Griechenland führt in einigen Branchen eine Sechs-Tage-Woche ein. Auch in der deutschen Politik werden Rufe danach laut, um den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen. Für Arbeitsmarktforscher ergäbe sich daraus eine Reihe neuer Probleme.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Adrian Arab sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es gibt Vorurteile, die halten sich beständig. So etwa der Topos vom "faulen Griechen". Die Menschen im südeuropäischen Außenposten, so heißt es gerne in deutschsprachigen Debatten, machten gerne Urlaub, arbeiteten gerne wenig – und seien überdies besonders korrupt.

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Einzig: Mit der Realität hat dieses Bild inzwischen wenig zu tun. In keinem anderen Land arbeiten die Menschen so viel wie in Hellas. 41 Stunden pro Woche sind es ausweislich der Zahlen des Statistischen Bundesamtes, rund sechs Stunden mehr als in Deutschland. Dazu kommt: Viele Griechen gehen angesichts der niedrigen Löhne in dem Land noch einem Nebenerwerb nach.

Wer die Sechs-Tage-Woche annimmt, wird mit hohen Zuschlägen belohnt

Schaut man auf ein Gesetz, das die griechische Regierung zum 1. Juli eingeführt hat, so will Athen diesen Spitzenplatz auch in Zukunft verteidigen. Seit diesem Sommer dürfen Arbeitgeber ihren Angestellten vorschlagen, einen sechsten Arbeitstag in der Woche zu nehmen.

Die Regelung ist vorerst auf Unternehmen im 24-Stunden-Schichtbetrieb beschränkt, die eine besondere Belastung vorweisen. Sie richtet sich damit vor allem an das verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor.

Wer das freiwillige Angebot annimmt, wird mit satten Zuschlägen belohnt. Fällt der sechste Tag auf einen Samstag, kommen 40 Prozent mehr Gehalt dazu, an Sonn- und Feiertagen sogar 115 Prozent.

Der Vorschlag aus Griechenland wird auch in Deutschland diskutiert – und das aus zwei Gründen.

Fachkräftemangel betrifft sowohl Griechenland als auch Deutschland

Zum einen will die konservative Regierung von Kyriakos Mitsotakis ein Problem angehen, mit dem fast alle EU-Staaten konfrontiert sind: den grassierenden Fachkräftemangel. Trotz einer Arbeitslosenquote von zwölf Prozent fehlen Hunderttausende Arbeitskräfte in dem Land, was auch daran liegt, dass in der Finanzkrise zwischen 2010 und 2018 viele junge Menschen im Ausland nach besseren Chancen gesucht haben. Vor allem in den wichtigen Branchen Tourismus und Landwirtschaft rächt sich diese Flaute nun.

Zwar hat Griechenland dank schmerzhafter Reformen in den vergangenen Jahren wieder auf die Wachstumsspur zurückgefunden und dürfte bei den wirtschaftlichen Kennzahlen in diesem Jahr Deutschland beim Wirtschaftswachstum überholen. Der Arbeitskräftemangel erweist sich jedoch für die nächsten Jahre als Bremsklotz.

Ähnlich sieht es auch in Deutschland aus, wo 2023 nach Zahlen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) rund 573.000 Stellen unbesetzt blieben. In Geld ausgedrückt entspricht das einem Produktionsverlust von rund 49 Milliarden Euro, weshalb Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den Fachkräftemangel zuletzt auch als "zentrale Wachstumsbremse" in Deutschland bezeichnete.

In Deutschland ist die aktuelle Debatte eigentlich eine andere

Doch auch aus einem zweiten Grund wird der griechische Weg in Deutschland scharf beobachtet: Er steht quer zu den zeitgeistigen Debatten über weniger Arbeit und mehr Work-Life-Balance – und würde in Deutschland wohl auf erbitterten Widerstand stoßen.

So läuft hierzulande gerade ein gegenteiliges Experiment, bei dem 45 Unternehmen medienwirksam testen, welche Vorteile sich aus einer Vier-Tage-Woche ergeben – wohlgemerkt: bei vollem Lohnausgleich.

Auch die Industriegewerkschaft Metall trommelte bei ihrer letzten Lohnrunde für den Einstieg in eine Vier-Tage-Woche. Und der Vorschlag von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), eine Sechs-Tage-Woche in Deutschland einzuführen, hatte schnell eine GaGroKo gegen sich: eine "Ganz Große Koalition" fast aller politischen Lager gegen den Vorschlag.

Ein Arbeitnehmer am Laptop

Die Vier-Tage-Woche findet keine Mehrheit

Eine Mehrheit der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger erachtet die generelle Einführung einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich für nicht sinnvoll. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Forsa.

