• Über den Begriff "Feministische Außenpolitik" wird häufig gesprochen und gestritten. Aber was genau ist darunter zu verstehen?
  • Im Interview mit unserer Redaktion erklärt die Aktivistin und Menschenrechtlerin Kristina Lunz das Konzept.
  • Zum Krieg in der Ukraine sagt Lunz: Waffenlieferungen seien nur eine kurzfristige Lösung. "Wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir eine Welt schaffen, in der so ein Krieg nicht mehr möglich ist."
Ein Interview

Frau Lunz, sind Frauen die besseren Politiker?

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Kristina Lunz: Frauen sind natürlich nicht per se die besseren Menschen. Allerdings werden Mädchen in der Gesellschaft immer noch bestimmte Erwartungen vermittelt. Sie sollen leise, lieb, unterwürfig sein. Jungs dagegen sehen sich überall repräsentiert: in Geschichtsbüchern, Ahnengalerien, in Zeitungen und im Fernsehen. Ihnen wird dadurch vermittelt, dass sie alles erreichen können. Es gibt daher eine gewisse Tendenz: Frauen, die es in eine hohe politische Position schaffen, mussten auf dem Weg dorthin mehr Hürden überwinden.

Führen Staaten, in denen Frauen an der Macht beteiligt sind, auch seltener Krieg?

Es gibt keinen direkten Zusammenhang. Mehr Frauen gleich mehr Frieden – das wäre zu einfach. Es lässt sich aber feststellen: In einem Staat, in dem Frauen in Führungspositionen sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass es weniger unterdrückende Strukturen und weniger Gewalt gibt. Der Staat ist dann gleichberechtigter – und gleichberechtigte Staaten sind tendenziell auch friedfertiger.

Sie sind Mitbegründerin des "Centre for Feminist Foreign Policy", also des Zentrums für Feministische Außenpolitik. Der Begriff fällt in Debatten häufig, aber er wird selten erklärt. Erklären Sie es uns: Was genau macht Feministische Außenpolitik aus?

Die traditionelle Außenpolitik konzentriert sich auf militärische Sicherheit, auf den Schutz von nationalen Grenzen und wirtschaftliche Beziehungen. Feministische Außenpolitik sagt dagegen: Militärische Sicherheit bedeutet noch nicht, dass es den Menschen gut geht und sie in Sicherheit leben. Feministische Außenpolitik setzt daher auf menschliche Sicherheit und hat den Anspruch, dass nachhaltig alle Menschen in Frieden leben. Das Niveau an Gleichberechtigung ist der wichtigste Faktor für die Frage, ob ein Staat gewaltbereit nach innen oder gegenüber anderen Staaten ist. Feministische Außenpolitik will mit allen diplomatischen Mitteln Gleichberechtigung und Gerechtigkeit weltweit fördern.

Das klingt als Ziel ein bisschen zu schön, um wahr werden zu können.

Die Abschaffung des Sklavenhandels oder das Wahlrecht für Frauen waren auch einmal Utopien. Wir müssen uns vor Augen führen: Der hypermilitarisierte Zustand, in dem wir weltweit leben, ist kein Naturgesetz. 2021 war bisher das Jahr mit den höchsten Militärausgaben. Weltweit wurden zwei Billionen US-Dollar für die Militarisierung ausgegeben. Nur 0,3 bis 0,4 Prozent dieser Summe flossen in die Friedenssicherung der Vereinten Nationen. Wir leben in diesem hypermilitarisierten Zustand, weil Menschen Jahrzehnte und Jahrhunderte gedacht haben: Mehr Waffen bringen mehr Sicherheit. Das widerspricht völlig der Forschung: Mehr Waffen bedeuten mehr Gewaltpotenzial. In Wirklichkeit brauchen Menschen ein Dach über dem Kopf, sie brauchen Zugang zu Nahrung und Bildung, und sie brauchen Rechte.

Kristina Lunz: "Wir bräuchten auch ein Sondervermögen für Friedenssicherung"

Abrüstung war schon 1915 eine zentrale Forderung des Internationalen Frauenkongresses. Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine scheint jetzt aber ein Zeitalter der Aufrüstung anzubrechen. Auch die Ampel-Koalition in Deutschland liefert Waffen und legt ein Sondervermögen für die Bundeswehr auf. Dabei hat sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock doch Feministische Außenpolitik auf die Fahnen geschrieben. Das ist doch ein Widerspruch.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist eine Konsequenz aus dem militarisierten Zustand. Eine Person wie Wladimir Putin ist in eine Position gelangt, in der sie die Macht über Massenvernichtungswaffen hat und massive Gewalt ausüben kann. Es ist daher kein Widerspruch, die Menschen in der Ukraine bei ihrer Selbstverteidigung zu unterstützen – auch mit Waffenlieferungen. Mittel- und langfristig reicht das aber nicht. Wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir eine Welt schaffen, in der so ein Krieg nicht mehr möglich ist. Das Sondervermögen kritisiere ich. Wir bräuchten auch ein Sondervermögen für Friedenssicherung, für die Förderung der Zivilgesellschaft und die Verteidigung der Menschenrechte.

