Die unübersichtliche Lage an der griechisch-türkischen Grenze schürt Behauptungen über die dortigen Zustände. Das Faktencheck-Team von CORRECTIV hat das Material geprüft und herausgefunden, dass es teilweise aus ganz anderen Kontexten stammt.
Am vergangenen Samstag (29. Februar) sagte Recep Tayyip Erdogan, dass die Türkei die Grenze zur EU geöffnet habe. Seitdem haben sich tausende Geflüchtete und Migranten auf den Weg in Richtung Europa gemacht. Griechenland wehrt nach eigenen Angaben die Menschen an der Grenze ab.
Fotos und Videos im Netz sollen angeblich die Situation vor Ort zeigen. Wir von CORRECTIV.Faktencheck arbeiten daran, ihre Herkunft zu verifizieren. Dabei stoßen wir auch auf Falschmeldungen.
So soll ein Video beweisen, dass die Migranten und Flüchtlinge Molotow-Cocktails einsetzen. Es werden Fotos von verzweifelten oder blutenden Menschen verbreitet, die die Brutalität der griechischen Grenzschützer zeigen sollen.
Oder es wird behauptet, in Griechenland hätten sich Landwirte mit Traktoren in Stellung gebracht, um zu verhindern, dass die Flüchtlinge in die EU kommen. All diese Behauptungen fußen jedoch auf falschem Bildmaterial.
Überprüftes Video aus Griechenland schon neun Jahre alt
Für die Überprüfung von Fotos und Videos greifen wir unter anderem auf die Bilderrückwärtssuchen bekannter Suchmaschinen zurück. In manchen Fällen ist das erfolgreich, bei anderen können wir die Herkunft nicht ermitteln.
In einem Artikel von der Site "Politikstube" wurde ein neun Jahre altes Video verwendet, um die Migranten und Flüchtlinge als "gewaltbereit" dastehen zu lassen. Diese hätten griechische Polizisten mit Molotow-Cocktails beworfen. In dem Video ist zu sehen, wie ein Brandsatz auf zwei Polizisten geworfen wird. Die Kleidung von einem der beiden Polizisten beginnt daraufhin zu brennen.
Wir haben nach Screenshots aus dem Video gesucht und sind dabei auf eine deutlich längere Version von 2011 gestoßen. Damals kam es auf dem Syntagma-Platz in Athen zu Zusammenstößen von Demonstranten und Polizei. Der Grund dafür waren die Eurokrise und die geplanten Sparmaßnahmen für die griechische Bevölkerung. Es handelte sich also nicht um Migranten oder Geflüchtete.
Aktuelle Fotos werden mit alten Bildern vermischt
Auf Facebook verbreiten Nutzer außerdem Fotos von den Vorfällen an dem griechischen Grenzübergang Pazarkule. Dort versuchten zahlreiche Menschen, nach Griechenland zu gelangen. Die Polizei setzte laut Medienberichten Tränengas ein.
Viele Fotos von dieser Situation stufen wir als authentisch ein. Sie werden jedoch gemeinsam mit anderen Bildern verbreitet, die wiederum nicht aktuell sind. So war auf Facebook ein Mann mit blutüberströmtem Gesicht zu sehen. Und auf Twitter zeigte eine Collage mit Fotos vom Grenzübergang und einer klagenden Frau.
Unser Faktencheck zeigt: Das Foto des blutenden Mannes entstand 2015 an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn, als es dort zu Zusammenstößen zwischen Flüchtlingen und der Polizei kam. Und das Foto der klagenden Frau wurde bereits Anfang Februar 2020 in Berichten über Flüchtlinge auf Lesbos verwendet, entstand also auch nicht im Kontext der aktuellen Vorfälle.
Nein, griechische Landwirte fahren nicht zur Grenze, um sie zu schützen
Ebenso irreführend ist ein Foto, das auf Twitter kursiert und eine Kolonne von Traktoren auf einer Straße zeigt. Ein deutscher Twitter-Nutzer schrieb dazu: "In Griechenland rücken die Bauern aus, um ihr Land gegen einfallende Migranten zu verteidigen!"
Diese Behauptung ist falsch. Denn das Foto ist mutmaßlich von 2016. Es wurde damals verwendet, um über Proteste von Landwirten gegen die griechische Regierung zu berichten.
In Bezug auf den Grenzschutz hat lediglich ein Bauernverband öffentlich auf Facebook angeboten, zu helfen. Der Beitrag wurde nur etwa 50 Mal geteilt und es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass dieses Angebot in die Tat umgesetzt wurde.
Diese Beispiele zeigen nicht, dass die Berichte über dramatische Szenen an der türkisch-griechischen Grenze alle falsch wären. Es gibt auch authentische Bilder davon. Doch wenn dramatische Fotos oder Videos in Sozialen Netzwerken verbreitet werden, sollten Nutzer besonders vorsichtig sein.
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