Eigentlich elitäre Orte, derzeit Schauplatz von Antisemitismus und Israelfeindlichkeit: Renommierte US-Universitäten wie Columbia und Cornell University. Nach Morddrohungen gegenüber Jüdinnen und Juden wurde ein Student festgenommen, andernorts mussten jüdische Studierende mit Polizeischutz aus der Bibliothek eskortiert werden. Eine Expertin erklärt, woher der Hass kommt und welche Ideologien dahinterstecken.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Liste ist lang – sehr lang. Dutzende US-amerikanische Universitäten stehen darauf, darunter mehrere Vertreter der elitären "Ivy-League": Brown, Columbia, Cornell, Princeton, Pennsylvania. Von New York bis Kalifornien, über Texas und Chicago haben sich hier israelfeindliche Vorfälle ereignet.

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Ende Oktober beispielsweise hatten Demonstranten an über 100 Universitäten in den USA dazu aufgerufen, die amerikanische Hilfe für Israel zu beenden und die Kooperation mit Waffenfirmen zu beenden, die mit Israel in Verbindung stehen. Die Kundgebungen wurden hauptsächlich von der Organisation "Students für Justice in Palestine" (SJP) organisiert. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk pro-palästinensischer Studentengruppen, die antiisraelische Propaganda verbreiten.

Israelfeindliche Plakate und Parolen

Auch, wenn der Großteil der Kundgebungen ohne gewaltsame Vorfälle verlief, wurde der Terror der Hamas immer wieder verharmlost oder sogar gelobt. In mindestens einem Fall griffen israelfeindliche Demonstranten eine Gruppe jüdischer Studierender an.

Die Anti-Defamation-League (ADL), eine 1913 gegründete Menschenrechtsorganisation, die sich gegen die Diskriminierung von Juden einsetzt, hat eine Übersicht der Vorfälle zusammengestellt. So wurde beispielsweise an der Universität in Santa Barbara gerufen "Wir wollen keine Zionisten hier", in Chicago war die Parole "Tod dem Zionismus" zu hören. Weitere Bilder: Israel-Flaggen in Mülleimern, Plakate mit der Aufschrift "Zionismus = Gewalt" und eine Rede an der Universität von Minnesota, in der "die Zerstörung des zionistischen Regimes" als Ziel ausgegeben wurde.

Erschreckender Vorfall in New York

Zionismus ist die Bewegung, die sich für einen unabhängigen jüdischen Staat einsetzt. Ursprünglich war Zion der Name eines Hügels in Jerusalem. Ziel der zionistischen Bewegung ist es, die Jüdinnen und Juden in ihr ursprüngliches Heimatland, das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan, zurückzuführen. Für die Mehrheit der amerikanischen Jüdinnen und Juden ist der Zionismus ein Kernelement ihrer jüdischen Identität.

Ein viel beachteter Vorfall ereignete sich an der Universität Cooper Union in New York. Pro-Palästinensische Demonstranten widersetzten sich den Anweisungen des Sicherheitspersonals und bedrängten jüdische Studierende, die hinter einer Glasscheibe in der Bibliothek saßen. Die Demonstranten schlugen gegen die Glasscheibe und riefen dabei Parolen wie "Freies Palästina" und "Globalisiert die Intifada". Intifada bezeichnet zwei palästinensische Aufstände gegen Israel.

Die jüdischen Studenten wurden schließlich von der New Yorker Polizei aus der Bibliothek geleitet und berichteten später, dass sie sich eingeschüchtert und bedroht gefühlt hatten.

An der Cornell Universität wurde derweil ein Student verhaftet, nachdem er im Netz zum Mord an Juden aufgerufen hatte. In den Nachrichten hatte er unter anderem damit gedroht, die Studenten im 104 West-Gebäude zu erschießen – darin befindet sich ein koscherer Speisesaal.

