Immer häufiger gelangen Fälle von Rechtsextremismus bei den Sicherheitsbehörden an die Öffentlichkeit. Selbst in der Union fordern Stimmen, die Ursachen für die rechte Gesinnung einiger Polizisten zu erforschen. Doch Innenminister Horst Seehofer sperrt sich weiter gegen eine umfassende Studie und wird durch einen Lagebericht zu dem Thema in seiner Haltung bestärkt.

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Nach den jüngsten Enthüllungen über rechtsextreme Chats von Polizisten in mehreren Bundesländern plädiert der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, für eine gründlichere Untersuchung dieses Phänomens.

Die Fallzahlen seien zwar mit Blick auf die mehr als 300.000 Mitarbeiter gering, "dennoch sind die mittlerweile bei der Polizei und bei anderen Sicherheitsbehörden erkannten Fälle von Rechtsextremismus und Rassismus keine Einzelfälle mehr", sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur.
FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle forderte unterdessen, Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden bundesweit schon vor der Einstellung vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen.

"Die Frage nach der Verfassungstreue von Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden stellt sich schon bei der Einstellung", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Dienstag).

Sogenannte Regelanfragen werden dem Bericht zufolge bereits in Bayern bei Bewerbern für den Justizdienst durchgeführt, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern planen eine solche Überprüfung demnach auch im Polizeidienst.

Seehofer lehnt Studie zu Rassismus in der Polizei weiterhin ab

Eine unter anderem von zahlreichen SPD-Politikern geforderte wissenschaftliche Studie zu Rechtsextremismus und Rassismus in der Polizei hat Innenminister Seehofer bislang mit dem Argument abgelehnt, man dürfe die Polizeibeamten nicht unter Generalverdacht stellen.

Offen zeigte sich der Minister dagegen für eine umfassendere Rassismus-Studie, die neben der Polizei auch andere Teile des öffentlichen Dienstes umfasst.

Middelberg sprach sich für eine "vom Bund koordinierte tiefgehende Analyse" der konkreten Fälle von Rechtsextremismus und Rassismus aus, die in den Bundesländern in den vergangenen vier Jahren aufgedeckt wurden.

Dabei sollte seiner Ansicht nach ermittelt werden, "wann und wie die Beteiligten sich radikalisiert haben, inwieweit nachzuarbeiten ist bei Aus- und Fortbildung und ob es Nachbesserungsbedarf gibt hinsichtlich der Aufdeckung".

Rechtsextreme Polizisten haben wenig Kontakt zur rechten Szene

Am Dienstagvormittag hatte Horst Seehofer einen Lagebericht zu rechtsextremistischen Verdachtsfällen in den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern vorstellen. Erstellt wurde der Bericht, der neben den Polizeibehörden auch die Geheimdienste umfasst, vom Bundesamt für Verfassungsschutz.

Das Bundesamt hatte dafür einen Fragebogen an jede einzelne Behörde verschickt. Über das, was darin abgefragt wird, hatte es zuvor einen Abstimmungsprozess mit den Ländern gegeben.

Vor der Bekanntmachung der Ergebnisse hatten Experten zu bedenken gegeben, dass die Ergebnisse aus den einzelnen Bundesländern stark damit zusammenhängen, wie ausgeprägt das Problembewusstsein der politisch Verantwortlichen in dem jeweiligen Land ist.

Der von Seehofer vorgestellte Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass wenn Mitarbeiter deutscher Sicherheitsbehörden durch rechtsextremistische Handlungen auffallen, sich nach bisherigen Erkenntnissen des Verfassungsschutzes nur selten Hinweise auf Kontakte zu Organisationen der rechten Szene finden.

In zwei der erfassten Fälle stellte sich heraus, dass sich ein Beamter als Mitglied einer rechtsextremistischen Organisation angeschlossen hatte. Zweimal wurden Kontakte zu solchen Gruppierungen nachgewiesen. In den meisten Verdachtsfällen ging es um radikale Äußerungen oder die Nutzung entsprechender Symbole, Parolen oder Bilder in Chats oder sozialen Medien.

Lagebericht bestärkt Seehofer in seiner Ansicht

Horst Seehofer zeigte sich durch den Bericht in seiner Haltung bestätigt. Der Lagebericht zeige, dass über 99 Prozent der Polizeibeamten "fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen", sagte der Bundesinnenminister. Es bedeute auch, "dass wir kein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern haben".

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sagte, seine Behörde werde die einzelnen Fälle nicht isoliert betrachten, sondern wolle aufklären "ob wir vernetzten Rechtsextremisten gegenüberstehen, die ihre Verbindungen ausbauen".

Er könne in der Bundespolizei "keine rechtsextremen Netzwerke erkennen", betonte der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann. NRW-Innenminister Herbert Reul verwies hingegen darauf, dass der Lagebericht nicht aktuell sei. Allein durch die neuen Fälle in Nordrhein-Westfalen seien die Zahlen bereits überholt.

Insgesamt 319 Fälle in den Ländern und 58 Verdachtsfälle bei den Sicherheitsbehörden zwischen Januar 2017 und März 2020 wurden für den Bericht von Seehofer herangezogen. Wie Reul am Dienstag in Düsseldorf erklärte, habe man bis zum 31. März rund 45 Verdachtsfälle gemeldet.

Inzwischen seien es allerdings 104. Mit Stand Dienstag seien zudem 37 weitere Hinweise aus den Reihen der Polizei eingegangen, sagte Reul. Diese müssten nun geprüft werden. (dpa/thp)

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