Rund 50 Prozent der Bürgergeldbezieher, die eine Arbeit aufnehmen, sind ein halbes Jahr später noch immer oder wieder auf staatliche Leistungen angewiesen. Ein Hinweis auf Fehlanreize?
Rund jede und jeder zweite Bürgergeld-Beziehende ist ein halbes Jahr nach der Aufnahme einer Arbeit weiter oder wieder auf staatliche Unterstützung angewiesen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von BSW-Chefin
Woran liegt das? Macht Bürgergeld träge? Ein differenzierter Blick auf die Fakten:
Mehrheit der Bezieher behält aufgenommene Arbeit
"Die These, dass das Bürgergeld träge mache, stimmt so nicht", sagte ein Sprecher von Bundesarbeitsminister
Wagenknecht, deren Partei BSW bei ostdeutschen Landtagswahlen Erfolge feierte, bemängelt, dass die Zahlen "die entscheidende Frage" nicht beantworteten: "Liegt es an den Betroffenen, die schlicht keine Motivation zu arbeiten haben? Liegt es an miesen Arbeitsbedingungen und unfairer Bezahlung? Oder bieten die Unternehmen immer noch viel zu viele befristete Stellen an beziehungsweise feuern nach Ablauf der Probezeit?" Wagenknecht fordert Sanktionen "für diejenigen, die sich lieber im Modell Bürgergeld plus Schwarzarbeit einrichten möchten".
Viele brauchen aufstockende Leistungen
Dient das Bürgergeld also auch als zentraler Baustein für Menschen, die sich ihren Alltag möglichst so zusammenbasteln, dass sie ohne großen Aufwand gut durchkommen? Heils Sprecher stellt fest: "Es gibt keine Hinweise darauf, dass das Bürgergeld Menschen dazu verleitet, nach kurzer Zeit wieder in den Leistungsbezug zurückzukehren." Ausschlaggebend dafür, dass Menschen weiterhin auf Bürgergeld angewiesen seien, seien vielmehr "strukturelle Faktoren". Angeführt werden etwa niedrige Löhne und Teilzeitarbeit.
Was ist der Hauptgrund für den längerfristigen Bezug von Bürgergeld? "Dies liegt oft daran, dass das Erwerbseinkommen nicht ausreicht, um die Hilfebedürftigkeit der gesamten Bedarfsgemeinschaft zu überwinden", sagte der Ministeriumssprecher. Viele Personen, die arbeiten, seien schlicht weiterhin auf aufstockende Leistungen angewiesen - wegen niedriger Löhne, Teilzeitarbeit oder großer Bedarfsgemeinschaften, also in der Regel Familien. "Besonders betroffen", sagte Heils Sprecher, "sind hierbei Personen mit Kindern und geringen Entgelten, für die es schwierig ist, die Hilfebedürftigkeit vollständig zu überwinden."
Mit Kindern fällt es vielen schwerer
Dabei hat sich in der vergangenen Jahren grundsätzlich wenig geändert. Sind heute etwa 50 Prozent der Personen, die bereits in den Arbeitsmarkt integriert sind, sechs Monaten nach diesem Schritt weiterhin im Bürgergeld, so lag dieser Anteil vormals nicht allzu viel niedriger. 2019 und 2020 waren es 46 Prozent. Der Anteil derer, die sechs Monate nach ihrer Integration weiterhin sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, ist im Vergleich zu 2019 um vier Punkte von damals 60 Prozent gestiegen.
Auffällig laut Ministerium: Personen mit Berufsausbildung weisen eine höhere Quote der kontinuierlichen Beschäftigung auf. Sie verlassen den Leistungsbezug öfter. Dies fällt auch Alleinstehenden im Schnitt deutlich leichter als Personen mit Kindern.
Meist rechnet sich Arbeit – aber nicht immer!
Für Alleinstehende war das Bürgergeld Anfang des Jahres um 61 auf 563 Euro im Monat gestiegen. Bezahlt werden in der Regel zudem Wohnen und Heizung. 2025 gibt es eine Nullrunde bei der Entwicklung der Regelsätze.
In aller Regel bekommt man mit Arbeit im Monat deutlich mehr aufs Konto als mit Bürgergeld. Allerdings lohnt sich ein Arbeitseinkommen für Beziehende von Leistungen nicht immer. Beispiel große Bedarfsgemeinschaften mit Erwerbseinkommen: Hier besteht oft ein Anspruch auf ergänzende Leistungen wie Bürgergeld, Kinderzuschlag oder Wohngeld. Wenn man das zusammennimmt, bekommen die Betroffenen oft nicht viel mehr Einkommen insgesamt zusammen, wenn sie eine bestehende Arbeit etwas ausweiten.
Für Alleinerziehende lohnt Mehrarbeit oft nicht
Heils Ministerium wollte genau wissen, wann sich Arbeit (nicht) lohnt und gab ein Gutachten in Auftrag. Es liegt seit 2023 vor. Die 65-Seiten-Expertise der Institute ifo (München) und ZEW (Leipzig) zeigt: Mehrarbeit lohnt sich für Alleinerziehende oft nicht.
Beispiel einer Mutter mit zwei Kindern: Ohne Arbeitseinkommen fließen demnach 2.169 Euro Sozialleistungen, bei einem Minijob-Lohn von 520 Euro bleiben 2.353 Euro auf dem Konto, bei 1.000 Euro insgesamt 2.823 Euro – aber bei 1.500 Euro Arbeitseinkommen brutto nur wenig mehr. Nämlich 2.907 Euro. Die Forscher schreiben: "Es existieren also nach wie vor Einkommensbereiche, in denen (...) sich zusätzliches Bruttoerwerbseinkommen kaum und mitunter sogar negativ auf das verfügbare Einkommen auswirkt."
Wie sich Arbeit mehr lohnen könnte
Die Forscher schlagen vor, bei den Gruppen von Bürgergeld-Beziehenden, bei denen es sich heute wenig lohnt, mehr zu arbeiten, im Fall von Mehrarbeit das Bürgergeld nicht so stark wie heute zu kürzen. Denn bei ihnen sei eine Ausweitung der Beschäftigung heute finanziell wenig attraktiv, "weil die erhaltenen Sozialleistungen in der Folge stark sinken". Eine solche Reform würde, so die Institute, die verfügbaren Einkommen von Transferempfängerinnen und -empfängern in einigen Einkommensbereichen erhöhen. Erwerbsanreize und somit Beschäftigung könnten steigen. Der Staat müsse zwar mehr Bürgergeld bezahlen – aber könne auch mit mehr Steuereinnahmen rechnen.
Die Haushalte, bei denen dies rechnerisch zu erwarten ist, sind laut den Forschern jene mit Einkommen von mehr als 520 Euro pro Monat sowie Haushalte mit mehr als 2.000 Euro Haushaltseinkommen monatlich. Die Institute schlagen hierfür vor, die geltenden unterschiedlichen Kürzungsraten für das Bürgergeld im Fall eines höheren Arbeitslohns zu verringern. Die Betroffenen hätten so unterm Strich am Monatsende spürbar mehr auf dem Konto. (dpa/mcf)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.