Tausende Migranten versuchen seit Tagen von der Türkei aus nach Griechenland und damit in die Europäische Union zu gelangen. Wir erläutern, was an der EU-Außengrenze passiert, was die Ursachen und was die Folgen sind.

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Aufgetürmte Barrikaden, bewaffnete Grenzschützer und sehr viele Menschen, die nach Europa wollen: Aufgrund des massiven Andrangs von Flüchtlingen an der EU-Außengrenze nach der türkischen Grenzöffnung hat Griechenland am Wochenende die höchste Alarmstufe ausgerufen.

Unter anderem sollen die Patrouillen an Land und zu Wasser im Nordosten des Landes verstärkt werden, wie Regierungschef Kyriakos Mitsotakis am Sonntagabend nach einer Krisensitzung des nationalen Sicherheitsrats in Athen mitteilte.

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex erwartet unterdessen, dass sich die Lage an der griechisch-türkischen Grenze weiter zuspitzt. Was an der EU-Außengrenze passiert, was die Ursachen und was die Folgen sind – wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Was ist in der Türkei und Griechenland passiert?

Ende vergangener Woche sind bei einem Luftangriff auf die türkische Armee in der nordsyrischen Provinz Idlib dutzende türkische Soldaten ums Leben gekommen. Ankara reagierte mit Vergeltungsangriffen gegen Stellungen der syrischen Armee, die sie am Wochenende noch ausweitete.

Infolge der Eskalation des militärischen Konflikts in Nordsyrien öffnete die Türkei am Wochenende ihre Grenzen für Flüchtlinge, die in die Europäische Union gelangen wollen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fordert den Beistand der NATO und drohte bereits in der Vergangenheit mehrmals mit der Öffnung der Grenzen – was einem Bruch des Flüchtlingspaktes mit der Europäischen Union gleichkommt.

Offiziell begründete Ankara den Schritt damit, dass sich die EU nicht an ihre Verpflichtungen aus dem 2016 mit der Türkei geschlossenen Flüchtlingspakt halten würde. Seit Erdogans Ankündigung versuchen Tausende Menschen über die Grenze nach Griechenland zu gelangen. Die EU fürchtet eine neue Flüchtlingskrise.

Wie viele Menschen stehen an der EU-Außengrenze?

Der türkische Innenminister Süleyman Soylu schrieb am Montagmittag auf Twitter, dass bis zu diesem Zeitpunkt fast 120.000 Menschen von der türkischen Provinz Edirne aus die Grenze zur EU passiert hätten. Für diese Zahl gibt es allerdings keine Bestätigung, sie muss aufgrund des Eigeninteresses der türkischen Regierung auch kritisch hinterfragt werden.

Laut UN-Angaben harrten zuletzt rund 13.000 Menschen bei Frost im Grenzgebiet aus. Die griechische Polizei habe am Wochenende knapp 10.000 Menschen daran gehindert, den Grenzfluss Evros zu überqueren, wie das griechische Migrationsministerium mitteilte. Zudem wurden demnach 140 Flüchtlinge festgenommen.

Welchen Folgen sieht die Europäische Union?

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex erwartet laut einem Bericht der Tageszeitung "Die Welt" eine weitere Zuspitzung der Flüchtlingskrise an der griechisch-türkischen Grenze. Es seien "Massenmigrationsströme" zu erwarten, heißt es nach Informationen der Zeitung in einem vertraulichen Frontex-Bericht für die politischen Entscheidungsträger der EU.

Es werde schwierig sein, den "massiven Zustrom von Menschen" in Richtung Griechenland zu stoppen. Dies gelte selbst für den Fall, "dass die türkischen Behörden handeln sollten, um Grenzübertritte zu verhindern".

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Wie reagiert Griechenland auf die Situation an seiner Grenze?

In Griechenland gilt seit Sonntagabend für die Sicherheitskräfte die höchste Alarmstufe. Diese gelte sowohl für das Militär als auch für die Polizei.

Zudem warf Regierungssprecher Stelios Petsas Ankara vor, "selbst zum Schlepper" geworden zu sein und Menschen mit falschen Informationen dazu zu bewegen, in die EU zu kommen. "Griechenland hat nichts mit der Krise in Syrien zu tun und wird nicht den Preis dafür bezahlen", sagte Griechenlands Regierungschef Kyriakos Mitsotakis.

Athen wolle außerdem zusätzliche Unterstützung seitens der europäischen Grenzschutzagentur Frontex und Finanzhilfen bei der EU beantragen, hieß es. Illegal Eingereiste sollten – wenn dies möglich sei – in ihre Herkunftsländer ausgewiesen werden. Außerdem wird Griechenland einen Monat lang keine neuen Asylanträge annehmen, erklärte Mitsotakis am Sonntag.

Und wie reagiert die Europäische Union?

Die EU fürchtet eine neue Flüchtlingskrise wie 2015 und reagiert zunächst mit Abwehrmaßnahmen. Die EU-Grenzschutzbehörde veranlasste auf Bitten Athens bereits die Entsendung zusätzlicher Beamten sowie von Ausrüstung nach Griechenland, wie eine Frontex-Sprecherin am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP mitteilte.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte Griechenland und Bulgarien weitere Hilfe zur Bewältigung erhöhter Ankunftszahlen von Migranten in Aussicht. "Die Herausforderung, der Griechenland jetzt gegenübersteht, ist eine europäische Herausforderung", sagte die CDU-Politikerin. Sie werde am Dienstag mit EU-Ratschef Charles Michel und dem Präsidenten des Europaparlaments, David Sassoli, nach Griechenland reisen, um abzuschätzen, welche Unterstützung gebraucht werde.

Der EU-Migrationskommissar Margaritis Schinas fordert wegen der Lage eine baldige Sondersitzung der EU-Innenminister. Die EU-Außenminister wollen in diese Woche über die Lage an der griechisch-türkischen Grenze beraten.

Was steht im Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der EU?

Die Türkei hat rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. In einem Flüchtlingspakt mit der EU von 2016 hat die Türkei zugesagt, gegen illegale Migration vorzugehen.

In dem Abkommen mit der EU hatte sich die Türkei zudem dazu verpflichtet, alle auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen. Im Gegenzug nimmt die EU regulär Syrer aus der Türkei auf. Brüssel versprach Ankara außerdem Milliardenhilfen für die Versorgung der Flüchtlinge im Land, eine beschleunigte Visa-Erleichterung und die Modernisierung der Zollunion.

Wie ist die Situation in Idlib?

Bald ein Drittel der drei Millionen Einwohner der nordsyrischen Provinz Idlib sind laut UN inzwischen auf der Flucht vor Bombardements und Gefechten am Boden. Der Weltgesundheitsorganisation zufolge schlafen etwa 170.000 Menschen in der Region im Freien, in Gesundheitseinrichtungen herrsche das "Chaos".

Zehntausende sind in die syrisch-türkische Grenzregion geströmt. Doch die türkische Grenze ist geschlossen. Die Türkei hat seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. (afp/dpa/mf)

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