Spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine muss Deutschland über neue Wege der Energiegewinnung nachdenken. Energiebetriebe in Ostdeutschland reagieren auf die Herausforderung – und stoßen auf Widerstand.
Die Sonne glitzert auf dem Labyrinth aus Rohren in der brandenburgischen Uckermark. Hier in Schwedt sorgt die Raffinerie PCK dafür, dass die Menschen tanken können. Oder heizen. Hier werden Stoffe für die Chemieindustrie hergestellt.
Die Raffinerie und der Ort sind seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ein Symbol für die Abhängigkeit Deutschlands von Russland.
Über Jahrzehnte hat die Raffinerie nur russisches Öl aus der Pipeline Druschba verarbeitet. Bis heute ist der russische Staatskonzern Rosneft einer der Gesellschafter von PCK. Aktuell steht Rosneft unter Treuhandverwaltung, der Bund unternahm diesen Schritt im Zuge der Sanktionen gegen Russland.
Versicherer und Zulieferer, so hieß es, trauten sich vor dieser Maßnahme kaum noch, Geschäfte mit PCK zu machen. Die Regierung drängt aber darauf, dass die Mehrheitsanteile an der Raffinerie bald verkauft werden. Russland habe bereits seine Bereitschaft erklärt.
Im Konferenzraum der PCK steht Staatssekretär
Seit dem 24. Februar 2022 war er schon mehrfach hier, genauso wie der Ostbeauftragte. Neben all der Aufmerksamkeit, die im Jahr der Ostwahlen auf Thüringen, Brandenburg und Sachsen gelegt wird, hat Schneider sich entschieden, seine Pressereise nicht den Wahlen, sondern der Energie zu widmen. Deswegen besichtigen er und ein Trupp Hauptstadtjournalisten an diesem Tag das Werksgelände von PCK.
Die Zusammenarbeit in Sachen ostdeutsche Wirtschaft klappe mit dem Wirtschaftsministerium und Kellner einwandfrei, sagt Schneider. Mit ernstem Blick folgt er den Ausführungen der PCK-Experten in der zentralen Netzwarte. Ein Gebäude, das ähnlichen Ansprüche genügen muss wie ein Bunker. Schließlich dürfte die Explosionskraft einer Raffinerie dieser Größenordnung immens sein. In der Netzwarte wird die Anlage penibel überwacht, Fenster gibt es keine. Damit das Personal trotzdem das Gefühl hat, zumindest ein bisschen Sonnenlicht abzubekommen, wird an der Decke der echte Himmel simuliert. Sternenbilder bei Nacht inklusive.
Alle drei bis vier Tage kommt hier in Schwedt eine Tankerfüllung Rohöl aus Rostock an. Das Öl wird mittlerweile aus der ganzen Welt importiert: Nordafrika, Mittlerer Osten, Kasachstan. Ein internationaler Cocktail, sagt Ralf Schraier, Sprecher der Geschäftsführung von PCK.
Energieerzeugung ohne russisches Gas – der Osten zeigt, wie es geht
150 Kilometer nördlich, in Lubmin, kennen auch die Betreiber von Gascade die Probleme, die die russische Energieabhängigkeit mit sich gebracht hat. Auf ihrem Gelände befindet sich die Pipeline Nordstream 1 – ein weiteres Symbol der deutschen Abhängigkeit von Russland. Wie die Raffinerie in Schwedt musste sich auch Gascade nach dem russischen Überfall auf die Ukraine neu ausrichten.
Schnell fand sich eine Lösung: Das mittelständische Unternehmen ReGas hat in den Lubminer Hafen ein schwimmendes LNG-Terminal gebaut. Im Januar 2023 ist das neue Terminal in Betrieb gegangen. Mittlerweile wurde es nach Mukran verlegt, einen Hafen im Norden der Insel Rügen.
Ein Vorhaben, das auf Widerstand stieß: Greenpeace, Ende Gelände und Bürgerinitiativen hatten gegen die Pläne mobilisiert und dabei zum Beispiel noch nicht verlegte Rohre in Mukran besetzt. Taucher haben versucht, die Verlegung eines Pipeline-Rohrs zu behindern.
