"Wer betrügt, der fliegt!" - Mit dieser Devise versucht die CSU derzeit, eine vermeintliche Armutszuwanderung in Deutschland zu verhindern. Unser Faktencheck zeigt jedoch: Bürger aus Bulgarien und Rumänien plündern die deutschen Sozialkassen nicht.
"Keine Armutsmigration ins deutsche Sozialsystem"– für diese Forderung kämpft derzeit die CSU mit markigen Parolen. Hintergrund ist der Wegfall der letzten Arbeitsschranken für Bürger aus Rumänien und Bulgarien zum 1. Januar. In einem Papier spricht sich die Partei für harte Maßnahmen gegenüber sogenannten Sozialbetrügern aus, die nicht zum Arbeiten über die Grenze kämen. "Wer betrügt, der fliegt", heißt es darin. Der konservative britische Premier David Cameron äußerte sich zum Jahreswechsel ähnlich. Die "hart arbeitende britische Öffentlichkeit" sorge sich, dass Zuwanderer das Sozialsystem ausnutzen würden. Vorerst gibt es allerdings nur wenige Anzeichen für massenhaften Sozialtourismus, wie ein Blick auf die Fakten zeigt:
Haben jetzt alle Rumänen und Bulgaren Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt?
Ja. Jeder Staatsangehörigen dieser Länder kann sich – wie bisher schon die meisten anderen EU-Bürger auch – in Deutschland frei um einen Arbeitsplatz bemühen. Damit läuft die siebenjährige Übergangsfrist nach dem Beitritt der beiden Länder zur EU im Jahr 2007 aus. Diese Frist hat Deutschland voll ausgeschöpft.
Wer kommt überhaupt nach Deutschland?
Arbeitsmarktexperten gehen davon aus, dass sich zunächst gut ausgebildete Fachkräfte aus den beiden Ländern nach Deutschland aufmachen und hier Arbeit finden werden. Die Bundesrepublik, aber auch Großbritannien und die BeNeLux-Staaten haben großen Bedarf an Informatikern, Facharbeitern und vor allem Gesundheitspersonal. Bereits in den vergangenen zehn Jahren sind nach Angaben der Bukarester Ärztekammer rund 20.000 Mediziner nach Westeuropa ausgewandert. Wie stark der Zustrom aus Bulgarien und Rumänien anschwillt, lässt sich seriös nicht vorhersagen. Der Migrationsforscher Herbert Brücker rechnet für Deutschland mit 100.000 bis 180.000 neuen Zuwanderern aus diesen beiden Ländern. In den ersten Tagen dieses Jahres blieb die vielfach herbei geschriebene große Reisewelle jedenfalls aus.
Belasten Rumänen und Bulgaren die deutschen Sozialkassen?
Nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) beanspruchen Bulgaren und Rumänen in Deutschland 0,6 Prozent der der Ausgaben für Hartz-IV-Leistungen. Das sind 172 Millionen von 32 Milliarden Euro. Von den knapp 370.000 Personen aus diesen beiden Ländern, die Mitte 2013 in Deutschland lebten, erhalten zehn Prozent Hartz IV. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sieht keine Anzeichen für eine "europäische Armutszuwanderung". Sowohl die Arbeitslosenquote als auch die Zahl der Kindergeldempfänger unter den Rumänen und Bulgaren in Deutschland liege unter dem Bevölkerungsdurchschnitt.
Wann bekommen Rumänen und Bulgaren denn soziale Unterstützung?
Gehen EU-Bürger in Deutschland einer Arbeit nach, haben sie uneingeschränkten Zugang zu Sozialleistungen. Im Klartext: Wer in Deutschland eine bestimmte Zeit gearbeitet und Arbeitslosenversicherung gezahlt hat, bekommt – wie jeder betroffene Deutsche auch - im Fall von Arbeitslosigkeit Unterstützung. Ob jedoch bereits EU-Bürger, die gerade erst nach Deutschland gekommen und auf Jobsuche sind, Anspruch auf Sozialleistungen haben, ist hingegen umstritten. Nach dem deutschen Sozialgesetzbuch haben sie keinen Anspruch darauf. Ein Sozialgericht hat einer Familie aus Bulgarien allerdings Hartz IV zugesprochen, die erklärte, sie wolle in Deutschland bleiben. Das Bundessozialgericht hat den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Die EU-Kommission kritisiert das deutsche Sozialgesetz. Es sei nicht mit europäischem Recht vereinbar.
Wie sieht es mit dem Kindergeld aus?
Hier lebende Ausländer können dann Kindergeld erhalten, wenn sie eine gültige Niederlassungserlaubnis besitzen. Voraussetzung dafür ist in der Regel entweder eine Arbeitsstelle innerhalb der ersten fünf Aufenthaltsjahre oder genügend eigene finanzielle Mittel zum Lebensunterhalt. Kindergeld kann nach Angaben des Bundesfamilienministeriums nicht allein deswegen verweigert werden, weil die Kinder nicht bei ihren Eltern in Deutschland, sondern in ihrem Heimatland leben.
Was sagen Experten?
Die EU-Kommission hat kürzlich in Brüssel eine Studie vorgestellt, nach der die Migranten aus anderen EU-Ländern das Sozialsystem des Gastlandes nicht belasten. Die Neuankömmlinge seien im Durchschnitt sogar besser ausgebildet als die Bevölkerung des Gastlandes, so die Studie, weshalb die meisten auch rasch Arbeit fänden und so zur Finanzierung der Sozialsysteme beitrügen. Nach einer Schätzung von Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung erhöht jeder Zuwanderer im Schnitt und pro Jahr die Einnahmen der Sozialkassen um 2.000 Euro. Langfristig gewinne die Sozialversicherung im Schnitt 14.000 Euro durch Beitragszahlungen von Migranten. Migranten fielen dem Sozialstaat weniger zur Last als die übrige Bevölkerung, weil sie im Schnitt jünger seien.
Werden die Kommunen mit dem "Problem" alleine gelassen?
Tatsächlich klagen einige große Kommunen wie Berlin, Frankfurt/Main, Mannheim oder einige Ruhrgebietsstädte durchaus nachvollziehbar über eine erhebliche "Armutszuwanderung" aus Osteuropa. Häufig handelt es sich dabei um Roma, die sich in ihren Herkunftsregionen an den Rand der Gesellschaft gedrückt sehen. Sie haben in der Regel offiziell keine Sozialleistungen beantragt, geben Selbstständigkeit vor oder pendeln häufiger zwischen ihrem Heimatland und Deutschland, wobei sie innerhalb der Bundesrepublik oftmals den Wohnsitz wechseln. Ihre Ausweispapiere sind oft nur schwer nachprüfbar. Gleichwohl müssen sie häufig konkret unterstützt werden. Vor allem die Kinder bereiten den Sozialämtern Probleme - besonders dann, wenn sie krank werden und keinen Versicherungsschutz haben.
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