• In einem Naturschutzgebiet nördlich von Berlin hat die Grünen-Spitze ihr "Sofortprogramm" für den Klimaschutz vorgestellt.
  • Die Grünen wollen im Falle einer Regierungsbeteiligung eine sozial gerechte Energiewende auf den Weg bringen und zusätzliche Milliarden in den Klimaschutz investieren.
  • Besonders umstritten: Ein neues Klimaschutzministerium soll ein Vetorecht gegenüber den anderen Ressorts haben, wenn deren Gesetze nicht mit den Klimazielen des Pariser Abkommens übereinstimmen.

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Längere Zeit waren Annalena Baerbock und Robert Habeck nicht mehr gemeinsam in der Öffentlichkeit zu sehen gewesen. Doch zum Auftakt der zentralen Wahlkampfphase wollen die beiden Grünen-Vorsitzenden keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie beim Kampf ums Kanzleramt an einem Strang ziehen.

Dafür sind die Kanzlerkandidatin und ihr Co-Parteichef am Dienstag eigens in die Brandenburger Wälder gefahren, ins Naturschutzgebiet Biesenthaler Becken. Dort rücken Baerbock und Habeck das Thema in den Mittelpunkt, mit dem sie die Bundestagswahl gewinnen möchten: den Klima- und Umweltschutz.

Das in Biesenthal vorgelegte siebenseitige "Klimaschutz-Sofortprogramm" enthält nicht nur die bekannten Grünen-Forderungen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes und dem Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Die Partei legt auch dar, wie sie sich den Start einer neuen Regierung mit ihrer Beteiligung vorstellt: Eine "Klima-Task-Force" der Bundesregierung soll in den ersten 100 Tagen im Wochenrhythmus tagen, ein neu zu schaffendes Klimaschutzministerium soll weitreichende Kompetenzen inklusive Vetorecht gegen Vorlagen anderer Ressorts bekommen.

Kritik von der politischen Konkurrenz

Es ist der Punkt, der bei der politischen Konkurrenz am meisten für Kopfschütteln sorgt. "Mit einem Vetoministerium kann man nicht die Zukunft gestalten", sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) der Deutschen Presse-Agentur (dpa) am Dienstag. "Das ist die Denke von Aufhalten und Verhindern. Wir brauchen aber Modernisieren und Investieren für mehr Klimaschutz. Die Bundesregierung hat eine so genannte Ressortabstimmung, bei der sich alle Ministerien einbringen."

Für den parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Florian Toncar, ist das Vetorecht für das neu zu schaffende Klimaschutzministerium ein "Marketinginstrument der Grünen", das "für Altbekanntes" stehen würde: "Verbote, Subventionen und Detailvorgaben".

Toncars Parteichef Christian Lindner merkte an: "In der Not ihres Wahlkampfs ziehen die Grünen für ihre Kernklientel alle Register der Verbotsorgel." Er nannte das Grünen-"Sofortprogramm" zudem ein "bürokratisches Geflecht voller Verbote". Stattdessen solle "privates Kapital und privates Wissen" für den Klimaschutz mobilisiert werden.

Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) reagierte zurückhaltender. Bei einem gemeinsamen Termin mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, das in seinem Bundesland geltende Klimaanpassungsgesetz würden "ein bisschen in die Richtung" der Grünen-Vorschläge gehen.

Vetorecht kein Novum

Das von den Grünen angedachte Vetorecht ist einer der zentralen Punkte ihres "Sofortprogramms". Das Veto soll Gesetze verhindern können, die nicht konform mit dem Pariser Klimaabkommen sind. Nach dieser Übereinkunft soll die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad begrenzt und alles daran gesetzt werden, den Temperaturanstieg bereits bei 1,5 Grad zu stoppen.

Dass ein Ministerium ein Vetorecht eingeräumt bekommt, ist alles andere als ein Novum. So ist das Veto des Bundesfinanzministeriums sogar im Grundgesetz verankert.

Baerbock weiß um das gern bemühte Image der Grünen als Verbotspartei und betont auffällig die Rolle der Industrie, die längst auf dem Weg sei. Ein weiteres Abwarten beim Klimaschutz gefährde den Standort Deutschland. Die Botschaft: Mehr Klimaschutz erhält Arbeitsplätze und schafft neue Jobs.

Ganz ohne Verbote aber soll es auch nicht gehen. Baerbock führt aus, es brauche beim Klimaschutz einen Dreiklang aus Ordnungsrecht, einem klaren CO2-Preis und Förderpolitik. Ordnungsrecht aber bedeutet: Klare gesetzliche Vorgaben.

So bekräftigt auch Habeck, das Ende des Verbrennungsmotors müsse kommen, 2030 sei "gesetzt". Und den Kohleausstieg wollen die Grünen auf das gleiche Jahr 2030 vorziehen – auch wenn Habeck meint, entscheidend sei, möglichst schnell viele Kraftwerke abzuschalten, und nicht, wann das letzte Kraftwerk vom Netz gehe. Das Ziel bisher ist ein Kohleausstieg bis spätestens 2038.

Baerbock drückt aufs Tempo, Habeck zeigt sich kompromissbereit

Baerbock drückt aufs Tempo: "Da wir die letzten Jahre seit der Pariser Klimakonferenz verplempert haben, haben wir jetzt nicht eine ganze Legislatur Zeit, diese Maßnahmen umzusetzen." Investitionen für Schiene, öffentlichen Nahverkehr und Fahrrad sollen bereits im Bundeshaushalt 2022 erhöht werden. Wesentliche Punkte des "Sofortprogramms" stehen bereits im Wahlprogramm der Grünen.

Das Problem: Die Grünen brauchen bei all ihren Vorhaben Partner. Umso mehr, da sie dieser Tage weit davon entfernt sind, stärkste Kraft im Bund zu werden. Habeck zeigt sich wohl auch deshalb in Biesenthal kompromissbereit, er spricht vielsagend von "kommunizierenden Röhren". "Wenn man bei der einen Maßnahme langsamer sein will, muss man bei der anderen eben schneller sein", erklärt der Grünen-Co-Chef. (AFP/dpa/mf)

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