Ein explosives Gemisch auf dem Wohnungsmarkt: Die Bevölkerung wächst, der Neubau lahmt, die Mieten steigen. Und dann ist da noch das neue Heizungsgesetz, das Mieter und Vermieter zusätzlich verunsichert. Der Präsident des Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, sagt im Interview, was er von der Politik erwartet.
Es ist ein Bild, das sich in vielen Städten gleicht. Lange Schlangen sind bei Wohnungsbesichtigungen eher die Regel, nicht die Ausnahme. Wohnraum ist ein knappes Gut. Und eines, das immer teurer wird. Wohin führt diese Entwicklung?
Lukas Siebenkotten vertritt als Präsident des Deutschen Mieterbundes die Interessen der Mieterinnen und Mieter. Keine leichte Aufgabe in einer Zeit, in der die Kräfte auf dem Wohnungsmarkt so ungleich verteilt sind. Deutschlands oberster Mieterschützer sagt: Mehr Neubau allein wird daran nichts ändern.
Herr Siebenkotten, die Immobilienpreise sind in Deutschland zuletzt gefallen. Ist das auch für Mieter ein Grund zur Freude?
Lukas Siebenkotten: Bisher leider nein. Wir haben nicht feststellen können, dass die Mieten weniger stark ansteigen, wenn die Immobilienpreise fallen. Was wir aber stattdessen sehen: Die Mieten steigen weiter an.
Wohnen wird in Deutschland seit Jahren konstant teurer. Warum ist das so?
Weil es der Markt hergibt. Es gibt schlicht zu wenig Wohnraum. Wir bräuchten mehr bezahlbare Wohnungen. Die fehlen aber, also steigen die Preise. Und im Mietrecht passiert leider nichts.
Gibt es bei den Mieten eine "Schmerzgrenze" – also Preise, die sich am Markt nicht mehr durchsetzen lassen?
Das ist schwer zu sagen. Wichtig ist die Situation des einzelnen Mieters: Wenn die Mietbelastung mehr als ein Drittel des Haushaltseinkommens überschreitet, ist die Wohnung definitiv zu teuer.
Mieterbund-Präsident fordert: Indexmieten begrenzen
In Großstädten ist das oft der Fall.
Und das ist ein Problem. Mehr als drei Millionen Menschen geben über 40 oder gar 50 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus. Da ist der Punkt längst erreicht, wo man sagen muss: Wohnen ist nicht mehr bezahlbar. Und die ständigen Preissteigerungen bringen das System aus dem Gleichgewicht.
Immer mehr Vermieter verlangen Indexmieten – also Mieten, die an die allgemeine Preissteigerung gekoppelt sind. Was raten Sie Wohnungssuchenden, die damit konfrontiert sind: einen solchen Vertrag unterschreiben oder es bleiben lassen?
Das ist eine schwierige Frage, wenn die Alternative dann lautet, keine Wohnung zu haben. Wenn 80 Leute um eine Wohnung konkurrieren, wird der Vermieter jemanden finden, der die Indexmiete akzeptiert.
Trotzdem: Als Mieterbund raten wir nicht zu solchen Verträgen. Die Miete ist nach oben offen. Steigen die Preise, steigt auch die Miete. Es gibt kein Stoppschild in Form einer Kappungsgrenze.
Wo könnte die liegen?
Die Ampel plant, Mietsteigerungen auf maximal elf Prozent innerhalb von drei Jahren zu begrenzen. So steht es im Koalitionsvertrag. Angesichts der Inflation meinen wir aber: Mietsteigerungen sollten zurzeit nicht mehr als zwei Prozent jährlich ausmachen. Heißt also sechs Prozent in drei Jahren. Das sollte auch für Indexmieten gelten.
Glauben Sie, dass die Ampel hier – wie auch bei der Kappungsgrenze – rasch handelt?
Leider habe ich da wenig Hoffnung, da der Bundesjustizminister bislang jede mietrechtliche Reform im Keim erstickt.
Bald kein Wohnraum mehr für Geringverdiener?
Andererseits: Die Inflation sinkt bereits. Und jahrelang war sie niedrig. Das war gut für Mieter.
Das ist richtig, aber die Zeiten haben sich geändert. Und auch eine niedrigere Inflation führt natürlich zu weiteren Mietsteigerung, ändert man nichts am Indexmietensystem. Wir brauchen Leitplanken in Form von Kappungsgrenzen. Für viele Menschen wird es sonst eng.
Der Neubau schwächelt und der Zuzug in die Städte hält an. Müssen wir uns darauf einstellen, dass es in den Metropolen bald keinen Wohnraum mehr für Gering- und Normalverdiener gibt?
