Vier Wochen nach dem Sturz des Machthabers Assad wollen die deutsche Außenministerin und ihr französischer Kollege in Damaskus ein Zeichen setzen. Sie kommen mit Angeboten, aber auch mit Forderungen - und besichtigen ein Foltergefängnis.

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Nach dem Umsturz in Syrien stellt Außenministerin Annalena Baerbock der von Rebellen gebildeten Übergangsregierung Bedingungen für eine Neuaufnahme der Beziehungen zu Deutschland und der Europäischen Union. "Ein politischer Neuanfang zwischen Europa und Syrien, zwischen Deutschland und Syrien ist möglich", erklärte die Grünen-Politikerin, die am Morgen zu einem unangekündigten Besuch in Damaskus ankam. Voraussetzung sei aber, dass allen Syrern, Frauen wie Männern, gleich welcher ethnischen oder religiösen Gruppe, ein Platz im politischen Prozess eingeräumt, Rechte gewährt und Schutz geboten werde.

Außenministerin Baerbock in Damaskus
Außenministerin Annalena Baerbock steigt auf dem Flughafen von Damaskus aus einem A400M der Luftwaffe. © Jörg Blank/dpa

In Syrien will Baerbock rund vier Wochen nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Baschar zusammen mit ihrem französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot und im Auftrag der EU Gespräche mit Vertretern der Übergangsregierung führen.

Die Außenministerin war morgens von Zypern aus nach Damaskus geflogen. Barrot hatte mit Verteidigungsminister Sébastien Lecornu im nicht weit entfernten Libanon mit den dort stationierten französischen Soldaten der UN-Beobachtermission Unifil den Jahreswechsel gefeiert. Baerbock und Barrot sind die ersten EU-Außenminister, die Syrien seit Assads Sturz besuchen.

Treffen mit De-facto-Herrscher Al-Scharaa

Während ihres Besuchs wurden Baerbock und ihr französischer Amtskollege von Ahmed al-Scharaa empfangen. Der De-facto-Herrscher ist Anführer der islamistischen Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) und war zuvor bekannt unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dscholani.

Al-Scharaa empfing Baerbock und Barrot am Eingang zum Palast des vor rund vier Wochen gestürzten Langzeit-Machthabers Baschar al-Assad am Anfang eines langen roten Teppichs. Während der Islamist wie bei der Begegnung mit Frauen für ihn üblich Baerbock nicht per Handschlag begrüßte, streckte er Barrot die Hand entgegen. Nachdem der Franzose zunächst zur Begrüßung seine rechte Hand auf die Herzgegend gelegt hatte, ergriff er dann doch kurz die Hand Al-Scharaas.

Besichtigung von Foltergefängnis

Zum Auftakt ihres Besuchs haben Baerbock und Barrot das Saidnaja-Gefängnis in der Nähe von Damaskus besucht. Bei ihrem Besuch wurden die beiden Chefdiplomaten von Vertretern der syrischen Zivilschutzorganisation Weißhelme begleitet, wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP am Freitag von vor Ort berichteten. Gemeinsam besichtigten Baerbock und Barrot demnach die unterirdischen Zellen und Kerker, in denen viele Insassen zu Tode gefoltert wurden.

Außenministerin Baerbock in Damaskus
Baerbock besichtigt das Foltergefängnis Saidnaja. © Jörg Blank/dpa

"Wenn ich heute hier sehe, was die Menschen in dieser Hölle, in diesem Höllengefängnis, durchgemacht haben, dann wird deutlich, wie wichtig Ihre Arbeit war", sagte Baerbock nach dem Besuch in dem Gefängnis an die Weißhelme gewandt. Es sei wichtig gewesen, "auf die Stimmen der freien Menschen in Syrien zu hören" wie die der Weißhelme. Diese hätten "unterstrichen, was für ein Regime das Assad-Regime war, das Folter angewandt hat, die sich niemand vorzustellen vermochte". Nun sei es an der internationalen Gemeinschaft zu helfen - "den Menschen, die hier in diesem Höllengefängnis gelitten haben, Gerechtigkeit zu verschaffen", sagte Baerbock weiter.