Zeigt der Krieg in der Ukraine nicht auch, dass Gewalt eben doch noch ein Mittel der Politik ist?

Mich bestärkt dieser Krieg eher in der Überzeugung, dass die alten Konzepte nicht mehr funktionieren. Wir sind in einer Situation der multiplen Krisen: Wir haben die Klimakatastrophe, die Pandemie und eine wachsende Ungleichheit. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der internationalen Krisen und Konflikte verdoppelt. Ich glaube, dass zumindest Menschen in meinem Alter eine solche Häufung von Krisen noch nicht erlebt haben. Wir brauchen neue Konzepte. Albert Einstein hat gesagt: Probleme kann man nicht mit der Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. Genau das machen wir aber. Mit den Waffenlieferungen an die Ukraine versuchen wir, ein Feuer zu löschen. Wir müssen aber gleichzeitig dafür sorgen, dass Brände nicht mehr so schnell entstehen können.

"Frauen müssen an Friedensverhandlungen beteiligt werden"

Die meisten Beobachterinnen und Beobachter gehen davon aus, dass der Ukraine-Krieg eines Tages durch Verhandlungen enden wird. Welche Anforderungen stellt die Feministische Außenpolitik an Friedensverhandlungen?

Frauen müssen auf jeden Fall daran beteiligt werden. Es gibt dazu sehr robuste Untersuchungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Friedensabkommen mindestens 15 Jahre lang hält, ist um 35 Prozent höher, wenn Frauen an den Verhandlungen beteiligt waren. Friedensverhandlungen sind Momente, in denen sich eine Gesellschaft neu aufbaut und ihren Weg in die Zukunft sucht. Daran müssen alle Personengruppen teilhaben. Sonst werden unterdrückende Strukturen weitergetragen.

Auch bei einem anderen Thema wird über Feministische Außenpolitik diskutiert: Im Iran hat der Tod von Mahsa Amini im Polizeigewahrsam eine Protestwelle ausgelöst, gegen die der Staat gewaltsam vorgeht. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wurde vorgeworfen, zu zögerlich gegen die iranische Staatsführung vorzugehen. Zu Recht?

Die Zivilgesellschaft hat das Recht und die Aufgabe, die Regierung skeptisch zu beäugen und konstruktiv zu kritisieren. Die Journalistinnen Natalie Amiri und Gilda Sahebi haben da auch immer wieder gute Punkte vorgebracht. Sie haben in Richtung der Bundesregierung gesagt: Macht Druck auf den Iran, setzt die Verhandlungen über das Atomabkommen aus! Ich habe Annalena Baerbock aber immer als sehr offen für diese Kritik erlebt. Außerdem kam ein Teil der Kritik auch von Personen und Parteien, die sich sonst überhaupt nicht für den Iran, für Frauenrechte oder Feministische Außenpolitik interessieren. Ich finde, dass Annalena Baerbock da eine tolle Arbeit geleistet hat.

Inwiefern?

Sie hat sich schnell mit Außenministerinnen weltweit zusammengeschaltet. Sie hat Sanktionen auf EU-Ebene gepusht. Sie hat zusammen mit Island eine Resolution im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen vorgebracht. Sie hat ihr politisches Kapital genutzt, um nicht nur Solidarität in Worten zu zeigen, sondern in konkrete Handlungen umzusetzen.

Wir haben über Widersprüche und Hürden gesprochen. Positiv gefragt: Was ist für die Ziele der Feministischen Außenpolitik in den vergangenen Jahren denn schon erreicht worden?

Seit dem Jahr 2000 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zehn Resolutionen verabschiedet, die sich mit der Situation von Frauen im Krieg und mit der Bekämpfung sexualisierter Gewalt in Konflikten beschäftigen. Es gibt inzwischen zehn Staaten, die offiziell eine Feministische Außenpolitik haben. Diese Staaten geben mehr Geld aus für internationale Projekte und Anliegen, um die Gleichberechtigung weltweit zu fördern. Aber es geht noch darüber hinaus. Immer mehr Regierungen weltweit verstehen: Es gibt keine Demokratie ohne Feminismus und Gleichberechtigung.

Zur Person: Kristina Lunz, Jahrgang 1989, hat Diplomatie, Menschenrechte und Psychologie in Oxford, London und Stanford studiert. Sie ist Mitgründerin und Mitgeschäftsführerin des "Centre for Feminist Foreign Policy". In diesem Jahr erschien im Econ-Verlag ihr Buch "Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen".
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