Immer häufiger gelingt den Terroristen des Islamischen Staats, Gebiete außerhalb des Iraks und Syrien unter ihre Kontrolle zu bringen. Neben ägyptischen und libyschen Islamisten sympathisieren nun auch Extremisten in Nordafrika mit der Terroristenmiliz.
Die erste Stadt außerhalb des Irak und Syriens, die dem Kalifat des Islamischen Staates (IS) zuzurechnen ist, ist das libysche Küstenstädtchen Darna. Bereits Ende Oktober sollen sich örtliche Dschihadisten der Terrormiliz IS angeschlossen und ihrem Anführer, Abu Bakr al-Bagdadi, die Treue geschworen haben. Doch sie sind nicht die einzigen.
Am späten Sonntagabend teilte über das Internet auch in Ägypten eine Gruppe von Islamisten mit, dass sie sich dem IS zugehörig fühle. In ihrer Audiobotschaft fordern die Anhänger von Ansar Beit al-Makdis ("Unterstützer Jerusalems") alle Muslime auf, sich dem IS anzuschließen. Die "Demokratie der Ungläubigen" böten ihnen keinen Nutzen.
Immer mehr Sympathisanten
Der Mainzer Universitätsprofessor Günter Meyer warnt davor, dass sich der IS neben Syrien und dem Irak auch in anderen Ländern einnisten könnte. "In der gesamten sunnitisch-arabischen Welt gewinnt der IS immer mehr Sympathie", sagt Meyer. "Im nördlichen Libanon gibt es bereits in den sunnitischen Gebieten um Tripolis einen starken IS-Arm." In konservativen Teilen Saudi-Arabiens sei längst offensichtlich, dass dort eine große Sympathie für den IS herrsche. Aber auch im Süden von Jordanien und selbst im Jemen, wo eigentlich Al Kaida das Sagen hat, gebe es vereinzelt IS-Sympathisanten, vermutet Meyer.
Alexandr Burilkov, Wissenschaftler am Hamburger GIGA Institut für Nahoststudien, macht in Libyen vor allem das Chaos für den aktuellen Zuspruch zum IS verantwortlich. "Die Zentralregierung hat keine wirkliche Kontrolle", sagt Burilkov. Drei Jahre nach dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi ist Libyen ein gescheiterter Staat und praktisch unter lokalen Kriegsherren aufgeteilt. Im abgelegenen Darna kämpfen seit langem verschiedene Islamistengruppen um die Vorherrschaft. Dass eine davon versucht, etwas vom Prestige des IS abzubekommen, verwundert Burilkov kaum. "So ähnlich verlief es vor einigen Jahren auch in Somalia. Damals versuchten islamistische Gruppen, ins Fahrwasser von Al Kaida zu kommen, um von deren Ressourcen zu profitieren und sich besser gegen ihre Rivalen zu behaupten."
Wie eine logistische Unterstützung durch den IS in Libyen oder anderen Teilen Nordafrikas zu leisten ist, ist allerdings fragwürdig. Noch verfügt der IS nicht über ausreichend Kapazitäten, um dezentral zu agieren. "Außerdem haben gerade die Regierungen in Marokko und Algerien nicht wenig Erfahrung im Umgang mit islamistischen Strömungen", sagt Burilkov. Bei Tunesien sind sich jedoch beide Experten darin einig, dass eine Hinwendung islamistischer Extremisten zum IS nicht unwahrscheinlich ist. "Man geht von einer Größenordnung von etwa 3000 tunesischen Dschihadisten aus, die in Syrien entweder für die Al Nusra-Front oder den IS kämpfen", sagt Uniprofessor Meyer.
Viele Ursachen für IS-Unterstützung
Warum auch andere Regionen dem IS anheimfallen, dafür gibt es keine eindeutige Erklärung. In Ägypten herrscht ein demokratisch gewähltes, aber autoritäres Regime, das nicht nur salafistische Bewegungen bekämpft. Auf der Sinai-Halbinsel werden die dort lebenden Beduinen bereits seit Jahrzehnten diskriminiert. Als Antwort darauf haben sie zusammen mit palästinensischen Dschihadisten aus dem Gazastreifen den Sinai weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht. Die Terrorgruppe Ansar Beit al-Makdis ist das aktuelle Paradebeispiel dafür.
Doch es braucht mehr als islamistische Extremisten, um für die IS-Propaganda anfällig zu werden, meint Burilkov. Auch zwischen den Taliban in Afghanistan und dem IS seien Seilschaften denkbar. "Aber trotz möglicher Sympathien gehört bei den Taliban Extremismus und paschtunischer Nationalismus zusammen", erklärt Burilkov. Nur dort, wo die Frage nach der nationalen Zugehörigkeit keine Rolle spielt, falle die Botschaft des IS auf fruchtbaren Boden.
Meyer sieht in der Einmischung von US-Präsident Barack Obama in Syrien einen weiteren Grund für die weitreichende Unterstützung. "Dass die USA in Syrien gegen die Al Nursa-Front vorgehen, die wiederum gegen das Regime in Damaskus kämpfen, hat dazu geführt, dass der Hass auf die USA größer geworden ist", sagt er. Deshalb finde die IS-Propaganda wesentlich mehr Gehör.
"Al Kaida ist out"
Man könnte auch sagen, nicht der IS, sondern die Angriffe der USA scheinen salafistische Muslime zu motivieren, sich dem sunnitischen Dschihad anzuschließen. Zumal sich der IS momentan als einziger Akteur darstellt, der den Schiiten und dem Westen die Stirn bieten kann. Außerdem verfügt er über ein festes Territorium, eigene Sicherheitskräfte und erhebt sogar Steuern. Nicht unwesentlich ist zudem seine Internetpräsenz, mit der er vor allem junge Leute anspricht.
Inwiefern Extremisten an sich derzeit Zulauf bekommen, ist schwer zu sagen. Für Meyer steht aber fest: "Al Kaida ist out. Die IS-Kämpfer sind hingegen sehr aktiv und damit attraktiv. Man wendet sich dem IS mit großer Begeisterung zu, nicht aus Angst."
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