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"Atmosphäre der Angst"

Die Stimmung beschreiben viele als brodelnd und kritisch, manche sprechen von einer "Atmosphäre der Angst". An einer New Yorker Universität erinnerte ein jüdischer Student in einer Rede entsetzt: "Wir schreiben das Jahr 2023. Es ist nicht 1942. Wir sind in New York, wir sind nicht in Nazi-Europa."

Kim Robin Stoller ist Expertin für israelbezogenen Antisemitismus. Sie sieht Parallelen zu Deutschland: "Wir kennen es von deutschen Universitäten bereits, dass es verschiedene Gruppierungen gibt, die anti-israelische oder antizionistische Aktivitäten durchführen oder solche, wo der Hamas und dem Massaker zugestimmt wird oder Aktivitäten, die eine Bedrohung für Jüdinnen und Juden darstellen."

Auch die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) beobachtet seit dem Terrorangriff der Hamas ein zunehmend israelfeindliches und antisemitisches Klima an deutschen Universitäten. Vertreter berichteten, Deutsche und ausländischstämmige Pro-Palästina-Aktivisten würden die Stimmung in Seminaren und Vorlesungen anheizen.

Fördergelder aus arabischen Staaten

Solche Aktivitäten gebe es auch in den USA, verschiedene gesellschaftliche Gruppen seien daran beteiligt. "Es geht um Personen, die mit der islamistischen Muslimbruderschaft oder der Hamas sympathisieren, aber auch mit der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die teilweise im linken Spektrum sprechfähig ist", so Stoller. Manche seien Anhänger von Samidoun, offiziell "Solidaritätsnetzwerk für palästinensische Gefangene", welches Beobachter als Vorfeldorganisation der PFLP beschreiben.

Die Expertin erklärt: "In den USA gibt es Teile einer antiimperialistischen Linken, für die Israel die Vorhut des amerikanischen und westlichen Imperialismus ist. Israel wurde aus ihrer Sicht zur Unterdrückung initiiert und muss zerstört werden." Im Fokus dieser Gruppierungen stünden vor allem Boykott-Aufrufe, wie die Israelboykottkampagne "BDS".

"Die Universitäten in den USA sind anders strukturiert. Fördergelder aus islamischen und arabischen Staaten haben massiv dazu beigetragen, in bestimmen Disziplinen bestimmte Ideologien zu fördern", erklärt Stoller.

Sonderformen des Antizionismus

Im linken und linksliberalen Spektrum, teilweise auch in queer-feministischen Kontexten, seien postkoloniale Theorien weit verbreitet und es würden sich Sonderformen des Antizionismus in den USA finden. "Ihnen nach ist Palästina ein Teil des gemeinsamen Kampfes gegen den imperialistischen Westen – insofern wird jeglicher „Widerstand“ auch durch Intellektuelle unterstützt", erklärt Stoller. Es komme daher auch gar nicht mehr darauf an, ob die entsprechende Personengruppe selbst Menschen aus der LGBTQI-Szene umbringe oder auch nicht.

"In diesen linken Kreisen wird Diskriminierung so verstanden, dass diese nur Personengruppen wie People of Colour oder migrantische Gruppierungen betrifft. Jüdinnen und Juden werden häufig nicht dazu gezählt, weil sie entgegen der Realität als 'Weiße' und damit als Teil des Herrschaftsapparats angesehen werden", sagt die Expertin. Oft würden Jüdinnen und Juden nur akzeptiert, wenn sie sich explizit gegen Israel richten würden.

Stoller hat eine Warnung: "Die Feststellung, dass Antisemitismus auch unsere Gesellschaft angreift, ist nicht nur eine Floskel". Bei den islamistischen Akteuren gehe es um dezidierte Feinde des Westens – jetzt gehe es um Israel und die Juden, im nächsten Moment werde es der gesamte Westen sein.

Verwendete Quellen

Über die Gesprächspartnerin

  • Kim Robin Stoller arbeitet am International Institute for Education and Research on Antisemitism (IIBSA).
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