Baerbock fordert Schutz von Frauen und Minderheiten

Baerbock forderte von der neuen Übergangsregierung zudem, Rechte von Frauen und Minderheiten müssten gewahrt werden und dürften "nicht möglicherweise durch zu lange Fristen bis zu Wahlen oder auch Schritte zur Islamisierung des Justiz- oder Bildungssystems unterlaufen werden".

Al-Scharaa hatte kürzlich gesagt, bis zur Vorlage eines neuen Verfassungs-Entwurfs könnten rund drei Jahre und bis zu Wahlen ein weiteres Jahr vergehen. Das arabische Land ist nach mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg zersplittert und konfessionell gespalten. Auch nach dem Sturz Assads kämpfen verfeindete Milizen um die Macht.

Baerbock sagte, man wolle Syrien bei einem friedlichen Machtübergang, der Versöhnung der Gesellschaft und beim Wiederaufbau unterstützen - zusätzlich zur humanitären Hilfe, die für die Menschen in Syrien auch in den vergangenen Jahren geleistet worden sei.

Einen Neuanfang könne es nur geben, wenn die Vergangenheit aufgearbeitet und Gerechtigkeit hergestellt werde sowie Racheakte an Bevölkerungsgruppen ausblieben, forderte Baerbock. Extremismus und radikale Gruppen dürften keinen Platz haben.

Skepsis wegen Vergangenheit der Rebellen

"Wir wissen, wo die HTS ideologisch herkommt, was sie in der Vergangenheit getan hat", sagte Baerbock. Man sehe aber auch den Wunsch nach Mäßigung und Verständigung mit anderen wichtigen Akteuren.

So sei die Aufnahme von Gesprächen mit den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) ein wichtiges Zeichen in diese Richtung.

HTS ging aus der Al-Nusra-Front hervor, einem Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Al-Scharaa hatte sich von Al-Kaida und der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) losgesagt. Bis heute gibt es aber Berichte, denen zufolge die HTS-Führung den Kontakt zu Al-Kaida hält. Angesichts dessen sagte Baerbock: "Wir werden die HTS weiter an ihren Taten messen. Bei aller Skepsis dürfen wir jetzt nicht die Chance verstreichen lassen, die Menschen in Syrien an diesem wichtigen Scheideweg zu unterstützen."

Deutschland setze sich zudem dafür ein, dass der innersyrische Prozess nicht von außen gestört werde, erklärte die Bundesaußenministerin. Dazu gehöre auch die Achtung der Souveränität und territorialen Integrität durch alle Nachbarstaaten, ergänzte sie offensichtlich mit Blick auf die Türkei und Israel, denen vorgehalten wird, eigene Interessen in Syrien zu verfolgen. Es sei zudem Zeit für Russland, seine Militärbasen in Syrien zu verlassen. Moskau war jahrelang einer der wichtigsten Verbündeten Assads.

Mehr als 16 Millionen Syrer auf humanitäre Hilfe angewiesen

Syrien ist nach bald 14 Jahren Bürgerkrieg in weiten Teilen zerstört und durch Landminen und andere Kampfmittel verseucht. Dem Land fehlen Arbeits- und Fachkräfte, die Wirtschaft schrumpft und die Währung hat seit 2020 mehr als 90 Prozent ihres Werts verloren. Die Versorgung mit öffentlichen Diensten ist zusammengebrochen. Mehr als 16 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Knapp eine Million syrische Flüchtlinge in Deutschland

Bei Baerbocks Gesprächen in Damaskus dürfte es auch um die von der Übergangsregierung befürwortete Rückkehr syrischer Flüchtlinge aus Deutschland gehen. Derzeit leben laut Bundesinnenministerium rund 975.000 Syrer in Deutschland. Die meisten kamen seit 2015 infolge des Bürgerkriegs ins Land. (dpa/bearbeitet von ng)

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