Der Koalitionsvertrag steht – und doch herrscht weiter Uneinigkeit in einigen Themen. Etwa beim Mindestlohn. Union und SPD debattieren öffentlich über eine mögliche Erhöhung im kommenden Jahr. Friedrich Merz (CDU) hält das zum Jahreswechsel für nicht gesetzt.

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Um die künftige Höhe des Mindestlohns unter einer möglichen schwarz-roten Bundesregierung gibt es weiter Diskussionen. SPD-Politiker wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil drängten am Montag auf die im Koalitionsvertrag für erreichbar gehaltene Steigerung auf 15 Euro im kommenden Jahr. Zuvor hatte der voraussichtlich künftige Kanzler Friedrich Merz (CDU) erklärt, dass eine Mindestlohnerhöhung zum kommenden Jahreswechsel nicht sicher sei. Der Handelsverband warnte derweil vor politischen Eingriffen.

Die Diskussion hatte Merz am Wochenende mit einem Interview in der "Bild am Sonntag" angefacht. Merz betonte darin, bei der Mindestlohnerhöhung werde es "keinen gesetzlichen Automatismus geben". Der Mindestlohn könne "zum 1.1.2026 oder 2027" bei 15 Euro liegen. Die Mindestlohnkommission lege den Satz "in eigener Autonomie" fest. Verabredet worden sei, "dass wir davon ausgehen, dass die Mindestlohnkommission in diese Richtung denkt".

Was ist die Mindestlohnkommission?

  • Alle fünf Jahre werden die Mitglieder der Kommission neu berufen. Dabei sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit je drei Personen vertreten. Alle zwei Jahre überprüft diese Kommission eine mögliche Betragsanpassung. Der letzte Beschluss ist aus Juni 2023, der in einer ersten Stufe zum Januar 2024 und in einer zweiten zum Januar 2025 umgesetzt wurde. Eine neue Empfehlung wird Ende Juni erwartet.

Mindestlohn: Das steht im Koalitionsvertrag

Union und SPD hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag zum gesetzlichen Mindestlohn bekannt, ebenso wie zu "einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission". Diese solle sich bei der Festlegung der Mindestlohn-Höhe an der Tarifentwicklung und einem Richtwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. "Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar", heißt es im Koalitionsvertrag. Aktuell liegt der Satz bei 12,82 Euro.

Auf die Anhebung schon zum kommenden Jahreswechsel pocht die SPD, deren Mitglieder von Dienstag an über den Koalitionsvertrag abstimmen. Generalsekretär Matthias Miersch erinnerte daran, dass die Sozialdemokraten diese im Wahlkampf angekündigt hatten.

"Wir haben auch in anderen Konstellationen ja schon gezeigt, dass wir zu unseren Worten und zu unserem Versprechen stehen", sagte Miersch der Mediengruppe Bayern. Auf die Frage, ob der Mindestlohn von 15 Euro sicher komme, antwortete der SPD-Politiker: "Er kommt."

SPD kritisiert Friedrich Merz – Klarstellung gefordert

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) forderte ebenfalls eine Anhebung 2026. "Für den Mindestlohn haben wir besprochen, dass wir die 15 Euro erreichen wollen im Jahre 2026, und das machen wir, indem die Mindestlohnkommission sich an die eigene Geschäftsordnung hält", sagte Heil im ZDF.

Der linke Flügel der SPD forderte sogar eine Klarstellung von Merz. "Den Koalitionsvertrag in für uns zentralen Punkten, wie der Erhöhung des Mindestlohns, bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung offen anzuzweifeln, hilft an dieser Stelle überhaupt nicht weiter beim so dringend notwendigen Vertrauensaufbau", sagte Tim Klüssendorf, Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, dem "Stern".

Der Chef der SPD-Jugendorganisation Jusos, Philipp Türmer, warf der Union in der Mindestlohn-Debatte "ein grobes Foulspiel" vor. "Der Mindestlohn, das ist eine der zentralsten Forderungen für die Sozialdemokratie", sagte Türmer bei RTL und ntv. "Ganz viele Menschen in diesem Land brauchen dringend höhere Löhne, weil sie mit den Preissteigerungen der letzten Jahre nicht zurechtgekommen sind."

Verbände kritisieren Merz

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisierte ebenfalls CDU-Chef Merz. Die Erhöhung auf 15 Euro im Jahr 2026 sei "eine Willenserklärung der Bundesregierung, die den Orientierungsrahmen der Mindestlohnkommission beschreibt", sagte DGB-Bundesvorstand Stefan Körzell der "Süddeutschen Zeitung". Dieser ist Mitglied der Mindestlohnkommission für die Arbeitnehmerseite. Er nannte "bitter", dass die Erhöhung "schon infrage gestellt wird, obwohl die Bundesregierung formell noch gar nicht gebildet ist".

Der Sozialverband VdK beklagt ein "Zurückrudern" der Union beim Mindestlohn. Dieses schüre Verunsicherung unter den Bürgerinnen und Bürgern, erklärte Verbandspräsidentin Verena Bentele.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) dagegen warnte vor politischen Eingriffen – auch indirekten – auf die unabhängige Entscheidungsfindung der Mindestlohnkommission. Die "rein politisch motivierte Anhebung" des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2022 habe "fatale Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit" des Landes gehabt, erklärte der HDE.

Wie realistisch ein Mindestlohn von 15 Euro ist

Die Mindestlohnkommission prüft, "welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen sowie Beschäftigung nicht zu gefährden", heißt es im Mindestlohngesetz. Bislang orientierte sie sich dabei "nachlaufend an der Tarifentwicklung".

Mit Inkrafttreten der neuen Geschäftsordnung Anfang des Jahres wird sich die Kommission künftig "im Rahmen einer Gesamtabwägung" zwar weiter an der Tariflohnentwicklung orientieren – aber auch am Referenzwert von 60 Prozent des mittleren Bruttolohns.

Ende März hatte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung berechnet, dass ein Mindestlohn von 15 Euro realistisch wäre – sollte sich die Kommission an der allgemeinen Einkommensentwicklung orientieren und nicht nur an den Tariflöhnen, wie bisher. Würde nur Letzteres berücksichtigt, müsste eine Anhebung auf etwa 14 Euro erfolgen. (lc)

Verwendete Quellen

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