Das mag auch daran liegen, dass alle Ökonomen, mit denen unsere Redaktion für diesen Artikel gesprochen hat, das Konzept ablehnen und darauf verweisen, dass die Probleme in Deutschland anders gelagert seien als in Griechenland.

So erklärt Philipp Frey, Arbeitsforscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT): "Der Fachkräftemangel in Griechenland ist größtenteils auf die Abwanderung von Arbeitskräften aufgrund mangelnder Perspektiven für jüngere Arbeitskräfte zurückzuführen, die Griechenland den Rücken gekehrt haben, um attraktivere Arbeitsgelegenheiten im europäischen Ausland, wahrzunehmen."

Dieses Problem werde durch die Möglichkeit, sechs Tage die Woche zu arbeiten, nicht adressiert. Zwar stellten Zulagen für Arbeitnehmer einen Arbeitsanreiz dar. "Gleichzeitig sind die Aufschläge ein Anreiz für Unternehmen, nicht wahllos von der Möglichkeit zur Samstagsarbeit Gebrauch zu machen." Das Instrument sei also schlicht zu teuer, um es auf Dauer einzusetzen.

Unzufriedenheit junger Menschen spricht für kürzere Arbeitszeiten

Der Wirtschaftssoziologe Gerhard Bosch von der Universität Duisburg glaubt zudem, dass das griechische Konzept in Deutschland an der Akzeptanz der Arbeitnehmer und Gewerkschaften scheitere – und der Einstieg in einen "politischen Großkonflikt" wäre. "Es wäre arbeitspolitisch eine Rückkehr ins Kaiserreich", sagt der Arbeitsforscher. Bedenke man außerdem, dass einer der Hauptgründe für den Arbeitskräftemangel hierzulande die große Unzufriedenheit junger Menschen mit den Arbeitsbedingungen sei, so ergebe eine Erhöhung der Arbeitszeit auch ökonomisch keinen Sinn.

"Durch Überstunden kann man den Fachkräftemangel allenfalls kurzfristig abmildern", sagt Bosch. "Auf lange Sicht werden übermüdete Beschäftigte aber in andere Sektoren abwandern. Und das, gemeinsam mit der hohen Auswanderung junger Arbeitnehmer, ist ja gerade der Grund für den Fachkräftemangel in Deutschland."

Dringend abzuraten sei von dem Konzept zudem, weil man mit einer Sechs-Tage-Woche die Axt an jenes Konzept lege, das den deutschen Arbeitsmarkt positiv von anderen Volkswirtschaften unterscheide: die hohe Flexibilität. "Bei einer Verlängerung der Arbeitszeit gehen Zeitreserven verloren. Damit reduziert man diese Flexibilität", argumentiert Bosch.

Auch der Arbeitsforscher Hans Rusinek glaubt nicht, dass das griechische Konzept ohne weiteres auf Deutschland übertragbar ist – er hält die Debatte für einen Vergleich von "Äpfeln mit Birnen".

Rusinek sagt: "Unser Personalmangel ist keiner, der sich mit ägyptischen Saisonarbeitern, die gerne Sechs-Tage-Wochen schieben, lösen lässt." In Deutschland, wo eine hohe Arbeitsbelastung oftmals der Grund für den Fachkräftemangel sei, würden noch höhere Arbeitszeiten die Abwanderung von Arbeitnehmern aus kritischen Branchen beschleunigen.

"Wer in der Krankenpflege eine Sechs-Tage-Woche einführt, bekämpft eine hohe Arbeitsbelastung mit einer noch höheren Arbeitsbelastung. Das erscheint mir paradox", so der Arbeitsforscher. Statt "über den Fleiß ihrer Bürger zu sinnieren", rät Rusinek der Politik, sich die Gründe anzusehen, die zu einer Abkehr von der Arbeit in Deutschland führten. Rusinek: "Sollten wir uns wundern, dass Menschen von fünf auf vier Tage Arbeit umsteigen, wenn die Differenz nach Steuern 200 Euro beträgt?"

Über die Gesprächspartner

  • Hans Rusinek ist Arbeitsforscher, Berater und Speaker. Er forscht an der Universität St. Gallen und ist Fellow im "Think Tank 30"des Club of Rome Deutschland.
  • Prof. Dr. Gerhard Bosch ist geschäftsführender Direktor des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen
  • Philipp Frey ist Mitarbeiter am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Vorstandsmitglied des Zentrums für emanzipatorische Technikforschung (ZET)

Verwendete Quellen

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