Die Gemeinde Ostseebad Binz und einige Umweltverbände haben gegen das Terminal beim Bundesverwaltungsgericht geklagt. Letztlich wurden die Klagen als unzulässig abgelehnt. Das Terminal wurde verlegt. Die Abwehrhaltung in Teilen der Gesellschaft aber bleibt.
Ein möglicher Trend der Zukunft: Wasserstoff
Lubmin will Gas-Kreuz der Republik bleiben. Das Pipelinesystem existiert nach wie vor – und versorgt weite Teile der Republik mit Gas. Aktuell sind die Verantwortlichen von Gascade dabei, sukzessive auf Wasserstoff umzurüsten. In Zukunft soll dieser von Lubmin aus in den Süden fließen – hin zu BASF, in die Stahl- und Papierindustrie.
Das Unternehmen ReGas plant zudem, in Zukunft Wasserstoff, der aus der ganzen Welt als Ammoniak in den deutschen Norden geliefert werden könnte, vor Ort zu cracken – also in seine Bestandteile zu zerlegen – und den gewonnenen Wasserstoff über die vorhandenen Pipelines ins Netz einzuspeisen.
Auch im brandenburgischen Schwedt seien Geschäftsführer und Mitarbeiter von PCK bereit, sich der nötigen Transformation zu stellen, machen sie deutlich. Wichtig für die Transformation sei die Unterstützung der Politik – und Geld. Die Regierung hat bereits 400 Millionen Euro zugesagt, die Mittel stünden bereit. Die Auszahlung müsse noch von der EU-Kommission genehmigt werden, fügt Staatssekretär Michael Kellner an.
Der Osten macht sich also auf den Weg. Mit Intel in Magdeburg, Tesla in Brandenburg oder Natriumchlorid-Batterien, die als Ersatz für Lithium-Ionen-Akkus bald bei Dresden hergestellt werden sollen, machen sich weitere Regionen bereit für die Zukunft.
Aufbruch in Ostdeutschland – trotz AfD
Im Herbst wird in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gewählt. Die Umfragen sprechen stark für die AfD. Eine Partei, die nicht nur, aber auch für Erneuerbare Energien und Klimaneutralität ein Standortrisiko sein könnte. Auch Fachkräfte, die schon heute an vielen Ecken fehlen, könnten sich laut "Tagesspiegel" in Regionen mit starkem AfD-Zuspruch seltener ansiedeln. Das zumindest ist das Ergebnis einer Studie des Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Was das für den Wirtschaftsstandort Ostdeutschland bedeuten wird, bleibt abzuwarten. Der Ostbeauftragte Schneider macht deutlich: Mit der gezielten Nutzung von Widerständen durch AfD und BSW könnte es hart werden, Transformation voranzutreiben.
Er selbst verwendet das Wort Transformation nicht gerne, sagt er. Denn Transformation sei ein Begriff, mit dem niemand etwas anfangen könne, er mache nur Angst. Viel lieber nutze er im Gespräch mit Menschen das Wort "Veränderung", denn die Zeit ändere sich und die Welt ändere sich auch.
"Auf diese Veränderung muss man sich einstellen, um vorne mit dabei zu sein", sagt Schneider auf dem Gelände der PCK in Schwedt. Und der Osten, das will der Ostbeauftragte deutlich zeigen, ist bereit, diesen Schritt zu gehen.
Verwendete Quellen
- Pressereise mit Staatsminister Carsten Schneider und Besuchen bei PCK und Gascade
- ndr.de: "Ende Gelände": Protest gegen geplantes LNG-Terminal vor Rügen
- Handelsblatt.de: "In Sachsen entsteht die erste Fabrik für Salz-Stromspeicher"
- Tagesspiegel.de: "Standortnachteil Rechtspopulismus: Studie zeigt Auswirkungen auf Zuzug von Fachkräften und Firmen"
- Webseite des Landeswahlleiters: Ergebnisse der Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern
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