Der Streit um die Meinungsfreiheit an deutschen Hochschulen wird um einen Fall reicher. An der TU Dortmund wird derzeit über den Schaukasten von Walter Krämer debattiert. Denn der Statistik-Professor hat dort unter anderem Zitate von Adolf Hitler, Ex-AfD-Vize Hans-Olaf Henkel und eine Karikatur von Greta Thunberg aufgehängt. Wir haben nachgefragt, was dahintersteckt.

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Statistik-Professor Walter Krämer ist jemand, der die Aufmerksamkeit sucht. Bereits in der Vergangenheit ist er durch provokante Äußerungen aufgefallen. Umweltfragen seien in Deutschland einer "rot-grünen Weltverbesserungsidologie" unterworfen, hatte er 2018 in einem Interview mit der rechten Wochenzeitung "Junge Freiheit" erklärt.

In einer Mitteilung des "Verein Deutsche Sprache", dem Krämer als 1. Vorsitzender vorsteht, schrieb er 2016 gegen den "aktuellen Meinungsterror unserer weitgehend linksgestrickten Lügenmedien" an. Und nun geht es um den Schaukasten des Professors an der Technischen Universität (TU) Dortmund.

TU-Professor: Das sind die streitbaren Zitate

Schon vor einiger Zeit, laut dem Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der TU Dortmund seit etwa einem halben Jahr, habe Krämer in seinen Schaukasten "Dinge, die mich interessieren" aufgehängt. Nicht etwa Noten oder Fachartikel sind dort angepinnt, sondern beispielsweise ein vermeintliches Zitat Adolf Hitlers unter der Überschrift "Rauchen gegen Rechts": "Der Nationalsozialismus hätte niemals in Deutschland siegen können, hätte ich nicht das Rauchen aufgeben."

Oder ein Zitat von Ex-AfD-Vize Hans-Olaf Henkel: "Es gibt 57 islamische Länder in der Welt. Da muss es ja ein wahnsinniger Zufall sein, dass es in keinem dieser Länder eine Demokratie gibt. Nicht eine." Nicht zu vergessen: ein Spottbild von Greta Thunberg.

Aus Sicht Krämers ist das Satire. Im Gespräch mit unserer Redaktion begründet er das Greta-Bild so: "Es ist ein Resultat meiner Verwunderung: Weltweit wird in aufgeklärten Gesellschaften diese spätpubertäre Autistengöre verehrt wie eine Heilige – deshalb auch dieses satirische Heiligenbild."

Vorsicht vor vorschnellen, unfundierten Aussagen

Das Henkel-Zitat sei ein Paradebeispiel für einen Signifikanztest, erklärt Krämer. "Es ist kein Zufall, es steckt System dahinter, dass von allen islamischen Ländern wenn überhaupt nur zwei demokratisch sind. Genau darin geht es in der Statistik. Ich fordere die Leute auf, ihre Gehirnzellen zu benutzen. Insofern ist die jetzige Aufmerksamkeit gut."

Auf Anfrage unserer Redaktion haben Behrouz Khosrozadeh vom Göttinger Institut für Demokratieforschung und Monika Arnez von der Universität Hamburg das Henkel-Zitat bewertet. Khosrozadeh verweist darauf, dass die beiden bevölkerungsreichsten islamischen Staaten, Indonesien und Bangladesch, keine Diktaturen sind. Es gebe sicherlich Probleme hinsichtlich der Religion. "Aber dass ein muslimischer Staat eine Demokratie sein kann, zeigt das Beispiel Tunesien", bemerkt Khosrozadeh.

Südostasien-Expertin Arnez verweist auf den aktuellen Demokratieindex der britischen Ecomomist Intelligence Unit, der 167 Länder auf ihren demokratischen Status hin untersucht. Zu den im Demokratieindex aufgeführten unvollständigen Demokratien werden derzeit sowohl die mehrheitlich christlichen USA als auch die mehrheitlich muslimischen Länder Malaysia und Indonesien gezählt, erläutert Arnez. Sie sagt: "Die Ergebnisse des Demokratieindexes zeigen, dass Vorsicht geboten ist, wenn Politiker vorschnelle, unfundierte Aussagen über den Demokratie-Status eines Landes und den vermeintlichen Zusammenhang mit der Religion machen."

Kramer: "Ich habe früher AfD gewählt"

Kritiker werfen Krämer Nähe zur Neuen Rechten und zur AfD vor. "Ich habe früher einmal die AfD gewählt, weil sie zu Ihrer Gründungszeit die einzige Alternative zur Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung darstellte. Mittlerweile ist dieser Haufen aber total abgedriftet", sagt der Professor heute. Er sei Mitglied in der FDP und setze sich dort für Veränderungen ein. "Aber derzeit gibt es tatsächlich keine Partei, die mir zu 100 Prozent gefällt."

Wie nun mit den Zitaten und Bildern umgegangen werden soll, ist umstritten. Der AStA der TU Dortmund fordert "eine sofortige Beendigung der menschenverachtenden Aushänge". Krämers Arbeitgeber sind hingegen die Hände gebunden. "Diese Meinung einer einzelnen Person gibt nicht die Meinung der Universität oder gar der Hochschulleitung wieder", wird Rektorin Ursula Gather in einer Stellungnahme der Universität zitiert.

Weiter heißt es dort: Jeder dürfe seine kritische Meinung zu diesem Aushang äußern, "dieser fordert geradezu Widerspruch und Diskurs heraus". Gather selbst missbilligt zudem "in aller Deutlichkeit, dass in Schaukästen der TU Dort­mund Zitate von Hitler ausgehängt werden. Wie ich finde, ist dies eine geschmacklose und unsensible Provokation."

Die Behauptung, dass der Nationalsozialismus in Deutsch­land nicht an die Macht gekommen wäre, wenn Hitler selbst nicht das Rauchen aufgegeben hätte, sei eine "unsinnige Aussage", "Rauchen gegen Rechts" sei "eine abstruse Botschaft und zweifellos unsensibel gegenüber allen Opfern des Nationalsozialismus", teilt die Hochschulleitung mit.

Zugleich betont sie aber, dass der Aushang kein verfassungswidriges Gedankengut verbreite, die Darstellungen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt. Deshalb könne die Hochschulleitung den Aushang "weder verbieten noch entfernen lassen".

Verwendete Quellen:

  • Telefonat mit Walter Krämer
  • E-Mail-Anfragen an Behrouz Khosrozadeh und Monika Arnez
  • Stellungnahmen der TU Dortmund und des AStA der TU Dortmund
  • "Wirtschaftswoche": "Die Euro-Krankheit bricht bald umso heftiger aus"
  • "Übermedien": "Die Pegidahaftigkeit des Vereins Deutsche Sprache"
  • "Junge Freiheit": "Reflexartig, wie Pawlowsche Hunde"
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