Wenn es so weitergeht wie bisher, dann ja. Die Anzahl der Wohnungen, die neu gebaut werden, geht immer weiter zurück. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung. Und bereits jetzt fehlen 700.000 bezahlbare Wohnungen. Schon heute leben Familien mit zwei Kindern in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Oder man teilt sich nur ein Zimmer. Die Frage nach menschenwürdigen Verhältnissen stellt sich konkret.
Die Politik setzt auf ein größeres Angebot an Wohnungen, also Neubau. Ist das der richtige Weg?
Man muss sich angucken, was gebaut wird. Schauen Sie in die Großstädte. Dort entstehen vor allem höherpreisige Wohnungen. Davon gibt es aber schon genug. Um die Reichen müssen wir uns nicht kümmern.
Die Wohnungsnot setzt inzwischen nicht mehr nur das untere finanzielle Drittel der Gesellschaft unter Druck. Auch die Mittelschicht findet keinen adäquaten, bezahlbaren Wohnraum. Wenn da nicht gegengesteuert wird, knallt es irgendwann.
Es gibt Ökonomen, die sagen: Die Wohnungen sind falsch verteilt. Ein Beispiel: Die Kinder sind längst ausgezogen, ein Ehepartner verstorben. Und die günstige Wohnung mit altem Mietvertrag wird nur noch von einer Person bewohnt, während junge Familien keine Bleibe finden. Die Wissenschaftler wollen die Mieten im Bestand schneller steigen lassen, um Anreize zu schaffen, in kleinere Wohnungen zu ziehen – und Platz zu schaffen. Eine gute Idee?
Für mich wäre es besser, wenn man den alleinstehenden Rentnern, meistens Frauen, ein vernünftiges Angebot macht. Das heißt: Man muss es schmackhaft machen, in die kleinere Wohnung zu ziehen. Das könnte funktionieren, in dem man den Quadratmeterpreis überträgt. Wer also im alten Mietvertrag dafür 7 Euro kalt gezahlt hat, nimmt diesen Preis mit in die neue, kleinere Wohnung. Dann wäre auch die Miete insgesamt deutlich niedriger.
Bauministerin Klara Geywitz (SPD) wollte den Wohnungsbau ankurbeln. Inzwischen musste sie aber einräumen, dass die von der Regierung geplanten 400.000 Wohnungen pro Jahr nicht zu realisieren sind. Ist die Wohnungsbau-Offensive der Ampel gescheitert?
Die Zahl von 400.000 – davon ein Viertel sozial gefördert – war sehr ehrgeizig. Wahrscheinlich wird die Regierung dieses Ziel in der gesamten Legislaturperiode nicht erreichen. Uns als Mieterbund interessiert auch weniger die absolute Zahl, sondern das, was an bezahlbarem Wohnraum geplant ist. Und von den 100.000 geförderten Wohnungen sind wir meilenweit entfernt.
Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampel auf die Einführung einer neuen Wohngemeinnützigkeit verständigt. Dabei sollen Unternehmen steuerlich gefördert werden, die preiswerten Wohnraum anbieten. Ein Ausweg aus der Misere?
Wir sehen darin zumindest eine große Chance. Aktuell ist es so: Nach 20, 30 Jahren fallen geförderte Wohnungen aus der Sozialbindung und werden zu Marktpreisen gehandelt. Dadurch sinkt der Bestand an Sozialwohnungen beständig. Wir hätten viel gewonnen, wenn wir diesen Trend umkehren.
Für Verunsicherung bei Mietern und Vermietern sorgte zuletzt das von Robert Habeck geplante Heizungsgesetz. Jetzt hat sich die Ampel auf eine finale Fassung geeinigt. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Da gibt es Licht und Schatten. Positiv ist, dass die maximal mögliche Mieterhöhung bei einem Austausch der Heizung auf 50 Cent pro Quadratmeter und Monat gedeckelt ist, und dass in Zukunft der Mietende einen Härtefalleinwand auch dann geltend machen kann, wenn der Vermieter zur Modernisierung gesetzlich verpflichtet ist.
Schlecht finden wir, dass der einzige Paragraph, der eine Begrenzung der allein vom Mieter zu tragenden Heizkosten ermöglicht hätte, nun offenbar im letzten Moment noch der FDP "geopfert" und gestrichen wurde.
Gibt es etwas, das Ihnen Hoffnung macht, dass Deutschland auf absehbare Zeit das Problem steigender Mieten in den Griff bekommt?
Man muss festhalten: In der Bundesregierung gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen über die Wohnungspolitik. Mehr Bauen allein wird nicht reichen. Es geht darum, Geld in die Hand zu nehmen, als Staat wieder mehr regulierend auf dem Wohnungsmarkt zu agieren. Ein Sondervermögen für den Wohnungsbau wäre auch die Chance, den Gebäudesektor klimagerecht umzubauen. Zudem brauchen wir ein sozial ausgewogenes Mietrecht, das vor ungezügelten Mietensteigerungen und Verdrängung schützt. Davon profitieren alle.
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