versuchen in der Nacht, Fremden auszuweichen.
  • Trotz des insgesamt positiven Bilds von der Polizei glauben 24 Prozent der Bevölkerung, dass Polizisten und Polizistinnen Mitgefühl fehle. Unter Menschen mit Migrationshintergrund sind sogar 44 Prozent dieser Meinung.
  • Jedes zweite Opfer einer Körperverletzung glaubt, dass es wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe angegriffen wurde. Die häufigsten Gründe sind die Herkunft des Opfers und der soziale Status.
  • Nicht jede Straftat in Deutschland wird angezeigt. Bei Autodiebstahl und vollendetem Wohnungseinbruch ist die Anzeigequote mit 92 Prozent beziehungsweise 88 Prozent relativ hoch, das Dunkelfeld also gering. Ganz anders sieht es bei Sexualverbrechen aus: Dort wird der Studie zufolge nur eine von 100 Straftaten zur Anzeige gebracht. Viele dieser Taten ereigneten sich im privaten Umfeld, sagt Faeser. Es sei wichtig, für dieses Thema zu sensibilisieren und Hilfsangebote zu stärken.

Großes Problem Cyber-Kriminalität

Besondere Sorgen machen sich die Sicherheitsbehörden allerdings um die Cyber-Kriminalität. Der Begriff umfasst verschiedene Delikte, die sich im Internet abspielen: Betrug mit Waren und Dienstleistungen, Beleidigungen, Hassbotschaften oder der Missbrauch von Daten.

42 Prozent der Deutschen sind ziemlich oder sehr stark beunruhigt, Opfer von solchen Taten zu werden. Bei 13,5 Prozent der Bevölkerung ist das bereits geschehen. "Das ist etwas Neues, und das spielt sich auch so nicht in der Polizeilichen Kriminalstatistik ab", sagt Holger Münch. Dabei hatte schon diese Statistik einen Anstieg der Delikte um 66 Prozent belegt.

Auch in diesem Bereich ist die Quote der zur Anzeige gebrachten Straftaten mit 18 Prozent relativ gering. Cyber-Kriminalität habe aber ein "enormes Schadenspotenzial", sagt Münch. Er nimmt auch seine eigene Branche in die Pflicht: "Der Ausbau der Ermittlungen ist gerade für das Bundeskriminalamt ein wichtiger Auftrag." Hier müsse viel Geld investiert werden.

Faeser setzt auf Vorratsdatenspeicherung – und damit auf Koalitionskrach

Bundesinnenministerin Faeser nutzt die Pressekonferenz am Dienstag auch für eine politische Botschaft an ihre Koalitionspartner: Die SPD-Politikerin will die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland wieder einführen. Dabei werden massenhaft Verbindungsdaten wie IP-Adressen oder Telefonnummern gespeichert. Wenn nötig, können Ermittlungsbehörden darauf zurückgreifen.

In Deutschland ist die Vorratsdatenspeicherung derzeit ausgesetzt. Der Europäische Gerichtshof hat im September aber entschieden, dass sie unter strengen Auflagen grundsätzlich zulässig ist.

Grüne und FDP lehnen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung im Gegensatz zu Faeser ab. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) schlägt als Ersatz das "Quick-Freeze-Verfahren" vor, bei dem Daten erst bei einem konkreten Verdacht gegen eine Person und nach richterlichem Beschluss "eingefroren" werden.

Faeser reicht das aber nicht. Sie will vor allem bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Internet "maximalen Ermittlungsdruck" aufbauen. Das von Buschmann vorgeschlagene Quick-Freeze-Verfahren könne eine Ergänzung sein, sagt sie. "Es ist aber kein Ersatz für die Speicherung von IP-Adressen und daher werde ich mich weiterhin sehr stark dafür einsetzen, die Spielräume des Europäischen Gerichtshofs zu nutzen."

Verwendete Quellen:

  • Pressekonferenz mit Nancy Faeser und Holger Münch in der Bundespressekonferenz
  • Sicherheit und Kriminalität in Deutschland - SKiD 2020
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.